Braunschweig. Die Braunschweiger Unkrautforscherin Lena Ulber spricht im Podcast-Interview über das Spannungsfeld von Ackerwirtschaft und Artenvielfalt.

Wenige Themen erhitzen derzeit die Gemüter so sehr wie der Rückgang an Insekten und der Einsatz chemischer Spritzmittel in der Landwirtschaft. Fällt auch noch das Reizwort Glyphosat, dann sind die Befürworter eines Verbots des womöglich krebserregenden Mittels ebenso schnell auf den Barrikaden wie viele Landwirte, die das Pflanzengift auf dem Acker kaum für verzichtbar halten.

Lena Ulber ist eine Wandererin zwischen diesen Polen: zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen – mehr Artenvielfalt in der Agrarlandschaft – und der Sicht der Landwirtschaft, der es um eine effiziente und einträgliche Produktion geht. Im „Forsch!“-Podcast unserer Zeitung spricht die promovierte Herbologin (Unkrautkundlerin) vom Braunschweiger Julius Kühn-Institut über dieses Spannungsfeld.

Im Dialog auf dem Acker

Neben biologischer Forschung zur Ackerkräutern und der Bewertung von Pflanzenschutzmitteln gehört zu Lena Ulbers Arbeit der Dialog – etwa im Rahmen des Projekts „Monvia“, bei dem sie zusammen mit Landwirten die Artenvielfalt auf deren Äckern erfasst: „Das ist immer ein guter Aufhänger, um miteinander zu sprechen.“

Diese Gespräche seien aber weniger spannungsreich, als man sich gemeinhin vorstelle, berichtet sie. „Denn den Landwirtinnen und Landwirten ist sehr bewusst, dass politisch und gesellschaftlich ein Umdenken stattfindet.“ Die Erwartungen an eine umwelt- und biodiversitätsfreundliche Landwirtschaft seien gewachsen. „Und ich glaube, dass viele Betriebe auch in der Praxis bereit sind, entsprechende Maßnahmen umzusetzen.“

Die Braunschweiger Unkrautforscherin Lena Ulber in ihrem Homeoffice während der Aufnahme zum „Forsch!“-Podcast.
Die Braunschweiger Unkrautforscherin Lena Ulber in ihrem Homeoffice während der Aufnahme zum „Forsch!“-Podcast. © Privat

Dass dem so ist, zeigt sich aus ihrer Sicht in der Bereitschaft vieler Landwirte, an entsprechenden Förderprogrammen teilzunehmen – und beispielsweise Blühstreifen anzulegen.

„Gegen die Landwirte wird’s nicht gehen“

Ulber betont, wie wichtig für den Wandel das Gespräch mit den Bauern ist: „Wir dürfen die Verantwortung für den Verlust an Biodiversität nicht allein der Landwirtschaft zuschieben oder ihr allein die Lösung der Probleme aufzubürden, indem wir eine 180-Grad-Wende von ihr verlangen.“ Gegen die Landwirtschaft ist mehr Artenvielfalt nicht zu erreichen, ist die Wissenschaftlerin überzeugt. Stattdessen gelte es vielmehr, die Erfahrungen der Landwirte zu nutzen, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Im Niedersächsischen Weg, bei dem sich die Landesregierung mit Bauern- und Umweltverbände für mehr Arten-, Natur- und Gewässerschutz zusammengetan haben, sieht sie diesen Ansatz beispielhaft verwirklicht, weil hier die gegensätzlichen, „losen Enden“ zusammengeführt würden.

Was muss sich tun auf den Äckern?

Klar ist: Die chemischen Pflanzenschutzmittel verringern die Menge und Vielfalt von Wildkräutern und Insekten. Gleichzeitig sorgen Unkräuter und Schadinsekten für Ertragseinbußen der Landwirte. Was also tun?

Zunächst betont Ulber zur Ehrenrettung der zugelassenen Mittel, dass diese seien allesamt sorgfältig geprüft: „Zum Beispiel wird geguckt, wie sich Mittel gegen Blattläuse auf andere, nützliche Insekten auswirken“. Habe ein Wirkstoff negative Effekte auf andere Arten, versage man im Zweifelsfalle eher die Zulassung.

