Braunschweig. Reichsbürger mischen sich mit Impfgegnern, Verschwörungsgläubige mit besorgten Eltern. Die Behörden sehen das zunehmend kritisch.

Trotz zweiter Corona-Welle und steigender Todeszahlen ist der Protest der selbst ernannten „Querdenker“ nicht verstummt. Was treibt sie an? Ist ihr Protest gefährlich für die Gesellschaft? Das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg schätzt das seit Mitte Dezember so ein und beobachtet die Bewegung, die im Südwesten ihren Ursprung hatte.

Auch in Niedersachsen haben die Sicherheitsbehörden ein wachsames Auge auf die Bewegung. Doch Innenminister Boris Pistorius (SPD) betonte erst vor wenigen Wochen, die Bewegung sei nicht überall in Deutschland so aufgestellt wie im Südwesten.

Die Frage, wie der Verfassungsschutz mit den Protesten gegen die Corona-Regeln umgehen soll, beschäftigt die Dienste da schon eine ganze Weile. Zunächst war man zurückhaltend. Denn Reichsbürger mischten sich da mit Impfgegnern, Verschwörungsgläubige mit besorgten Eltern.

Reichsflaggen vor dem Reichstag

Im April demonstrierte in Stuttgart erstmals die Initiative „Querdenken“ gegen aus ihrer Sicht eingeschränkte Grundrechte. Wenig später protestierten Tausende, nicht mehr nur im Südwesten und nicht mehr nur bei „Querdenken“. Die Demonstrationen prägten die Corona-Zeit mit. Teils setzte sich der Begriff „Corona-Leugner“ durch – auch wenn nicht alle die Existenz und Gefährlichkeit des Virus bezweifeln. Verschwörungsmythen sind aber weit verbreitet.

Ende August kippte die Stimmung endgültig. 300 bis 400 Protestler überrannten bei einer großen Demo in Berlin die Absperrgitter am Reichstagsgebäude. Auf den Treppen vor dem Parlament wurden schwarz-weiß-rote Reichsflaggen geschwenkt, ein Symbol der Rechtsextremen.

Zum Beispiel der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, warnt vor der Mischung aus Esoterikern, Friedensbewegten bis hin zu Reichsbürgern und offen Rechtsextremen: „Das Selbstbild als verfolgtes Opfer ist und war ein zentrales Element antisemitischer Einstellungen.“

Demos in Hannover und Braunschweig

In Hannover fand die größte Querdenken-Demonstration Mitte September in ganz Norddeutschland statt. Weit mehr als 1000 Querdenker kamen, Ende Oktober war auch Braunschweig zum ersten Mal an der Reihe. Auch hier zogen Hunderte von Gegnern der Corona-Regeln durch die Straßen. Die Veranstalter wollten sich gegenüber unserer Zeitung nicht äußern, sehen sich als Opfer, fühlen sich missverstanden.

Die Mehrzahl der Teilnehmer an Corona-Protesten stört sich nicht daran, Seit’ an Seit’ mit Rechtsradikalen auf die Straße zu gehen. Der mangelnde Abstand beunruhigt Verfassungsschützer immer mehr. Noch ist offen, in welche Richtung die Bewegung kippt.

Corona-Demos wurden im Dezember in Leipzig und Frankfurt abgesagt, nachdem sich – ebenfalls in Leipzig – im November bei einer Demonstration mehr als 20.000 Protestler durch die Innenstadt schlängelten. Auf Maskenpflicht und Abstände achtete kaum einer. Im Gegenteil: Die Teilnehmer schunkelten und tanzten.

„Jana aus Kassel“ erlangt traurige Berühmtheit

Als ein Akteur der „Querdenken“-Bewegung wegen einer schweren Covid-19-Erkrankung auf einer Intensivstation im Krankenhaus künstlich beatmet werden musste, spielten seine Mitstreiter den Fall herunter. Offensichtlich hatte er sich bei einer Demonstration angesteckt.

Für Aufsehen und heftige Reaktionen in sozialen Netzwerken sorgte ein Auftritt Ende November in Hannover: Eine Frau, die sich als „Jana aus Kassel“ vorstellte, sagte auf einer „Querdenken“-Bühne: „Ich fühle mich wie Sophie Scholl, da ich seit Monaten aktiv im Widerstand bin, Reden halte, auf Demos gehe, Flyer verteile und auch seit gestern Versammlungen anmelde.“ Scholl wurde wegen ihres Widerstandes gegen den Nationalsozialismus hingerichtet.

Die AfD könnte profitieren

Auch viele AfD-Anhänger fürchten sich vor einer Ansteckung. Bei einem Parteitag der Niedersachsen-AfD in Braunschweig Anfang Dezember wurde aber klar, dass die Partei nach dem immer unwichtiger werdenden Flüchtlingsthema und sinkenden Umfragewerten eine neue Klientelausgemacht hat: die Corona-Verlierer. Die Partei will all diejenigen, die in Kurzarbeit sind oder um ihren Job im Dienstleistungssektor bangen, gezielt ansprechen. Das könnte der Partei Auftrieb geben und das Superwahljahr 2021 mit der Bundestagswahl und sechs Landtagswahlen prägen.