Braunschweig. Die Harzkliniken in Goslar setzen künftig auf einen Chirurgie-Roboter. Dessen Einsatz bietet Vorteile, wirft aber auch Kostenfragen auf

Der neue Stolz der Harzklinik steht im Operationssaal Nummer 6. Wo Chefarzt Prof. Tung Yu Tsui und sein Team sonst hochkonzentriert Eingriffe vornehmen, hat heute der Operationsroboter Marke „Da Vinci“ seinen ersten großen Auftritt vor Publikum. Der Chirurg begrüßt einen kleinen Pulk Presseleute – bekleidet mit mit OP-Haube, Mundschutz, grüner Stationskleidung und sterilen Plastik-Crocs an den Füßen. Das Vorzeigestück des Goslarer Krankenhauses, das zur Asklepios-Gruppe gehört, ist nicht zu übersehen: ein mehr als mannshohes weißes Gerät mit vielen Gelenken und vier Armen. Zu ihm gehört auch der Turm mit Bildschirm und Rechnerelementen, deren Lüftung an diesem Sommertag laut pustet wie eine Klimaanlage.

Unter dem Roboterkraken auf dem OP-Tisch liegt anstelle des Patienten eine Simulationspuppe oder zumindest der mittlere Teil davon: ein seitlich offener Bauchraum aus Plastik. In dessen Höhle sieht man eine handtellergroße grüngenoppte Fläche aus Schaumstoff mit kleinen bunten Zipfeln, auf denen wiederum winzige Gummiringe liegen. Diese Anordnung ist das Spielfeld für die anstehende „Probefahrt“ mit dem Da Vinci. „Freiwillige vor. Wer will zuerst?“, fragt Tsui die Gäste. Sie sollen selbst sehen, wie filigran und einfach es sich mit dem technischen Gerät operiert.

Steuerungs-Konsole erinnert an ein Videospielgerät

Blick in den künstlichen Bauchraum der Trainingspuppe im OP in Goslar.
Blick in den künstlichen Bauchraum der Trainingspuppe im OP in Goslar. © Andreas Eberhard | Andreas Eberhard

Der Reporter dieses Artikels nimmt Platz an der Konsole in einer Ecke des OPs. Der Arbeitsplatz erinnert mit seinen Steuerelementen und seinem Bildschirm entfernt an ein Videospielgerät. Die Unterarme soll ich möglichst entspannt auf ein breites Polster legen. Daumen und Mittelfinger beider Hände wandern in kleine Schlaufen links und rechts. Die Zeigefinger bedienen eine Art Mausschalter dazwischen. Den Kopf stecke ich in den dafür vorgesehenen Sichtschacht und erkenne auf dem Bildschirm die bekannten Gummizipfel wieder. In zehnfacher Vergrößerung, aufgenommen von einer Kamera, liegt die kleine Versuchsanordnung nun wie eine große Landschaft vor einem – als virtuelles 3D-Bild. Zu erkennen sind Details und Unebenheiten, die mit bloßem Auge nicht zu sehen waren. Die Roboterarme, die wie die Kamera durch kleine Öffnungen in den Bauchraum ragen, sind am linken und rechten Bildrand. Erst als mein Kopf genau an der richtigen Position ist, erlaubt die Maschine mir, die winzigen Roboterarme und Instrumente zu bewegen – eine Sicherheitsvorkehrung, die von mehreren Sensoren kontrolliert wird.

Handbewegung im Maßstab 3:1

Öffne oder schließe ich jetzt meine Finger, öffnen oder schließen sich auch die Greifer der kleinen Zangen an den Enden der Greifarme. Bewege ich mein Handgelenk, macht das Gelenk des mechanischen Greifarms dieselbe Drehung. Erstaunlich frei beweglich. Da die Technik meine Bewegungen aber im Maßstab drei zu eins verkleinert, ist man im Bauchraum nach nur kurzen Startschwierigkeiten bemerkenswert filigran unterwegs.

Die „Landschaft“ aus Gummi-Zipfeln, wie sie der Operateur an der Da-Vinci-Konsole sieht.
Die „Landschaft“ aus Gummi-Zipfeln, wie sie der Operateur an der Da-Vinci-Konsole sieht. © Andreas Eberhard | Andreas Eberhard

Es gelingt fast mühelos, einen der kleinen wabbeligen Gummiringe von einem Zipfel auf den nächsten zu heben oder einzelne der winzigen Noppen zu greifen oder abzuklemmen. Auch mein leichtes Zittern fällt bei dieser Übertragung kaum ins Gewicht. Man bekommt eine Vorstellung davon, wie hilfreich das Gerät bei minimalinvasiven Eingriffen per „Schlüsselloch-Chirurgie“ sein kann.

