Braunschweig. Er war Kaufmann, Lebemann und Moralist, schreibt Eckhard Schimpf in der biografischen Abhandlung über den Gründer unserer Zeitung.

Vom Flüchtling zum Braunschweiger Pionier: Hans Eckenberger

Der Geruch von Pferdemist, Gülle und Kuhfladen umhüllte Hans Eckensberger, als er am Abend des 30. Mai 1945 kurz vor der nächtlichen Sperrstunde an der Wohnungstür seiner Schwester Elli Hoffman am Ritterbrunnen Nummer 6 in Braunschweig klingelte. Kein Wunder; er und seine Frau hatten auf ihrer viertägigen Reise auf Fahrrädern von Leipzig nach Braunschweig stets in Ställen und Scheunen übernachten müssen. Eckensberger trug – wie er später erzählte – einen Regenmantel aus Gummi und Knickerbocker. Sein persönlicher Besitz? Ein paar Habseligkeiten in einem Rucksack. Das war alles.

Dann der Wandel: Wenn dieser Hans Eckensberger 12 oder 15 Jahre später im beigefarbenen Kaschmirmantel, mit Seidenschal und in handgemachten Budapester-Schuhen über das knarrende Parkett des alten Pressehauses am Hutfiltern 8 in sein Büro stürmte, wehte ein Duft von Chanel über den Flur. Erst nach einer ganzen Weile roch es wieder nach Bohnerwachs und Druckerschwärze. Verleger Hans Eckensberger liebte Luxus und Internationalität. Er, der im Januar 1946 die „Braunschweiger Zeitung“ gegründet hatte, konnte sich das Wohlleben leisten. Er war innerhalb von zehn, zwölf Jahren reich geworden.

Verlagsgründer Eckensberger war sogar beim Churchill-Interview

Als Erster in Braunschweig kaufte er einen luxuriösen 300er-Mercedes, er urlaubte auf Hawaii, flog zum Churchill-Interview nach London, dinierte mit Axel Springer. Er besaß ein Schloss an der Loire und ein Appartement in Paris. Kurz: Er schwebte, wie es schien, auf einer Wolke leiser Verachtung über dem redaktionellen Tagesgeschäft. Doch zuweilen wirbelte er durchaus mit kribbeliger Intensität und voller Ideen durch die verräucherten Kartausen seiner Journalisten. Oft mit einer Flasche Remy Martin im Arm.

Wer war Hans Eckensberger? Dieser frankophile Mann, der dem französischen Philosophen Jean-Paul Sartre ein wenig ähnelte (und ihn auch schätzte), startete mit Erlaubnis der britischen Besatzungsmacht die erste Nachkriegszeitung in Niedersachsen. Als Verleger und Chefredakteur gelang es ihm, mit diesem Blatt und den zahlreichen Lokalausgaben – vom Südharz über Bad Gandersheim bis Wolfsburg/Gifhorn, von Peine bis Helmstedt – nahezu das gesamte ehemalige Land Braunschweig abzudecken.

Nach dem Regime waren freie Nachrichten begehrt

Druckerei Limbach am Hutfiltern.
Druckerei Limbach am Hutfiltern. © Norbert Jonscher | Norbert Jonscher

Die Auflage schnellte hoch bis über 200.000 Exemplare. Die BZ eroberte problemlos ihren Markt. Konkurrenten wie die „Braunschweiger Nachrichten“ oder die „Braunschweiger Presse“, ein Madsack-Ableger aus Hannover, gaben bald auf. Daneben bot der Verlag Limbach am Hutfiltern (Reklame-Slogan: „Das Haus ohne Rast und Ruh’“) ein vielfältiges Programm. Nicht nur der Hunger nach Information aus einer freien Presse war in den Jahren nach 1946 ungeheuer, auch Bücher – in der Nazizeit vielfach verboten (wie etwa die Werke von Thomas Mann) – erwiesen sich als heiß begehrte Ware.

