Wo liegen die Schwächen unserer Zeitung, wo die Stärken? Das hat eine Auszubildende die Führung der Braunschweiger Zeitung gefragt.

Über die Vergangenheit und Zukunft des Journalismus im Allgemeinen und unserer Zeitung im Speziellen, sprach unsere Volontärin Tanja Reeve mit Claas Schmedtje, Geschäftsführer von FUNKE Medien Niedersachsen, Verlagsleiterin Nancy Klatt und der neuen Doppelspitze in der Chefredaktion, Kerstin Loehr und Christian Klose.

Welche Herausforderungen musste die Zeitungsbranche in den 75 Jahren meistern?

Schmedtje Die Gründung der Zeitung nach dem zweiten Weltkrieg geschah in einer schwierigen Zeit. Und die Zeiten sind und werden nicht einfacher – man denke an den Klimawandel, Finanzkrisen oder heute die Corona-Pandemie. Gerade die vergangenen anderthalb Jahre haben uns aber gezeigt, dass die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten im Lokalen weiterhin immens wichtig ist. Wir haben viele Themen, wir müssen diese oft nur komplett anders rangehen.

Wie stellen Sie sich das 100. Jubiläum der BZ vor? Können wir dann noch solche Fotos wie heute – mit Zeitungen in der Hand auf dem Dach – machen?

Loehr Eine sehr schwierige Frage! Sicher bin ich mir, dass die Generation nach uns weiter auf Qualitätsjournalismus setzen wird – auf die schnelle Nachricht und die hintergründige, gut recherchierte Geschichte. Aber die Zukunft liegt ganz klar im Digitalen.

Klose 25 Jahre sind so ein langer Zeitraum. Man muss mal überlegen, was vor 25 Jahren technisch möglich war und was sich digital allein in den vergangenen fünf Jahren verändert hat. 25 Jahre in die Zukunft geblickt, sind im Digitalen ein so langer Zeitraum, den man aus heutiger Sicht nur schwer vorausahnen kann.

Denken wir etwas konkreter und kurzfristiger. Wie wollen wir auch in Zukunft Leser beziehungsweise User erreichen?

Klatt Auf jeden Fall immer mit guter Recherche und journalistischem Handwerk. Das Wichtigste ist, dass wir Menschen thematisch da abholen, wo sie sind beziehungsweise was Ihnen wichtig ist – lokal, regional und auch überregional. Das Gute ist, dass wir mehr Dialogmöglichkeiten mit unseren Lesern und Geschäftspartnern haben und somit auch direkt inhaltlich Themen aufgreifen können. Damit haben wir die Chance, uns inhaltlich breiter aufzustellen, so dass sich die Menschen in den Themen wiederfinden. Unsere große Herausforderung ist es also, mehr relevante Inhalte zu schaffen und diese sowohl technisch als auch in der Aufmachung so zu transportieren, dass sie informativ und nutzwertig für unsere Leserschaft und auch für neue Zielgruppen sind.

Welche neuen Inhalte meinen Sie?

Klatt Neben klassischer Tageszeitung, E-Paper und Meldungen auf unseren Nachrichtenportalen haben wir thematische Newsletter- und Podcastformate entwickelt, die sich stetig wachsender Beliebtheit erfreuen. Zudem ist eine Nachrichten-App in Planung, um einen weiteren Informationskanal zu bieten. Auf Social Media sind wir mit unseren Titeln verstärkt unterwegs und erhalten hier auch direkt Feedback auf unsere Posts.

Schmedtje Ein gutes Beispiel ist das Projekt zu unserer Crime-Serie „Tatort Niedersachsen“: Die Artikel zu spektakulären Kriminalfällen in unserer Region liefen in der gedruckten Zeitung, haben aber auch zu vielen Digital-Abos geführt. Es gibt einen sehr erfolgreichen Podcast zu der Serie und ein Magazin, das einen guten Zuspruch findet. Das ganze Haus hat an einem Strang gezogen. Das zeigt, dass wir sehr lebendig unterwegs und breit aufgestellt sind: Wir wollen unsere Produktepalette ausweiten und die Qualität dabei ausbauen.

Klatt Zu einer ähnlichen Erfolgsgeschichte entwickelt sich gerade unser „Draußen“-Podcast. Das Interesse an Bewegung in der Natur, die Liebe zu dem, was uns umgibt, ist etwas, das die verschiedenen Milieus eint, für die wir hier in unserer Region Journalismus machen.

