„Der Kandidat ist unbelastet von den mühsamen Jahren der Großen Koalition in Berlin.“

Seine erste Bewährungsprobe hat Martin Schulz bestanden: Beim Auftritt vor der SPD-Bundestagsfraktion wurde der Kanzlerkandidat als großer Hoffnungsträger gefeiert – den fast mutlosen Genossen versprach Schulz, im Wahlkampf ganz auf Sieg zu setzen. Der begnadete Redner weiß, was die Partei jetzt braucht. Schulz steht vielleicht nicht inhaltlich, aber als Person wie wenige andere für einen Neuanfang in der SPD – das kann einer Partei, die in Umfragen wie zementiert im 20-Prozent-Keller hängt, nur helfen.

Die Wähler werden jetzt mit Neugier auf die SPD blicken. Der Kandidat ist unbelastet von den mühsamen Jahren der Großen Koalition in Berlin, deren Unterstützung der SPD so wenig Wählerzustimmung gebracht hat. Das macht Schulz für Merkel viel gefährlicher als Gabriel: Nicht nur, dass er in Umfragen im persönlichen Vergleich gut abschneidet. Weil er nie mit der Kanzlerin am Kabinettstisch saß, kann Schulz sie jetzt glaubwürdiger angreifen. Doch die Sozialdemokraten sollten sich keine Illusionen machen: Seine Kandidatur birgt auch erhebliche Risiken. Ob die Wähler ihn ernsthaft schätzen, wenn der Reiz des Neuen erst verblasst, ist auch für Demoskopen eine offene Frage. Schulz belasten mehrere Handicaps: Er hat sich aus den innenpolitischen Debatten bislang völlig herausgehalten. Weder die Genossen noch die Wähler wissen, wofür der Mann aus Brüssel eigentlich steht. Schulz wird sich in viele Fragen der deutschen Politik erst einarbeiten müssen – während die Europapolitik, für die er mit Leidenschaft eintritt, im Wahlkampf eher eine Bürde sein dürfte. Zugleich fehlt ihm ein Podium: Der Kandidat sitzt nicht im Bundestag, wo die wichtigen Debatten laufen. Und er hat auch kein Regierungsamt, wie ihm überhaupt jede Regierungserfahrung fehlt. So wird diese Kandidatur zum Experiment. Um es zu bestehen, wird Kampfgeist allein nicht genügen.