Selbst auf dem Schwarzmarkt. Alles wurde bei der BZ gedruckt: Klassiker-Reihen, Braunschweig-Bände, die Moewig-Liebesromane, Kinderbücher, die Wildwest-Schmöker von Tom Mix, natürlich auch Kataloge, Briefbögen, Plakate. Die Geschäfte im Pressehaus am Hutfiltern boomten.

Eckensberger war Freund von Innovationen

Hans Eckensberger, der clevere Kaufmann, war kein grandioser Schreiber. „Ich lasse schreiben“, schmunzelte er gern. Aber er besaß ein Gespür für Themen, für Leser-Interesse und für Innovationen. So erschien einmal die Seite 1 der „Braunschweiger Zeitung“ im Golddruck. Im Frühling überraschte er seine Leser mit einer „Duftzeitung“, und von Bayer ließ er mal eine Zeitungsanzeige entwickeln, die erst durch Erwärmung mit dem Bügeleisen sichtbar wurde. Ach, ja: Der 3-D-Druck. Eines Tages verbarg sich zwischen den Seiten eine Blau-Rosa-Pappbrille. Niemand, der sie nicht sofort vor die Augen schob. Ein Blick, und nun wurden Texte und Fotos dreidimensional sichtbar!

Da zeigte sich Eckensbergers Sinn für PR – dies Wort gab es allerdings damals noch nicht. Und er ließ klotzen: Von der BZ-Weihnachtsmann-Parade über Seifenkistenrennen und Info-Shows an den Wahlabenden bis hin zum Fußballspiel „Braunschweiger Zeitung“ gegen Theater vor 10.000 Zuschauern im Stadion der Eintracht, die ihm 1934 „wegen anti-nationalsozialistischer Haltung“ seine Vereinsmitgliedschaft gekündigt hatte. Nun, nach 1949, als der ehemalige Nazi-Club wieder den Namen „Eintracht“ tragen durfte, saß auch Hans Eckensberger wieder auf der Tribüne, wenn die blau-gelbe Fußball-Elf spielte.

Ein Setzer arbeitet bei der Braunschweiger Zeitung (1954).
Ein Setzer arbeitet bei der Braunschweiger Zeitung (1954). © Norbert Jonscher

In allem offenbarte sich Eckensbergers Bekenntnis zum Lokaljournalismus, der „die Identitätsbasis einer Zeitung zementiert.“ Der dazu passende Slogan lautete: „Weltoffen und heimatverbunden.“ Das mag heute banal klingen. Doch wir blicken in eine Zeit, die mehr als sechs bis sieben Jahrzehnte zurückliegt. Und weil „Ecke“, wie ihn alle nannten, stets den Regional-Bezug suchte, zitierte er öfter den Braunschweiger Dichter Wilhelm Raabe: „Sieh nach den Sternen, hab’ acht auf die Gassen.“ Der Spruch hing auch an der Wand hinter seinem Schreibtisch.

Berühmte Journalisten waren bei der Braunschweiger Zeitung

„Ich entscheide aus dem Bauch“, pflegte Eckensberger zu sagen. Tatsächlich schien er auch bei der Auswahl seiner Journalisten eine glückliche Hand zu haben. Das wird sichtbar, wenn man die späteren Lebenswege damaliger BZ-Journalisten verfolgt. Da waren Wolfgang Becker (später beim „Spiegel“), Hans Wörner (er schrieb Bücher, Serien für „Quick“ und „Stern“), Günter Gaus (Chefredakteur vom „Spiegel“), Dietrich Lachmund („Spiegel“), später Jürgen Bertram (Schriftsteller und ARD-Korrespondent für Asien), Lutz Krusche („Spiegel“-Mann in Paris), Hermann Denecke (ARD-Korrespondent Neu Delhi), Heiner Stelter (NDR-Moderator der „Schaubude“). Die Reihe der Erfolgreichen ist lang. Und „der Chef“ stärkte das Selbstbewusstsein seiner Mannschaft auch noch mit Sätzen wie: „Der Journalist ist der erste Mann im Haus. Anzeigen, Vertrieb, Technik – alles hat sich ihm unterzuordnen.“