Herr Schmedtje, wie sehen Sie Ihre Rolle als Geschäftsführer?

Schmedtje Ich versuche, das richtige Ökosystem herzustellen, damit wir gute und erfolgreiche Medien machen können.

„Das richtige Ökosystem“ – was heißt das genau?

SchmedtjeDie Zeitung und alle weiteren Angebote müssen inhaltlich gut sein und Leser aus der Region ansprechen. Wir befinden uns in einer Phase des Umbruchs – und da muss sich die Zeitung neu entwickeln: Es ist schwerer geworden, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu erhalten. Die gedruckte Auflage der Tageszeitungen und die dazugehörigen Print-Werbeeinnahmen sind weiter rückläufig. Dafür liegen große Wachstumspotenziale in digitalen Angeboten. Hier müssen wir anknüpfen und neue Formate entwickeln.

Herr Klose, Sie haben bereits andere Verlage auf den Weg der Digitalisierung gebracht: weg von der gedruckten Zeitung, hin zum Online-Angebot.

Klose Diesen Prozess hin zum Neuen machen ja alle Häuser im Moment, nicht nur wir bei FUNKE. Wir sind in Braunschweig zwar insgesamt etwas später dran, aber das ist auch eine Chance. Ich bin sehr zuversichtlich: Wir haben ein sehr großes Potenzial. Wir wissen, wo wir stehen und wo wir hinwollen.

Frau Loehr, Sie bilden mit Christian Klose die Doppelspitze in der Chefredaktion. Sie sind schon länger im Verlag. Sie waren Volontärin, Redakteurin in Salzgitter, dann Redaktionsleiterin in Peine und Wolfsburg – und jetzt Chefredakteurin. Was ist wichtig, um dieses Amt zu meistern?

Loehr In der Chefredaktion haben wir die gesamte Region im Blick. Die Herausforderung besteht darin, all die Themen, die für die Menschen, die hier leben, relevant sind, zu erkennen, zu verbreiten, einzuordnen. Außerdem vertreten wie als Chefredaktion die Redaktion nach außen, eine Lokal- und Regionalzeitung sollte ein wichtiger Teil der Gesellschaft sein.

Klose Das „Thema des Tages“ ist ein guter Schritt in Richtung Zukunft, finde ich. Da entwickeln wir viel mehr Profil im Journalismus. Die Autoren kommen mehr zur Geltung, sind greifbarer, und es geht weit über die bloße Chronistenpflicht hinaus.

Apropos Zeitungsjournalismus: Herr Schmedtje, Sie sind kein Journalist, sondern Betriebswirtschaftler. Warum haben Sie sich ausgerechnet diese Branche ausgesucht?

SchmedtjeHeute ist jede Branche schwierig. Die Autoindustrie ist auf der Suche nach der Zukunft, die Geldinstitute sind es auch. Unsere besondere Herausforderung ist, dass es den Zeitungen lange Zeit recht gut ging. Mit gefällt die Branche einfach: Denn Redaktionen tragen durch das Vermitteln von Informationen zum Zusammenhalt der Gesellschaft, zur Wahrung der Demokratie und zum Gemeinwohl bei. Da kann ich am Ende des Tages guten Gewissens in den Spiegel schauen.

Herr Schmedtje, wird die Berichterstattung über Gemeinderatssitzungen auch in Zukunft lukrativ sein für unsere Zeitung?

Schmedtje Da stellt sich die Frage, was wir als lukrativ erachten. Ich halte es für zweifelhaft, dass die Eins-zu-eins-Darstellung einer Gemeinderatssitzung vor 20 Jahren für uns immer finanziell, oder auch inhaltlich lukrativ gewesen sein soll. Bei der Leserforschung vor 20 Jahren waren Gemeinderatssitzungen auch schon nicht die beliebtesten Artikel. Wir müssen aber die Themen aus den Gemeinderäten erkennen und begleiten, die für die Bevölkerung eine hohe Relevanz haben oder Veränderungen für die Menschen bedeuten. Wir sollten dabei viel mehr investigativ als zusammenfassend berichten. Die Leser müssen die Hintergründe verstehen. Wir müssen die Lebensrealität der Menschen darstellen und hinterfragen, wenn sich etwas verändert.

Was sind Ihrer Meinung nach die Stärken unserer Zeitung?

