Braunschweig. In Berlin protestieren Praxismitarbeiter für mehr Anerkennung in der Pandemie. Eine Braunschweiger Praxis plant dazu eine besondere Aktion.

Am Empfang klingeln pausenlos die Telefone, an der Tür stehen unangemeldete Patienten – und dann müssen noch Impfstoff-Bestellungen abgearbeitet und zig Dokumentationsbögen ausgefüllt werden. Für Bettina Reupke und ihre Kolleginnen in der Hausarztpraxis in Braunschweig-Lamme gibt es keine Verschnaufpause mehr. Seit Beginn der Impfkampagne arbeiten die Medizinischen Fachangestellten – wie andere Praxisteams landauf landab – im Ausnahmezustand und ein Ende ist so schnell nicht in Sicht. „Wir sind alle erschöpft“, sagt Reupke.

Ein großes Problem sind nach wie vor die schwankenden Impfstoff-Lieferungen und ständig wechselnde Vorgaben. 60 Dosen Biontech bestellen die Mitarbeiterinnen beispielsweise jede Woche, weil das nach wie vor der beliebteste Impfstoff ist. Doch zur Verfügung stehen am Ende meist deutlich weniger, die Mengen variieren von Woche zu Woche, das macht die Planung so schwer. „Wir sind froh, wenn wir überhaupt genug Biontech für die unter 30-Jährigen zur Verfügung haben“, sagt die Medizinische Fachangestellte (MFA). Für jene Gruppe also, die aufgrund der Empfehlung der Ständigen Impfkommission, etwa gar nicht mit dem Vakzin Moderna geimpft werden sollte. Immer wieder kommt es zu Engpässen bei den Impfstoffen, sagen Patienten spontan Termine ab, weil sie ihren bevorzugten Impfstoff dann doch noch woanders bekommen haben, der organisatorische Aufwand ist enorm. Hinzu kommen Gespräche über Quarantäne und Isolation. Corona-Tests, die schnell mal eben zwischengeschoben werden müssen.

Praxismitarbeiterin: Wir sind manchmal die Blitzableiter

„Die Telefone sind wegen der Anfragen blockiert“, sagt Reupke. Wer akut krank sei oder Schmerzen habe, käme oft gar nicht mehr durch. Patienten seien oft verunsichert, weil sie nicht mehr wüssten, welche Regeln oder Impf-Empfehlungen gerade gelten. Dazu käme eine Erwartungshaltung, die manchmal schwer zu erfüllen sei, wie die Praxismitarbeiterin bestätigt. Beschimpfungen, Beleidigungen – auch das sei keine Seltenheit mehr. „Wir sind manchmal die Blitzableiter.“

Dass nicht nur Pflegekräfte oder das Krankenhaus-Personal in dieser Pandemie Außerordentliches leisten, ist inzwischen hinreichend thematisiert worden. Auch die Mitarbeiter in den Arztpraxen sind extrem belastet – und halten trotzdem Tag für Tag den Betrieb aufrecht. Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, findet in Berlin am Mittwoch zum zweiten Mal die bundesweite Aktion „MFA am Limit“ statt – unter der Organisation des Verbandes medizinischer Fachberufe. „Wichtiges Ziel ist es vor allem, dass die Arbeit der Fachangestellten mehr wertgeschätzt wird“, sagt Dr. Ilka Aden, stellvertretende Vorsitzende des Hausärzteverbands in Braunschweig. Dieser ruft seine Mitglieder deshalb dazu auf, die MFAs und ihr Anliegen zu unterstützen.

Hausarztpraxis in Braunschweig unterstützt bundesweite Protest-Aktion

Weil nicht alle Praxismitarbeiter so kurzfristig nach Berlin reisen können, haben sich Dr. Aden und das Team der Gemeinschaftspraxis in Lamme eine besondere Aktion überlegt: Die Medizinischen Fachangestellten werden dort am Mittwoch nicht ihrer gewohnten Arbeit nachgehen. Stattdessen werden die Ärzte an der Anmeldung sitzen, die Aufgaben ihrer Mitarbeiter im Labor, in der Diagnostik und in der Verwaltung übernehmen. Ilka Aden ist sich sicher: „Das wird zu erheblichen Wartezeiten und Unmut bei Patienten führen.“ Sie hofft aber, mit ihnen über die Wertschätzung und den in den letzten Jahren zunehmend raueren Umgangston am Tresen ins Gespräch zu kommen.

Mehr Anerkennung, mehr Wertschätzung für das Praxispersonal – das fordert auch Thorsten Kleinschmidt, Bezirksausschuss-Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen in Braunschweig. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hatte Ende vorigen Jahres einen steuerfinanzierten Corona-Bonus für Medizinische Fachangestellte und Mitarbeiter in den Praxen gefordert. Die besonderen Leistungen, Belastungen und Bewährungen des Praxispersonals in der Pandemie müssten genauso wertgeschätzt werden, wie die der Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen. „Ohne das Praxispersonal bricht die ambulante Versorgung zusammen“, betont Kleinschmidt. Dass ein Corona-Bonus für diese Berufsgruppe von der Politik abgelehnt wurde, stößt bei ihm auf Unverständnis. „Das ist eine Ungleichbehandlung, die nicht nachvollziehbar ist.“

Die Medizinischen Fachangestellten sehen kein Licht am Ende des Tunnels

Der Verband medizinischer Fachberufe kündigt an, nicht locker zu lassen Schließlich seien es auch die Praxismitarbeiter, die in Krisenzeiten die Gesundheitsversorgung aufrecht erhalten. „Ohne die Medizinischen Fachangestellten wären die mehr als 72 Millionen Corona-Impfungen, die seit April 2021 in den Arztpraxen vorgenommen wurden, nicht möglich gewesen“, heißt es. In den Arztpraxen wurden bislang knapp 48 Prozent der insgesamt rund 151 Millionen Dosen verimpft, in einigen Regionen, wie in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sogar über 50 Prozent.

Und die nächsten Auffrischungen sind schon in Sicht. „Für MFA heißt das: Sie sehen kein Licht am Ende des Tunnels“, fasst Hannelore König, Präsidentin des Verbandes medizinischer Fachberufe, die Stimmung unter den MFA zusammen. „Sie sind – wie die Pflegekräfte in den Kliniken – die heimlichen Heldinnen und Helden im Gesundheitswesen. Nur dass sie keiner sieht.“

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