Die Entnazifizierung reichte nicht bis in den Journalismus

Hans Eckensberger in seinem Büro am Hutfiltern.
Hans Eckensberger in seinem Büro am Hutfiltern. © Archiv

Starten musste Eckensberger 1946 zwangsläufig mit Journalisten, deren Karrieren teilweise erhebliche „braune Schatten“ aufwiesen. Der Grund: Es gab zumindest in den ersten Jahren einfach keine anderen Zeitungsmacher. Fast alle waren auf irgendeine Weise mit der Nazidiktatur verbunden gewesen. Doch die übelsten Nazi-Propagandisten servierte er schnell ab. Zu diesem Kreis muss auch Fritz Sänger gezählt werden, der erste BZ-Chefredakteur und spätere dpa-Geschäftsführer, dessen Durchhalte-Artikel (wie „Deutschland ruft“, „Das Reich in Gefahr“) diesen später hoch geehrten Journalisten in ein zwiespältiges Licht tauchen. Eckensberger setzte zunächst auf den gebürtigen Braunschweiger Juden Albert Neumann, der gleich nach Kriegsende in US-Uniform wieder in seiner Heimat aufgetaucht war. Neumann war ein hoch gebildeter, intelligenter Kopf, aber dem stressigen Alltags-Job des Zeitungmachens nicht gewachsen. Er ging nach wenigen Jahren wieder, gesundheitlich angeschlagen.

Eckensberger suchte deshalb junge Leute ohne NS-Vergangenheit, die er teilweise selbst prüfte und dann berief, wie zum Beispiel Joachim Hosang und Karl-Joachim Krause. Oder auch Hans-Jürgen Heidebrecht und Dr. Arnold Rabbow, die später nacheinander auch Chefredakteure der „Braunschweiger Zeitung“ wurden.

Damals feierten Braunschweiger Journalisten auch mal

Eckensberger ließ seinen Journalisten eine relativ lange Leine. Wilde Feste, die regelmäßig in Dorfmüllers Kantine stattfanden, kümmerten ihn kaum, amüsierten ihn allenfalls. Manchmal stürzte er sich sogar selbst zum „Lumpenball“ in das Bohemien-Leben im „Strohhalm“, wo seine Journalisten wie zu Hause waren. Es war ihm egal, dass Politik-Redakteur Hans-Joachim Hobbing, ein stadtbekannter Frauenschwarm, seinen Schäferhund „Schleumel“ mit in die Redaktion brachte.

Es war ihm egal, dass Peter Ausmeier mittags auf einem Sofa einen ausgedehnten Mittagsschlaf hielt. Es blieb folgenlos, dass Dietrich Lachmund in einem Anfall von Wut über den Verleger seine Schreibmaschine durch das geschlossene Fenster (!) auf den Innenhof der Druckerei schleuderte. Und er lachte, wenn er durch die Technik ging und einer der alten Metteure, die ihn noch aus der Zeit vor dem Krieg kannten, ihm zurief: „Hans. Es ist so warm hier. Gib mal ein Bier aus.“ Schnell wurde dann kastenweise Bier herangeschafft und die Verschlüsse klackten. „Prost Hans“, hieß es dann.

Eckensberger duldete sogar die mehrfachen Exzesse seines hochintelligenten Kommentators und Feuilletonisten Dr. Thomas Flesche, der sich zum Beispiel einmal auf der Zugfahrt zum CDU-Parteitag in Karlsruhe beim Umsteigen abends im Bahnhofsrestaurant in Frankfurt „festsoff“, eine Riesenzeche verursachte und erst durch eine telegrafische Geldanweisung des Verlegers am anderen Vormittag wieder ausgelöst werden konnte. Auf der Positiv-Seite standen indes grandiose Vorträge Flesches. Etwa bei der SPD („Die politische Bedeutung des Schumann-Planes“) oder auch seine Kommentare 1951 im „Remer-Prozess“, die die unpopuläre Position von Generalstaatsanwalt Fitz Bauer erheblich unterstützten.