Ein Weniger an chemischen Pflanzenschutzmitteln bedeutet Ulber zufolge aber zwangsläufig ein Mehr an anderen Maßnahmen. Ein guter Ansatz, um Unkrautbestände im Zaum zu halten, sei eine vielfältigere Fruchtfolge – also mehr Abwechslung bei dem, was angebaut wird. „Da mit jeder Kulturpflanze bestimmte Unkräuter assoziiert sind, lässt sich so verhindern, dass sich einzelne Unkrautarten durchsetzen“, sagt sie.

Der Ökolandbau als Vorbild

Ein Alternative zur Chemie biete zudem die mechanische Unkrautkontrolle mit Arbeitsgeräten wie Hacke oder Striegel: „Im Ökolandbau wurden die schon immer eingesetzt, jetzt allerdings auch vermehrt in der konventionellen Landwirtschaft.“ In diesem Bereich tue sich gerade eine Menge, so Ulber: „Die Geräte werden verbessert und dadurch eine effizientere Nutzung ermöglicht.“

Auch der Pflug könnte „nach den letzten rund zehn Jahren, in denen die Bodenbearbeitung eigentlich deutlich schonender geworden ist“, ein Comeback erleben. Wenn man zur Unkrautbekämpfung weniger auf Chemie zurückgreife, könnte das eine Rückkehr zur „wendenden Bodenbearbeitung“ bedeuten. Allerdings warnt sie: „Das Pflügen geht mit einem erhöhten Erosionsrisiko einher.“

Automatische Unkrauterkennung per Drohne

Auch digitale Technik könnte helfen, künftig weniger Chemie einzusetzen. Hoffnungen ruhen hierbei auf Systemen zur automatischen Unkrauterkennung – etwa per Drohne. So sei mehr Zielgenauigkeit bei der Wahl der Mittel zur Unkrautbekämpfung möglich. Zur Wahrheit gehört laut Ulber aber auch: „Die Palette der verfügbaren chemischen Mittel ist kleiner geworden, weil viele aus dem Verkehr gezogen wurden, nachdem man feststellte, dass die Umwelt-Auswirkungen nicht tolerierbar sind.“

Bleibt der Gebrauch von Glyphosat erlaubt?

Auch dem Wirkstoff Glyphosat könnte 2022 die Genehmigung entzogen werden. Im Podcast gibt Ulber einen Überblick über das laufende Bewertungsverfahren der EU. Anders als 2017, als der damalige deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) in einem umstrittenen Alleingang einer Verlängerung der Zulassung zustimmte, ist Deutschland am jetzigen Verfahren nicht mehr beteiligt.

„Im Bereich der Unkrautkontrolle sind Herbizide immer noch die erste Wahl“, fasst Ulber zusammen, „eben weil sie sehr effektiv sind“. Aber auch hier habe ein Umdenken eingesetzt – vorangetrieben durch die Zunahme resistenter Unkräuter, die unempfindlich gegenüber Pflanzenschutzmittel geworden sind, „weil man immer wieder ähnliche Herbizide gegen die gleiche Unkrautpopulation eingesetzt hat“.

Auch eine Frage des Geldes

Prinzipiell, da ist sich Ulber sicher, hat auch die Landwirtschaft ein Interesse an mehr Artenvielfalt – etwa um von den vielfältigen Ökosystemleistungen zu profitieren, die mit einem besseren Gleichgewicht einhergehen. Um dieses zu erreichen, brauche es aber nicht nur guten Willen, sondern auch Geld, um Ertragseinbußen abzufedern.

„Intensiv diskutiert wird etwa, die Agrarhilfen der EU nicht mehr an die bewirtschaftete Fläche zu koppeln, sondern an die ökologischen Gemeinwohlleistungen, die ein Betrieb erbringt.“ Letztlich sollte es dabei aber nicht darum gehen, starre Vorgaben abzuhaken. Am Ende zählten die Ergebnisse: „Wir müssen stärker als bisher fragen, was dabei herauskommt.“

Hier geht es zum Podcast: „Forsch!“-Podcast: Was sich auf den Äckern ändern muss