Hannover. Meine Oma ist 93 und wird gegen Corona geimpft. Ich bin dabei, als sie den Piks in Hannover bekommt. „Endlich, ich bin geimpft“, sagt Oma Erna.

Oma Erna kommt mit dem Zug. Oma Erna kommt immer mit dem Zug, wenn sie meine Familie und mich besucht. Sie steigt im Südharz ein, in Northeim um und ist in Sarstedt im Kreis Hildesheim am Ziel. Dort stehe ich wie immer am Bahnhof und hole sie mit dem Auto ab. Wir wohnen ein paar Kilometer entfernt. Heute kommt Oma Erna aber nicht zu Kaffee und Kuchen und zu ihren Urenkeln, heute hat sie einen Impf-Termin. Ihren ersten Corona-Impf-Termin auf dem Messegelände in Hannover – das liegt rund 120 Kilometer von ihrem Wohnort im Südharz entfernt.

Natürlich ging Oma Erna davon aus, im Südharz geimpft zu werden. Am 28. Januar, gleich frühmorgens, hatten wir versucht, ihr einen Impf-Termin im nahe gelegenen Herzberg am Harz zu reservieren. Doch dort gab es keinen einzigen Termin. Überhaupt waren die Telefon-Hotline und das Impfportal des niedersächsischen Gesundheitsministeriums im Internet an diesem Tag heillos überlastet. 15.000 Impfdosen für 550.000 Impfberechtigte über 80 Jahre in Niedersachsen – der Start ging gänzlich schief. Die Hersteller lieferten zu wenige Impf-Dosen, heißt es aus dem Ministerium.

Birte Reboll und ihre Oma ohne Maske – aus der Zeit vor der Corona-Pandemie.
Birte Reboll und ihre Oma ohne Maske – aus der Zeit vor der Corona-Pandemie. © Birte Reboll

Also haben wir uns die Finger wund gewählt, wie es so schön heißt. Nach Hunderten von Versuchen erreichten wir am Folgetag tatsächlich jemanden am Telefon. Wir hatten Glück: Oma Erna hat einen freien Termin ergattert – aber eben in Hannover.

120 Kilometer nach Hannover

Oma Erna ist 93 Jahre alt. Sie ist froh, überhaupt so schnell einen Impf-Termin bekommen zu haben. Dafür setzt sie sich gern in den Zug und fährt die 120 Kilometer bis in die Landeshauptstadt. Seit Weihnachten wartet sie auf ein Schreiben, dass sie sich zur Impfung anmelden kann. „Am meisten macht mir zu schaffen, dass ich meine Enkel und Urenkel derzeit nicht sehen kann“, sagt Oma Erna, als sie sich zu mir ins Auto setzt.

Den Mundschutz, den sie auf der Zugfahrt getragen hat, behält sie auf. Allerdings, und das ist meine Oma, sagt sie auch: „Langweilig ist mir nie: Ich koche jeden Tag, stricke, lese die Tageszeitung und gehe spazieren.“ Ach ja, und das sagt nicht Oma Erna, das sage ich: Oma telefoniert für ihr Leben gern. Ihr Telefon ist so gut wie immer besetzt, wenn ich versuche, sie zu erreichen. Corona ist natürlich das beherrschende Gesprächsthema, wenn sie mit ihren Bekannten telefoniert. Oma Erna sieht das ganz pragmatisch: „Wir können die Situation ja nicht ändern und sollten das Beste daraus machen.“

Rund zwei Stunden dauerte die Zugfahrt aus dem Südharz nach Sarstedt.
Rund zwei Stunden dauerte die Zugfahrt aus dem Südharz nach Sarstedt. © Birte Reboll

Die Rede war von „Impf-Tourismus“

Oma Erna hat es bald geschafft. Unsere Fahrt aus Sarstedt zum größten Impfzentrum Niedersachsens auf dem Messegelände in Hannover dauert rund 20 Minuten. Hier werden derzeit rund 450 Menschen am Tag geimpft. Wenn es verlässlich mehr Impfstoff gebe, seien aber auch mehrere Tausend Impfungen am Tag möglich, sagt Regionspräsident Hauke Jagau (SPD).

Bei der Terminvergabe vergangene Woche galt noch: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Niemand musste sich in der Nähe seines Wohnortes impfen lassen – manch einer im Land fuhr mehrere Hundert Kilometer. Schnell war die Rede von „Impf-Tourismus“. Nach Kritik besserte Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) nach: Von nun an dürfen Impfwillige nur noch das Impfzentrum im eigenen Landkreis oder in der eigenen kreisfreien Stadt nutzen.

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Oma Erna hat die wichtigsten Utensilien des Tages in ihrem schwarzen Rucksack verstaut: ihren Personalausweis, den Impfpass und die Terminbestätigung. Einen Computer und einen Drucker besitzt Oma Erna nicht. Die Terminbestätigung haben wir ihr im Vorfeld ausgedruckt. Ohne einen Ausweis oder sonstigen Nachweis der Identität könne man leider nicht geimpft werden, steht in dem Schreiben. Auch: Der Termin kann nur wahrgenommen werden, wenn die zu impfende Person kein akutes Fieber über 38,5 Grad habe und in der Vergangenheit keine Infektion mit dem Coronavirus festgestellt worden sei. Eine Begleitperson kann mitgebracht werden, und das bin dann ich.