Nur eines war kompliziert. „Ecke“ spielte für sein Leben gern Skat, wurde aber übellaunig, wenn er verlor. Er hielt sich selbst für extrem ausgefuchst. Wenn er im Pressehaus war, spielte er jeden Mittag (!) mit Hans Ehrhoff und dem Klempner „Mäcke“ Aderholdt ein paar Runden. Beim alljährlichen „BZ-Skat“ war es allerdings so, dass er zuweilen auf weit bessere Spieler traf. Nun mussten die leitenden Redakteure bei der Gruppierung des Turniers sorgsam darauf achten, dass „der Chef“ möglichst siegte. Oder aber zumindest erst in der Endrunde knapp scheiterte. Das gelang meistens. Nach einem Sieg, schwamm „Ecke“ auf einer Welle des Wohlgefühls. Es war dann auch leichter, spätnachts mit ihm an der Theke (etwa im Restaurant „Antoinettenruhe“ in Wolfenbüttel) über eine kostspielige Dienstreise zu verhandeln.

Eckensberger schrieb nicht oft Texte

Noch komplizierter wurde es allerdings, wenn Eckensberger selbst mal einen Artikel schrieb. Er äußerte dann wohl leicht dahin: „Wenn es nichts ist, könnt Ihr es wegwerfen.“ Was für ein Ansinnen. Ich sehe noch den Chef vom Dienst Georg Santé vor mir, mit grünem Schirm über den Augen und Ärmelschonern am weißen Oberhemd. Er brütete über einem Eckensberger-Text. Mich ritt der Teufel, und ich sagte: „Sie redigieren ja gar nicht.“ Santé legte den Kopf schief, sah mich unfreundlich an und brummte: „Quod licet jovi, non licet bovi. Sie haben doch Latein gehabt. Oder?“

Grundsätzliche Anmerkungen waren bei Eckensberger nicht selten. Wenn er mal da war, dozierte er gern. Über Politik, über das Lokale, über das Feuilleton. Manche seiner Zitate blieben durchaus im Gedächtnis haften: „Kultur“, sagte er mal, „domestiziert das Schwein im Menschen.“ Und: „Wir müssen das Nazi-Gift aus den Köpfen tilgen. Auch das Versagen der deutschen Kultur hat das Nazi-Regime ermöglicht“, betonte er und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. „Deshalb sind Kunst, Theater, Musik, Literatur so wichtig.“

Auch sprachlich sollte die Braunschweiger Zeitung sich verändern

Die Bewältigung der Nazi-Zeit und ihrer Verbrechen – das war Eckensbergers großes Thema. Ihn ärgerte zutiefst, dass die Gesellschaft in diesen ersten Nachkriegsjahren nicht in der Lage war, für das Grauen der Nazizeit Verantwortung zu übernehmen. Ihn bekümmerten der Antisemitismus, die immer noch vorhandenen Sympathien für den Nationalsozialismus und das freche Auftreten vor Gericht von Naziverbrechern wie Klagges oder Remer. Deshalb lud er zuweilen vor allem für die Jungredakteure oder Volontäre hochklassige Redner ein. Etwa Fritz Bauer, den Frankfurter Generalstaatsanwalt, der zuvor jahrelang in Braunschweig tätig gewesen war. Oder auch Hans Habe, den Romanschriftsteller und Kommunisten-Hasser, der 1945 im Auftrag der US-Armee im Pressehaus am Hutfiltern mit dem „Braunschweiger Boten“ die erste Zeitung nach Kriegsende herausgebracht hatte.

