Braunschweig. Warum ist das Thema Impfen so schwierig? Deutsche Top-Immunologen diskutierten auf Einladung des HZI. Sogar Selbstkritik wurde geäußert.

Der Bundespräsident war irritiert. „Nee, das glaube ich jetzt nicht“, entfuhr es Frank-Walter Steinmeier, als eine Impfkritikerin am Mittwoch bei der Bürgerdiskussion mit dem Staatsoberhaupt anfing, über „Lipid-Nanopartikel“ in Impfstoffen und das ihrer Meinung nach viel schwerer als allgemein angenommen wiegende Problem der Nebenwirkungen zu sprechen. Und leider waren laut Zeitungsberichten keine Virologin und auch kein Mediziner zur Stelle, um ad hoc die Tatarenmeldungen und Halbwahrheiten akkurat von den nachprüfbaren Erkenntnissen zu trennen.

So geschah also wieder mal das Folgende: Zum einen dominierte eine schrille Einzelmeinung thematisch das Gespräch einer ganzen, an sich mehr an anderen Facetten des Themas interessierten Gruppe. Zum anderen wurden eher obskure Behauptungen zwar angezweifelt, blieben aber – sozusagen gleichberechtigt – neben wissenschaftlich validen Erkenntnissen stehen.

Was lernen wir aus solchen Situationen? Erklären, informieren, checken, korrigieren, berichten, all dies ist auf notorisch umkämpften Themenfeldern natürlich kein einmaliger und auch kein überhaupt jemals abzuschließender Vorgang. Die „Stiko“ (hier jetzt mal als „Ständige Impfkommunikation“ verstanden) geht weiter und weiter – und dann wieder von vorn los…

Oder stimmt das so auch nicht? Oder gibt es längst Überdruss-Probleme, womöglich sogar den Effekt, dass ein nahezu omnipräsentes Angebot an Erklärungen und Information die ohnehin schon Überzeugten langweilt, während es in bestimmten, sich ohnehin kritisch bzw. randständig verstehenden Gruppen den Verdacht erhärtet, dass Gehirnwäsche und Gleichschritt angesagt sind?

Diese Fragen blitzten auf, als sich am Mittwoch – organisiert vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung und moderiert von Susanne Thiele – eine hochkarätig besetzte Runde aus verschiedenen wissenschaftlichen Blickwinkeln dem Thema „Impfstoffe im Fokus der Öffentlichkeit“ zuwandte. Denn da saß zum Beispiel Prof. Dr. Christian Bogdan. Er ist als Immunologe und Institutsdirektor in Erlangen, aber auch als Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) sozusagen mittendrin in den Impfdebatten – und ganz schön genervt.

Vorwurf: Jedes Detail wird zerpflückt

Noch nie, betonte Bogdan, habe es auf einem vergleichbaren Feld einen so rasanten Wissenszuwachs gegeben wie in zwei Jahren bezüglich des Themas Corona/Covid. Und was sei die Folge? Der Eindruck von Vielstimmigkeit und Unklarheit. Hinzu kämen die Überholmanöver von Politikern, die ja alle so viel Ahnung hätten, wie Bogdan gallig hinzufügte. Im Ganzen gebe es Unmengen an Kommunikation zum Impfen – und genau hier liege das Problem. Jedes frische Detail werde zerpflückt, Diskrepanzen würden gesucht, Journalisten zerrten inkompetente Menschen in den Blickpunkt, auf dass sie vor allem Quark erzählten. Überhaupt gebe es zu viel negative Betonung, meinte der Mann aus Erlangen. „Lass’ uns doch mal herausheben, was wirklich gut gelaufen ist.“ Natürlich sei in einer freien Gesellschaft eine zentral gelenkte Kommunikation undenkbar, räumte Bogdan ein, gab aber auch zu, dass ihm weniger, dann aber seriöse Beiträge viel lieber wären als der vielstimmig und andauernd donnernde Impfdebatten-Chor. „Es gibt doch auch noch andere Themen!“

Es war schade (vielleicht besonders aus journalistischer Sicht), dass dieser markig vertretene Ansatz in der eher zügigen Diskussion (viele Teilnehmer, viele Chatfragen, wenig Zeit) nicht wirklich vertieft wurde. Immerhin aber gab es mehrere Beiträge in der von Bogdan eingeschlagenen Richtung. Prof. Dr. Klaus Cichutek, der Präsident des für die Zulassung (nicht für die Empfehlung!) zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts, gab an, eine allgemeine Ermüdung durch Impfdebatten auszumachen. „Es ist schwierig und in gewisser Weise müßig, gegen Fake News vorzugehen“, sagte er. Die „schwer zu kriegenden“ Leute, glaubt Cichutek, würden sich wohl eher im privaten Kreis vom Sinn einer Impfkampagne überzeugen lassen als durch die Verlautbarung 08/15. Im Übrigen betonte der PEI-Chef den Nutzen des Meldesystems in puncto Impfkomplikation und den Informationsaustausch der verschiedenen Institutionen hierzu, allen voran mit der Stiko. „Das System funktioniert“, sagte Cichutek und steuerte dann auch noch die schöne Formulierung bei, Deutschland sei ein „Schlaraffenland der verschiedenen Impfstoffe“.