Einen Parkplatz auf dem Messegelände finden wir sofort. Es ist 16.45 Uhr. Noch 15 Minuten bis zum Termin. Das Impfzentrum ist gut ausgeschildert. Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreist, wird von der Haltestelle mit dem Bus direkt bis vors Impfzentrum gefahren. Die Messehalle ist barrierefrei. Einige Taxen warten auf Fahrgäste.

Vor der Impfung misst ein Mitarbeiter des Impfzentrums Oma Ernas Temperatur.
Vor der Impfung misst ein Mitarbeiter des Impfzentrums Oma Ernas Temperatur. © Birte Reboll

Gähnende Leere in der Messehalle

Und auf einmal stehen wir mittendrin in der Messehalle 25. Wo sich normalerweise Besucher dicht an dicht drängen, herrscht gähnende Leere. Oma Erna gehört anscheinend zu den Letzten, die heute geimpft werden. Oder es ist allgemein wenig los. Viele nette Mitarbeiter lotsen uns von einem Stand zum nächsten, wir gehen Meter um Meter, legen immer wieder Terminbestätigung, Ausweis und Impfpass vor. Oma Erna muss Aufklärungsbogen und Einverständniserklärung unterschreiben, ihre Temperatur wird gemessen, und schon betreten wir die provisorische Impf-Kabine.

Unser Mann der Stunde ist Michael Grobosch. Der 66-Jährige wird meine Oma im Auftrag der Johanniter-Unfall-Hilfe gleich den Impfstoff spritzen. Früher war er einmal Krankenpfleger, und dass er mit Menschen umgehen kann, merkt man sofort. „Mit 93 sind Sie ja echt noch fit. Alle Achtung“, sagt er, desinfiziert Oma Ernas linken Oberarm und schnipst kurz die Spritze an. Ein Piks, und schon ist die Impfung vorbei.

„War gar nicht schlimm, wie bei meiner letzten Grippeimpfung“, sagt Oma Erna und schlüpft mit ihrem Arm schon wieder in den Ärmel ihrer Bluse. Ich möchte natürlich noch ein paar Fakten wissen, die mir Michael Grobosch umgehend liefert. 0,3 Milliliter Covid-19-Vakzin von Biontech/Pfizer wurden Oma in den Arm gespritzt. Die Pharmafirmen sprechen von einer 95-prozentigen Wirksamkeit, und das ist für mich als Omas Enkelin erst einmal beruhigend.

Wie sieht Michael Grobosch den Impf-Start der über 80-Jährigen in Niedersachsen? „Es ist natürlich schleppend angelaufen“, sagt der ehemalige Krankenpfleger. Aber die Senioren seien sehr aufgeschlossen und machten die Impfung gut mit.

15 Minuten muss sich Oma Erna nun noch auf einem Stuhl ausruhen. Eine Mitarbeiterin fragt, ob ihr Arm schmerze oder sie Kreislaufprobleme habe. Oma Erna verneint. „Ach, ich bin da nicht so“, sagt sie und will nach sieben Minuten aufstehen. „Nee nee, die 15 Minuten bleiben Sie mal schön sitzen“, ermahnt die Mitarbeiterin und schmunzelt.

Ein neuer Aufkleber ziert den Impf-Ausweis. Oma Erna soll sich 15 Minuten nach dem Piks ausruhen.
Ein neuer Aufkleber ziert den Impf-Ausweis. Oma Erna soll sich 15 Minuten nach dem Piks ausruhen. © Birte Reboll

Zweiter Termin in drei Wochen

Oma Erna hat es geschafft. Wir stehen wieder vor der Messehalle. „Endlich, ich bin geimpft“, sagt sie. Ich erkenne, dass Oma Erna unter der Maske lächelt. Ich würde sie gern umarmen, lasse es aber. Eine erste Immunisierung hat Oma Erna heute erhalten. In genau drei Wochen hat sie den zweiten Impf-Termin. Erst eine Woche danach setzt die Schutzwirkung des Impfstoffs vollständig ein. In den nächsten Tagen können leichte Erkältungssymptome wie Kopfschmerzen oder Schlappheit auftreten, haben wir erfahren.

Ich frage Oma Erna, worauf sie sich nach der Impfung am meisten freut. Ich ahne es. „Euch alle wiederzusehen“, sagt sie. Und dann fallen ihr viele Dinge ein, die hoffentlich im Laufe des Jahres wieder möglich sein werden: Kaffeekränzchen, Besuche in der Kirche, Gymnastik mit ihren Bekannten.

Morgen geht es zurück in den Südharz. Natürlich mit dem Zug. „Sollen wir Dich nicht mit dem Auto nach Hause fahren?“, frage ich. „Quatsch, ich fahre schon immer mit dem Zug und werde das auch weiterhin tun.“ Das ist meine Oma. In drei Wochen wird sie wieder mit dem Zug anreisen. So ist das eben.

Impftermine : Das müssen Sie wissen

  • Die niedersächsische Hotline für Impftermine verzeichnet laut Gesundheitsministerium weiterhin vier bis fünf Millionen Anrufversuche pro Tag. Inzwischen hätten 12.124 Menschen Termine für die Erst- und für die Zweitimpfung erhalten, sagte eine Ministeriumssprecherin am Donnerstag.
  • Auf der Warteliste stehen rund 50.600 Frauen und Männer, die 80 Jahre und älter sind. Auf die Warteliste konnten sich die Impfwilligen bisher nur telefonisch setzen lassen. Seit gestern soll diese Möglichkeit auch im Internet unter www.impfportal-niedersachsen.de bestehen.
  • Die Hotline ist montags bis samstags zwischen 8.00 und 20.00 Uhr erreichbar: 0800 9988665