Eckensberger kämpfte nicht nur für aufrüttelnde, demokratische Inhalte, sondern auch um „sprachliche Entnazifizierung“, wie er es nannte. Einmal stürmte er wütend in die Sportredaktion, warf einen Seitenabzug auf den Tisch und brüllte: „Ich will so was nicht in meiner Zeitung lesen!“ Und dann strich er mit seinem Rotstift so rigoros über den Text, dass das Papier zerriss. Anlass für die Erregung waren zwei Worte: „Bombe“ in einem Fußballbericht und „Trommelfeuer der Fäuste“ in der Schilderung eines Boxkampfes.

Für solche Empfindsamkeiten gab es Gründe. Die zwölf Jahre des „Dritten Reichs“ hatten Hans Eckensberger übel mitgespielt. Zu Beginn der Nazi-Herrschaft war er Verlagsdirektor, auch Redakteur (und kurzzeitig Chefredakteur) der „Braunschweiger Neuesten Nachrichten“ gewesen, die sein Vater Hugo Eckensberger seit 1909 jahrelang geleitet hatte.

Das Nazi-Regime schikanierte den Verlagsgründer

Die Tätigkeit musste Hans Eckensberger aufgeben, weil nach dem Schriftleitergesetz vom 1.1.1934 niemand im Verlagswesen und in der Presse tätig sein durfte, der mit einer nichtarischen Person verheiratet war. Das traf bei Eckensberger zu; denn seine Frau, die Schauspielerin Margarete Friedmann, entstammte einer jüdischen Familie und hatte deshalb bereits ihr Engagement am Braunschweiger Staatstheater verloren.

Vom 5. Dezember 1933 bis 3. August 1934 musste Eckensberger außerdem wegen „Verleumdung des Führers“ im Braunschweiger Rennelberg-Gefängnis büßen. Er hatte abends in weinseliger Runde in der „Raabe-Stube“ Hitler als „Witzfigur“ und „eine Schande für Deutschland“ bezeichnet. „Ein Jahr Gefängnis für eine Wühlmaus“ lautete die Überschrift des Zeitungsberichtes über die Gerichtsverhandlung gegen Hans Eckensberger. Die Zeitung, die er einst geleitet hatte, wurde später verboten und der Titel („BNN“) mit dem Nazi-Blatt „Braunschweigische Landeszeitung“ verschmolzen.

Hans Eckensberger ging nach seiner Haft zurück in seine Geburtsstadt Leipzig und lebte dort relativ unauffällig mit seiner Frau, die – weil in „privilegierter Mischehe“ vorerst geschützt – einem Transport ins KZ gerade noch entgehen konnte. Eckensberger arbeitete in der Papiergroßhandlung Hoppe Co, deren Mitinhaber er war. Die Firma gehörte zum verästelten Firmen-Konglomerat der Verlegerfamilie Leonhardt/Voigt, die auch die „Braunschweigische Landeszeitung“ und weitere Blätter besaß. Es zählte zu den Merkwürdigkeiten jener Epoche, dass dieser Leonhardt-Konzern zwar von dem hochrangigen SS-Sturmbannführer und glühenden Nationalsozialisten Harald Voigt gesteuert wurde, aber Eckensberger und seine Frau dennoch von anderen Mitgliedern dieser Familie vor der Gestapo verborgen wurden. Harald Voigt war mit Isolde, der Tochter des Kommerzienrats Gottlieb-Paul Leonhardt, verheiratet. Und dieser Patriarch und Senior-Chef des Dresdner Presse-Imperiums hielt wohl stillschweigend seine schützende Hand über das Ehepaar Eckensberger. Diese Verbindung war später die Basis für Eckensbergers Start als Verleger in Braunschweig.