Die Probe aufs Exempel folgt, als ich im Anschluss versuche, das Gleiche noch einmal von Hand auszuführen. Johannes Erbes, leitender Oberarzt reicht mir ein herkömmliches Greifwerkzeug, wie es bei Laparoskopien – also solchen Spiegelungen des Bauchraums – üblicherweise zum Einsatz kommt. Ich stecke das Werkzeug durch eine der kleinen Öffnungen in die Bauchhöhle, versuche, wieder einen Gummizipfel zu fassen. Nach einer Minute gebe ich entnervt auf, weil ich mir plump vorkomme wie ein Riese in einer Zwergenhöhle.

Chefarzt Tsui ist begeistert

So eindrucksvoll der Vergleich ist, so klar ist mir, dass meine Eindrücke wenig darüber aussagen, wie ein geübter Operateur die Dinge sieht. Doch Tsui, der seit Mitte April mit dem Roboter arbeitet, ist ebenso begeistert. „Diese Technik hilft uns enorm. Wir können so Gefäße präparieren, ohne Gewebe zu beeinträchtigen, das nicht dazu gehört“, sagt er. Das schone die Patienten. Das Einsatzgebiet sei überall, wo es „potenziell eng“ ist: bei Darm-Operationen, komplexen gynäkologischen OPs, bei Eingriffen an Speiseröhre, Leber oder Gallenblase – auch der Operation von Brüchen.

Tsui und sein Team unterstreichen beim Pressetermin die Vorteile des Systems. Neben der Präzision nennt Oberarzt Erbes etwa die gesündere Körperhaltung, die weniger Anstrengung und eine bessere Konzentrationsfähigkeit für den Operateur bedeute. Und sollte es einmal nötig sein, den Roboter schnell zu entfernen – etwa weil ein Patient reanimiert werden muss – gehe auch das extrem schnell. „Wir brauchen nur 15 Sekunden, um das Gerät wegzuschaffen“, so Erbes.

Mehr Vorbereitung nötig: Operationen dauern länger

Trotzdem hat der Einsatz des Roboters auch Nachteile. Etwa dauern die Operationen länger als sonst, weil Patient und Roboter erst in Stellung gebracht werden müssen. Und das bedeutet eine längere Zeit unter Narkose. Der Entscheidung, ob das Gerät bei einer OP zum Einsatz komme, müsse daher immer eine Abwägung vorausgehen, die man zusammen mit den Patienten treffe, erläutern die Ärzte.

Leitender Oberarzt Johannes Erbes präsentiert eine herkömmlichen Laparoskopie-Greifer, wie er bei normalen minimalinvasiven Bauch-OPs zum Einsatz kommt.
Leitender Oberarzt Johannes Erbes präsentiert eine herkömmlichen Laparoskopie-Greifer, wie er bei normalen minimalinvasiven Bauch-OPs zum Einsatz kommt. © Andreas Eberhard | Andreas Eberhard

Auf Nachfragen erklärt Erbes, dass es bei einer solchen Abwägung auch um Geld geht. Rund zwei Millionen Euro kostet das Gerät, das die Goslarer in einem sogenannten „Pay per Use“-Verfahren nutzen. Letzteres bedeutet, dass die Harzklinik einen bestimmten Betrag pro Operation an den Hersteller, das US-Unternehmen Intuitive, zahlt. Der Betrag variiere je nach Aufwand und der Zahl der benutzen Werkzeuge an den Greifarmen. Bei einer Gallenblasen-Entfernung würden durch den Robotereinsatz etwa zusätzliche Kosten von rund 600 Euro für die Klinik fällig. „Das ist natürlich ein Kostenfaktor“, sagt Erbes. Für eine „einfache“ Blinddarm-OP werde das Gerät daher vorerst nicht eingesetzt. Allerdings könne die höhere Präzision in manchen Fällen helfen, an anderer Stelle Kosten zu sparen, etwa, wenn durch schnellere Heilung Liegezeiten auf der Intensivstation verkürzt würden. Für die Harzklinik-Patienten jedenfalls, versichern die Ärzte, blieben die Kosten immer gleich, egal ob mit oder ohne Da Vinci.

Zwei Einsätze pro Woche

So stolz man in der Harzklinik auf den neuen Roboter ist – an der Tagesordnung sind die Operationen mit dem Da Vinci noch nicht. Bisher wird er in Goslar im Schnitt rund zwei mal pro Woche benutzt. Neben der individuellen Kostenkalkulation liegt dies auch am Organisatorischen. Erbes erklärt, es müsse noch Personal geschult werden. Auch müssten die Abläufe noch stärker in die Gesamtabläufe der Chirurgie eingepasst werden. „Damit sich sein Einsatz wirklich lohnt“, sagt Erbes, „muss das Gerät künftig möglichst täglich eingesetzt werden.“

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