Braunschweig. Corona bremst Reisebüro-Besitzer Hansgeorg Jansen aus. Er hat plötzlich viel Zeit. Ein Kanubau mit einem Freund bringt ihm etwas Zuversicht zurück.

Hält es? Schwimmt es? Oder schlägt es Leck? Es ist nicht der Amazonas oder der Rio Grande, nicht einmal die Oker, die sich vor Hansgeorg Jansen und Johannes Witte erstreckt. Und dennoch: Ihr Kanu, in Hunderten von Arbeitsstunden zusammengebaut, sollte nicht schon bei der Jungfernfahrt kentern. Der Südsee in Braunschweig erscheint für die Premiere daher geeignet. Langsam waten die beiden an der Einlassstelle ins Wasser. Kurz schwankt das 4,70 Meter lange Gefährt, als die beiden Männer einsteigen. Dann findet der Holzkiel Ruhe. Jansen paddelt hinten, Witte vorne. Zwei eingelassene Bänke bieten Sitzmöglichkeiten. Das Kanu gleitet über den See. 23 Kilogramm Masse lassen sich geschmeidig bewegen. Es ist geschafft.

Die Idee

Hinter den beiden Braunschweigern liegt monatelange Arbeit. Es ist eine Zeit des Tüftelns, Werkelns – des permanenten sich Ausprobierens. Im Februar sieht Jansen ein YouTube-Video. In diesen Tagen hat der 70-Jährige viel Zeit. Sein Reisebüro „Waikiki“ in der Braunschweiger Innenstadt läuft wegen der Corona-Krise auf Sparflamme. „Niemand wollte etwas buchen. Zu unsicher war die Lage“, erklärt Jansen die Situation, die sich bis heute nur unwesentlich gebessert hat.

Technik aus dem Flugzeugbau

Das Video weckt in ihm etwas, was ihn motiviert. Es zeigt den Bau eines Birkenrinden-Kanus, mit Techniken, die für Jansen wie aus einer längst vergangenen Zeit daherkommen. Er klickt sich weiter, schaut immer mehr Bootsbau-Filme, bis er den Kanal einer amerikanischen Firma entdeckt. Diese setzt auf Leichtbau und wendet die sogenannte Skin-on-Frame-Technik (Haut-auf-Rahmen-Technik) an, die sich auch im Flugzeugbau bewährt hat.

Jansen hat nun Feuer gefangen. Er will wissen, ob sich mit Holz und einem ultraleichten Textilstoff auch ein Boot bauen lässt, das mehrere Personen trägt. „Die indigenen Völker weltweit haben diese Art der Fortbewegung und des Warentransports schon vor Tausenden von Jahren genutzt“, sagt er. Allerdings hätten diese in der Mitte des Kanus gekniet und abwechselnd rechts und links gepaddelt. „Da ist unser Kanu komfortabler.“

Der Bau

In dem studierten Maschinenbauer Witte (67) findet Jansen einen Gleichgesinnten. Sie kennen sich seit Jahren. Auch er liebt es, auf dem Wasser zu sein. Und hat als Rentner Zeit. Wittes kleine Werkstatt wird in den nächsten Monaten ihr zweites Wohnzimmer. Jansen bestellt in den USA die Baupläne, denn hier liegt auch das Patentrecht, das es zu berücksichtigen gilt. Zunächst müssen Schablonen ausgesägt werden. An diesen bemisst sich das Volumen des Innenraumes des Bootes. In unzähligen Versuchen sondieren sie zunächst, welches Holz sich eignet. „Wir haben Biege- und Reißversuche unternommen, um zu schauen, wie sich das Material auf Spannung verhält“, erklärt Witte. Sie kochen Holz ein und testen, wie es sich formen lässt. Am Ende fällt die Wahl bei den zierlichen Längshölzern auf eine Fichtenart, während die stabileren Querbalken aus Eschenholz sind. Sie schneiden die Hölzer zurecht, befestigen diese mit Klemmen entlang der Schablonen. Zentral für die Stabilität ist der Kiel. Nur an den Außenleisten des Kanus befestigen sie ein paar Schrauben.