Hans Eckensberger war ein Teil des Stauffenberg-Attentats

Wahlabend am Pressehaus 1953.
Wahlabend am Pressehaus 1953. © Archiv

Hans Eckensberger ging sogar das Wagnis ein, sich im Umfeld jener Männer zu engagieren, die am 20. Juli 1944 unter Stauffenbergs Führung das Attentat auf Hitler starteten. Er hatte in der Papierhandlung, zu der auch ein Lumpen-Sammelzentrum gehörte, ein Versteck vorbereitet. Es sollte Carl Goerdeler dienen, dem ehemaligen Oberbürgermeister Leipzigs, den der Stauffenberg-Kreis zum Reichskanzler hatte wählen wollen. Goerdeler wurde dann 1945 hingerichtet. In jenen Tagen war die Papierhandlung Hoppe Co schon geschlossen worden. Eckensberger musste in der Organisation Todt als Hilfsarbeiter im Straßenbau schuften. Ehefrau Margarete (nach Nazi-Jargon „jüdischer Mischling ersten Grades“) arbeitete im 12-Stunden-Akkord in einer Spinnerei, tauchte aber in den letzten, wirren Kriegswochen in einer Gartenbude unter, so dass ihr ein KZ-Schicksal erspart blieb. Schon Mitte April 1945, als Hitler noch im Berliner Führerbunker seinen letzten Lebenstagen entgegenwütete, war Leipzig von den Amerikanern erobert worden. Hans Eckensberger plante sofort seine Zukunft. Er besaß und besorgte sich vielerlei Papiere, die seine Frau und ihn eindeutig als Nazi-Geschädigte auswiesen.

So kam es zur Gründung der Braunschweiger Zeitung

Es gelang sogar ein Kontakt zu Kommerzienrat Leonhardt. Dessen Tochter Isolde übergab den Eckensbergers ein Päckchen mit 80 Tausendmark-Scheinen. Das Geld sollte als Starthilfe für eine neue Zeitung in Braunschweig dienen; denn – so die Überlegung – eine Zeitung braucht jede Macht, jede Regierung. Diese 80.000 Reichsmark, so erzählte Eckensberger später, versteckte er auf listige Weise. Da das Ehepaar natürlich kein Auto besaß, wollten die beiden auf Fahrrädern von Leipzig nach Braunschweig reisen, um alte Besitzansprüche geltend zu machen und um eventuell die Voigtsche Druckerei Limbach übernehmen zu können – so war die Überlegung. Und in die vier Reifen der Fahrräder stopften sie nun das Geld hinein, das als Startkapital gedacht war.

Bei „glühend heißem Wetter“ (Eckensberger) strampelten die beiden dann im späten Frühling 1945 tatsächlich bis Braunschweig. Sofort begann Hans Eckensberger Verhandlungen mit der englischen Besatzungsmacht. Seine Chancen standen bestens: Von den Nazis verfolgt und ins Gefängnis gesperrt, seine Frau aus jüdischer Familie stammend, er selbst Journalist und sogar versehen mit einem Batzen Geld der Familie Leonhardt/Voigt – und später folgten von dort und von seiner Schwester Elli Hoffmann weitere 700.000 Mark mit der Bedingung einer stillen Beteiligung. Wer sollte Hans Eckensberger mit diesen Trümpfen ausstechen?

Briten prüften Zeitungs-Optionen in Braunschweig

Zwar hatten die Briten zunächst drei Zeitungen mit unterschiedlicher Ausrichtung für Braunschweig geplant: Bürgerlich, sozialdemokratisch, kommunistisch. Doch das erwies sich schnell als illusorisch. Es gab schlicht keine geeigneten Verleger! Schließlich wurde von den Engländern ein Blatt favorisiert, dass zunächst mehr sozialdemokratisch geprägt sein sollte. Der Grund: Früher, in der Weimarer Republik, habe Braunschweig stets mehrheitlich sozialdemokratisch gewählt. Die spätere Entwicklung werde sich dann ergeben, so die Planung der Engländer.