Corona-Impfstoffe sind gar nicht so besonders

Auch der Dortmunder Immunologe Prof. Dr. Carsten Watzl ging auf die Besonderheiten der coronabezüglichen Impfdebatten ein. Immer wieder habe er Äußerungen à la „Ich bin ja sonst gegen alles geimpft, aber…“ zur Kenntnis genommen. Entsprechend wichtig finde er es, die Menschen davon zu überzeugen, dass der Corona-Impfstoff keineswegs so eine spezielle und irgendwie unheimliche Sache sei, schon gar nicht der mRNA-Impfstoff. Aber manche Menschen, meinte Watzl, hätten wohl bei dieser Gelegenheit erstmals bemerkt, wie das eben zugehe in der Wissenschaft – und dass neue Daten und neue Erkenntnisse halt neue Beschlüsse und andere Empfehlungen nach sich ziehen.

Der Aspekt des „Unheimlichen“ wurde gleich zu Beginn der Diskussion von der Erfurter Psychologie-Professorin Cornelia Betsch etwas näher beleuchtet. Sie hat in mittlerweile 59 Befragungen die Einstellungen der Menschen zur Impfung zu erhellen versucht. Und auch wenn die große Mehrheit der Wissenschaft vertraue (und sich impfen ließ) und obgleich der Wissenschaftsjournalismus in Deutschland zum Teil eine beachtliche Tiefe bei der Darstellung der Themen erreicht habe: Etwa elf Prozent der Menschen sind den Erfurter Befragungen zufolge trotzdem nicht überzeugt worden – oft erfüllt von der Vorstellung, ihnen solle da irgendwas Unverständliches mit rätselhaften Folgen in den Körper gespritzt werden. Das Ziel müsse sein, so Betsch, dass die Behörden klarer kommunizieren, dass gutwillige Bürger mithilfe von „Gesprächskarten“ in die Lage versetzt werden, Diskussionen ballsicher zu bestreiten, und dass die Pandemiebekämpfung insgesamt schneller wird.

Brinkmanns Briefkasten-Frage

Mit solchen Forderungen rennt man bei der Virologin Prof. Dr. Melanie Brinkmann sozusagen offene Türen ein. Die Braunschweigerin hat die Pandemie als „kommunikatives Desaster“ erlebt. Unzählige Zuschriften an sie selbst – die ja oftmals in großen Talkshows publikumswirksame Auftritte hatte – bestätigten sie in dieser Ansicht ebenso wie die Erkenntnis, dass „selbst Ärzte grundlegende Dinge nicht verstanden haben“. Deutschland sei schlecht vorbereitet gewesen, was schon der Blick auf das Spannungsfeld Digitalisierung-Datenschutz am Beispiel der Corona-Warn-App-Hakeleien beweise.

„Warum landet keine vernünftige Impfaufklärung in meinem Briefkasten?“, fragte Brinkmann außerdem. Sie forderte, die Gesundheitskommunikation müsse allgemein unbedingt angekurbelt und modernisiert werden. Von der neuen Bundesregierung erwarte sie hier verstärkten Einsatz. Dass trotz aller nationalen Bemühungen der Blick in andere Länder nicht unterbleiben solle, auch diesen Appell brachte Brinkmann noch unter.

Auch wenn diese Runde nicht als Diskussion im Sinne von Rede und Gegenrede angelegt war – eigentlich widersprach hier keiner niemandem –, so untermauerte sie gleichwohl die Erkenntnis, wie vielfältig und wie neuartig die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Immunologie und Virologie durch die pandemische Katastrophe herausgefordert werden. Und dass im Zuge der Debatten auch in diesem Kreis zum Teil Selbstkritik und sogar Demut aufgekommen ist. „Wir müssen auch die Dinge ansprechen, die wir nicht wissen“, forderte das Stiko-Mitglied Prof. Bogdan. Es sei ein Kardinalfehler, so zu tun, als wisse man alles über Impfstoffe. „Menschen haben mehr Vertrauen, wenn man sich zum Restrisiko bekennt.“