Braunschweig. Die Ärzteschaft ist empört darüber, Impfungen vor allem mit dem Impfstoff von Moderna bestreiten zu sollen. Die Furcht: noch mehr Organisation.

Wäre es nicht sinnvoll, die sehr gute Wirksamkeit des Impfstoffes von Moderna herauszustellen? Manche Artikel halte ich für kontraproduktiv. Überschriften wie „Hausärzte entsetzt über die Ankündigung, verstärkt mit Moderna zu boostern“ können Menschen auf den Gedanken bringen, es wäre schlecht, mit Moderna geimpft zu werden…

Das fragt unsere Leserin Ines Eder.

Zum Thema schreibt Harald Likus.

Der Einwurf der Leserin ist gut nachvollziehbar. Die Ankündigung, für Auffrischungsimpfungen in den Praxen demnächst vor allem auf den Impfstoff von Moderna statt auf von Biontech zu setzen, wirft keine medizinischen Probleme im engeren Sinne auf. Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betont am Montag: „Moderna ist ein guter, sicherer und sehr wirksamer Impfstoff.“ Leider sei der Eindruck entstanden, räumt Spahn ein, man würde – angesichts der Biontech-Knappheit – nur deshalb auf den US-Impfstoff verweisen, da es sonst Engpässe gäbe.

Landesminister machen Druck

Mehrere Studien kommen in der Tat zu dem Ergebnis: Erst- und Zweitimpfung Biontech, Booster-Impfung Moderna, dies sei eine besonders gute Impfschutz-Formel. Also alles paletti? Nichts da, Ärztinnen und Ärzte gehen auf die Barrikaden. Von einer „Sauerei“ spricht Dr. Carsten Gieseking vom Landesverband der Hausärzte gegenüber unserer Zeitung. Das Ärzteparlament in Niedersachsen verlangt, die „gravierende Fehlentscheidung“ zu revidieren. Und tatsächlich verheißt Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) am Montagabend, dass aus Berlin auf Drängen der Landesgesundheitsminister eine „Kurskorrektur“ angekündigt werde. Es könne wohl doch mehr Biontech-Impfstoff geben, was die Ministerin – bei allem Respekt vor Moderna – aus psychologischen Gründen erfreulich findet. „Wir wissen, dass es beim Impfen neben dem Gesundheitsschutz auch um Vertrauen geht.“

In der Ärzteschaft hat der Zorn zu tun mit der Sorge, dass organisatorischer Mehraufwand, Terminverlegungen, beratungsbedürftige oder gar wütende Patienten den Praxen das Leben noch schwerer machen, als es ohnehin schon ist. „Minister Spahn steht bei uns im Wort – und wir stehen bei unseren Patienten im Wort“, sagt der Braunschweiger Arzt und Impf-Experte Dr. Wolfgang Schneider-Rathert zu den nun fraglichen „Biontech-Aussichten. Und Dr. Uwe Köster von der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen sagt generell: Die Lage ist angespannt. „Die Praxen sind am Limit.“

Köster ist es auch, der die zahlenmäßige Einordnung des Themas ermöglicht. Derzeit sind 1221 Praxen in Niedersachsen an den Impfungen beteiligt. Die Zahl ist ernüchternd. Vor 10 Tagen sprach Detlef Haffke (ebenfalls KVN) gegenüber unserer Zeitung von 1500 beteiligten Praxen, vor allem aber auch von einer steigenden Tendenz. „Ja, diese Tendenz spiegeln unsere Zahlen noch nicht wider“, sagt Köster, „vielleicht haben wir in drei, vier Tagen wieder höhere Zahlen.“ Außerdem verweist er auf die 180 Impf-Schwerpunkt-Praxen in unserem Bundesland, die auch am Wochenende piksen – erwähnt dann aber auch noch, dass der Ärger über die Begrenzung der Biontech-Anlieferungen „einzelne Ärzte“ dazu gebracht habe, an der Impfkampagne nicht länger teilzunehmen.

„Wir bekommen das organisiert“

Nicht zu dieser Gruppe gehört Dr. Marion Renneberg, Ärztin in Ilsede und stellvertretende Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen. Im Gespräch mit unserer Zeitung sagt sie zunächst einmal was Positives über das in den Praxen ungewohnte Boostern: „Wir bekommen das organisiert, davon bin ich fest überzeugt.“ Eilig fügt die Ärztin hinzu, wie großartig sie die Einstellung finde, mit der Praxisteams landauf, landab versuchten, mit all den neuen Regelungen und Herausforderungen zurechtzukommen.

Doch auch Marion Renneberg versucht sich nicht am Gesundbeten der Lage. Viele chronisch Kranke seien zu behandeln, die wegen der Pandemie zu lange nicht beim Arzt gewesen seien. Ohnehin sei jetzt „Infektionszeit“, auch von Corona abgesehen. Sodann würden einige Impftermine von Patienten abgesagt oder versäumt, weil sie woanders schneller zum Zuge kommen. Und jetzt noch das Biontech-Problem… „Es ist wirklich schwierig“, sagt Renneberg. Sie macht sich Sorgen bezüglich der ausstehenden Moderna-Empfehlung für Menschen unter 30. Auch fürchtet sie, dass in kleinen Praxen wegen der größeren Moderna-Einheiten mehr Impfreste anfallen. Zuletzt ahnt Renneberg, dass mühsam ergatterte (und mühsam vergebene) Termine ins Wackeln geraten, weil der Impfstoff von Biontech nun mal die beste Reputation habe. „Deshalb meine Bitte an alle Patienten: Bleiben Sie bei Ihrem Termin!“