Es gab Verhandlungen hin und her, genaue Prüfungen seines Lebenslaufes. Und am 19. Dezember 1945 erhielt Eckensberger dann tatsächlich die Lizenz. Vorgabe der Briten: „Keine Parteizugehörigkeit, unabhängig, aber etwas stärker nach links orientiert.“ Ferner wurde verlangt, dass Eckensberger die Redaktion der SPD-nahen und kurz zuvor von den Engländern 1945 für wenige Wochen installierten „Braunschweiger Neuen Presse“ übernehmen sollte. So wurde Fritz Sänger erster Chefredakteur der „Braunschweiger Zeitung“.

Erste Redakteure flogen wegen brauner Rhetorik

Schon neun Monate später entließ Eckensberger die ihm aufgezwungene Redaktion. Er berief sich dabei auf den Kernsatz der Genehmigung: „Der Lizenznehmer ist verantwortlich für jedes veröffentlichte Wort.“ Diese Verantwortung wollte er nun nicht mehr Fritz Sänger überlassen, der mehrfach Meinungen abgedruckt hatte, die der britischen Besatzungsmacht schwer missfielen. Eckensberger warf also „leichten Herzens“ (wie er später betonte) die vier leitenden Redakteure raus, die allesamt schon in der Hitlerzeit aktiv gewesen waren (Sänger gehörte sogar bis Kriegsende in Berlin der ständigen Goebbelsschen-NSDAP-Pressekonferenz an). Eckensberger war nun nicht mehr nur Verleger, sondern auch Chefredakteur.

Helga Eckensberger berief Chefredakteure

Mit der SPD-Nähe kokettierte Eckensberger relativ lange. Vielleicht mit Rücksicht auf die alten Abmachungen mit den englischen Besatzern. Ob er selbst je ein Sozialdemokrat gewesen ist, darf man bezweifeln. Er blieb eher ein skeptischer Konservativer, der im Redaktionsalltag klugerweise eine weitgehende Liberalität walten ließ. Eine glänzende, machtvolle Karriere begann. In Braunschweig geschah nichts, ohne dass Hans Eckensberger zumindest gehört wurde. 20 Jahre prägte er das Leben der Stadt und der Region ganz wesentlich mit. In den ersten 20 Jahren blieb Eckensberger zwar laut Impressum Chefredakteur, doch die Tagesarbeit erledigten – zumal „Ecke“ viel auf Reisen war – überwiegend die stellvertretenden Chefredakteure. Zunächst Albert Neumann, dann Albert Schwibbe und Georg Santé. Erst nach Eckensbergers Tod am 13. Januar 1966 berief seine Witwe und Erbin Helga Eckensberger wieder „echte“ Chefredakteure. Die Reihe begann mit Georg Santé, Hans-Jürgen Heidebrecht, Dr. Arnold Rabbow.

Hans Eckensbergers zweite Frau Margarete war schon 1951 zu Grabe getragen worden, nachdem sie – gerade zurückgekehrt von einer strapaziösen Reise nach Brasilien – in der Badewanne einen Herzschlag erlitten hatte. Eckensbergers dritte Ehefrau Helga wurde 1973 ermordet und danach – es ist geradezu eine Art „Treppenwitz der Geschichte“ – fiel der Besitz der „Braunschweiger Zeitung“ (plus Limbach-Druckerei) wieder an die ehemaligen Besitzer- Familie Leonhardt/Voigt zurück. Senator Henning L. Voigt, der Sohn der Leonhardt-Tochter Isolde Voigt, war nun bis zu seinem Tod 1998 Verleger und Herausgeber der Braunschweiger Zeitung. Sie gehört seit 2007 zur FUNKE Mediengruppe in Essen.

75 Jahre Braunschweiger Zeitung

Dieser Text ist Teil unseres großem Themenschwerpunktes zum 75-Jährigen Bestehen der Braunschweiger Zeitung.

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