So entstand das Kanu in Marke Eigenbau

Der Südsee ruft: Hansgeorg Jansen und Johannes Witte mit ihrem selbstgebauten Kanu.
Der Südsee ruft: Hansgeorg Jansen und Johannes Witte mit ihrem selbstgebauten Kanu. © Dirk Breyvogel | DIRK BREYVOGEL
Johannes Witte trägt das Kanu zur Einlassstelle. Es wiegt 23 Kilogramm. „So schwer wie zwei Eimer Wasser“, sagt er.
Johannes Witte trägt das Kanu zur Einlassstelle. Es wiegt 23 Kilogramm. „So schwer wie zwei Eimer Wasser“, sagt er. © Dirk Breyvogel | DIRK BREYVOGEL
Wird es halten? Das Kanu ist im Wasser. Hansgeorg Jansen und Johannes Witte vor der Jungfernfahrt.
Wird es halten? Das Kanu ist im Wasser. Hansgeorg Jansen und Johannes Witte vor der Jungfernfahrt. © Dirk Breyvogel | DIRK BREYVOGEL
Das Kanu entsteht: Der Holzrumpf wird mit Schraubklemmen zusammengehalten.
Das Kanu entsteht: Der Holzrumpf wird mit Schraubklemmen zusammengehalten. © Johannes Witte | Johannes Witte
Hansgeorg Jansen bei der Arbeit. An den Holz-Schablonen werden die Längshölzer aus Fichtenholz fixiert.
Hansgeorg Jansen bei der Arbeit. An den Holz-Schablonen werden die Längshölzer aus Fichtenholz fixiert. © Johannes Witte | Johannes Witte
Geschafft: Hansgeorg Jansen auf dem Südsee.
Geschafft: Hansgeorg Jansen auf dem Südsee. © Dirk Breyvogel | DIRK BREYVOGEL
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Das Kanu mutet wie das Skelett eines Wals an. Das Gerippe bekommt nun die Außenhülle verpasst. Der fast durchsichtige Textilstoff aus synthetischem Material wird angebügelt. Halt bekommt das Ganze durch einen Heißkleber, der aus einem speziellen Kunstharz besteht. „Es ist eine glasklare, glibberige Masse, die, wenn sie in Berührung mit Hitze kommt, sich zusammenzieht und so für Spannung und Halt sorgt“, erklärt Jansen. Entscheidend sei, dass das Anlegen und das Festbügeln nahezu gleichzeitig passiere, damit der Stoff nicht Wellen schlage, nachdem er fixiert worden sei. Was sich leicht anhört, ist entscheidend, ob der Bau gelingt. Man habe das erstmal geübt – an einem Rahmen, der wie eine Art Leinwand, den Stoff übergezogen bekommen habe, ergänzt Witte.

Ein Hauch von Wehmut

Wenn Witte jetzt auf den Rumpf des Kanus mit seinen Fingern klopft, hört man, dass es geklappt hat. Die Textilhülle steht unter Spannung und klingt ein wenig, als wenn man auf eine Musiktrommel schlägt. Der Innenraum ist mit Holzplanken ausgelegt, überall in den Zwischenräumen sind Fäden gespannt, sogenannte Kevlar-Fäden, die besonders reißfest sind. Eine echte Fummelarbeit sei es gewesen, die zu verlegen, sagt Jansen. Aber nötig, denn: „Auch damit wird der Rumpf zusammengehalten.“

Als Jansen und Witte von ihrer ersten Runde auf dem Südsee zurückkehren, sind sie froh. „Wir haben immer geschaut, ob irgendwo Wasser reinkommt, aber es hat gehalten.“ Grau sei alle Theorie, aber nun zu spüren, wie die Kraft des Wassers einen trägt, sei großartig. Etwas Wehmut liegt dennoch in der Luft. „Für uns war immer der Weg das Ziel. Der ist jetzt vorbei. Natürlich war es auch eine Art Beschäftigungstherapie.“ Jetzt müsse man sich was Neues vornehmen. Ein Beiboot oder Anleger? Das Holz dafür habe man schon, sagt Jansen.

Die neue Hoffnung

In den Reise-Unternehmer ist wieder etwas mehr Zuversicht zurückgekehrt. Corona hat ihn vor die härteste Prüfung in seinem Berufsleben gestellt. „Aber ohne die Pandemie hätte ich gar nicht die Zeit gehabt für dieses Experiment.“ Nun hofft Jansen, dass sich auch die anderen Dinge bald regeln. „Es wäre schön, wenn die staatliche Unterstützung durch die N-Bank, die ich dringend brauche, um Miete, Strom, Telefon und die geleasten Buchungssysteme zu bezahlen, endlich mal ankommen würde.“ Die Geduld seiner „Gläubiger“ sei bewundernswert, aber bestimmt auch endlich, sagt Jansen.

Das Kanu hat er kurzzeitig mal als Werbefläche vor sein Geschäft gestellt. „Es ist komisch, kaum stand es dort, gab es einen Grund für die Menschen, mich anzusprechen.“ So hofft er, dass der ein oder andere Kunde bald wieder öfter den Weg in seinen Laden findet. Bootstouren hat er sicher auch im Sortiment.