Klatt Wir sind hier vor Ort. Wir sind präsent. Wir zeigen Gesicht. Wir machen gute Inhalte auf mittlerweile vielen Kanälen und in unterschiedlichen Formaten. Als führendes Medienhaus in der Region haben wir zudem nicht nur einen journalistischen Auftrag, sondern nehmen auch unsere Verantwortung für und in der Gesellschaft gerne wahr. Man denke nur an den Gemeinsam-Preis und an die „Menschen des Jahres“ in allen Landkreisen und Städten: Zusammen mit unseren Leserinnen und Lesern zeichnen wir hier Menschen aus, die sich für das Gemeinwohl einsetzen und wollen so bürgerschaftliches Engagement unterstützen.

Gesicht zeigen – wie machen wir das?

Loehr Wir sind im engen Austausch mit unseren Leserinnen und Lesern. Besonders die Corona-Pandemie hat gezeigt: Die Menschen formulieren Fragen, wir recherchieren und beantworten sie. Diese Bedeutung als “Erklärer der Welt” oder einfach “Erklärer des Alltags” ist uns da mehr denn je bewusst geworden. In diesem Zusammenhang sei auch noch mal deutlich gesagt: Leserbriefe etwa gehören zu den beliebtesten Lesestoffen in der Zeitung. Diesen Bereich wollen wir daher künftig auch noch ausbauen.

Und wo liegen die Schwächen der Braunschweiger Zeitung?

Klatt Wir müssen kritisch mit uns selbst sein. Ich finde, wir machen viele Sachen bereits gut. Es gibt natürlich Bereiche, in denen wir uns verbessern wollen und müssen. Wir müssen den Dialog mit den Lesern umfassend intensivieren. Das gilt nicht nur in der Redaktion, sondern auch in der Service-Perspektive. Wir müssen hier insgesamt noch schneller werden.

Was genau ist unter der „Service-Perspektive“ zu verstehen?

Loehr Jeder, der sich die Mühe macht uns zu schreiben, soll auch eine Antwort bekommen. Und jeder, der ein Anliegen hat, soll sich unbedingt an uns wenden. Wir können zwar nicht über jedes Thema, das an uns herangetragen wird, schreiben, aber wir möchten eine Redaktion zum Anrufen, Anmailen und Sprechen, kurz: „zum Anfassen“ sein.

KlattWenn Frau Loehr zum Beispiel eine Zuschrift bekommt, die den Leserservice betrifft, leitet Sie sie mir weiter. Umgekehrt genauso, wenn ein Leserbrief bei mir ankommt, leite ich ihn an Frau Loehr weiter. Also auch interne Kommunikation, Austausch und Verbindlichkeit sind wichtig. Der Service-Gedanke richtet sich sowohl nach innen als natürlich auch nach außen.

Uns Journalisten wird oft vorgeworfen, dass wir die Welt erklären.

Klose Ich merke es selbst in meinem Bekanntenkreis, dass es einen großen Bedarf gibt, nicht nur ‚die‘ Wahrheit lesen zu wollen. Die eine Wahrheit gibt es wahrscheinlich gar nicht. Wir können uns ihr nur annähern. In der Branche macht man sich da schon Gedanken, wie Nachrichten anders vermittelt werden können. Ich vermute, wir müssen mehr Pro- und Contra-Stücke liefern. Die andere Meinung eines anderen angesehenen Experten muss gleichberechtigt dargestellt werden. Wir brauchen auch viel mehr konstruktiven Journalismus, was bedeutet, dass wir beim Schildern eines Problems auch Lösungsansätze darstellen, die woanders funktioniert haben. Der Journalismus muss und wird sich weiter verändern.

Wie transparent ist unsere Zeitung?

Klatt Die digitale Transformation lässt uns besser ins Gespräch kommen – sowohl im Service als auch beim Leserbrief. Wir bekommen heute viel mehr und auch viel schneller Feedback auf alle Aktivitäten des Hauses.

Hat unsere Lokal- und Regionalzeitung also eine Zukunft?

Loehr Unbedingt! Denn die Menschen in dieser Region haben eine starke Bindung an ihre Heimat.

75 Jahre Braunschweiger Zeitung

Dieser Text ist Teil unseres großem Themenschwerpunktes zum 75-Jährigen Bestehen der Braunschweiger Zeitung.

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