Braunschweig. Für Gesundheitsministerin Reimann ist die Impfkampagne der entscheidende Weg aus der Krise. HZI-Forscher und Hausärzteverband stehen ihr zur Seite.

Niedersachsens Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) setzt auf eine breite Impfkampagne als den entscheidenden Weg aus der Corona-Krise. „Impfstoffe sind der Lichtstrahl am Horizont“, sagte Reimann am Donnerstagabend bei einer digitalen Diskussions-Veranstaltung. „Wer hätte vor einem halben Jahr gedacht, dass wir jetzt zwei hochwirksame Impfstoffe haben?“, sagte Reimann mit Blick auf die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna.

Sie gab aber gleich zu, dass Niedersachsen bisher nur wenig Impfstoff zur Verfügung habe. „Das große, große Problem ist, dass wir bisher nur winzige Mengen davon bekommen.“ Das stelle die Gesellschaft daher noch einige Zeit lang auf eine harte Probe, so die Ministerin angesichts geschlossener Geschäfte, Homeoffice, Homeschooling und dem eingeschränkten Leben durch die Corona-Regeln.

Im Mittelpunkt des sogenannten Themenabends standen die Corona-Impfungen. Kaum ein Thema beschäftigt die Menschen neben den Corona-Regeln derzeit mehr. Das Ministerium richtete den Abend gemeinsam mit dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) und dem Hausärzteverband Niedersachsen aus.

Niedersachsen hinkt selbst gestellten Zielen hinterher

Es gab einen Rundumschlag: Wer ist wann dran und warum gibt es diese Reihenfolge? Ist der Impfstoff überhaupt sicher? Gibt es Nebenwirkungen? Warum gibt es nur so wenig Impfstoff? Diese Fragen besprach Reimann mit Experten, die jede TV-Talkshow bereichert hätten: Professor Dirk Heinz, Wissenschaftlicher Leiter des in Braunschweig ansässigen HZI, Matthias Bernd, Chef des Hausärzteverbands in Niedersachsen, und Professor Stefan Dübel, Leiter der Abteilung Biotechnologie an der Technischen Universität Braunschweig.

Reimann machte trotz aller Probleme gleich klar, dass sie eine Perspektive sehe: Insbesondere mit der Zulassung weiterer Impfstoffe werde man in den nächsten Monaten Millionen von Niedersachsen impfen können.

Sie diskutierten beim digitalen Themenabend, von links oben nach rechts unten: Gesundheitsministerin Carola Reimann, Matthias Bernd, Chef des Hausärzteverbands in Niedersachsen, Professor Stefan Dübel, Leiter der Abteilung Biotechnologie an der TU Braunschweig, Moderatorin Susanne Thiele vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) und HZI-Chef Professor Dirk Heinz. Thiele zeigt das Modell eines Coronavirus, eine Gebärdendolmetscherin war im Einsatz.
Sie diskutierten beim digitalen Themenabend, von links oben nach rechts unten: Gesundheitsministerin Carola Reimann, Matthias Bernd, Chef des Hausärzteverbands in Niedersachsen, Professor Stefan Dübel, Leiter der Abteilung Biotechnologie an der TU Braunschweig, Moderatorin Susanne Thiele vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) und HZI-Chef Professor Dirk Heinz. Thiele zeigt das Modell eines Coronavirus, eine Gebärdendolmetscherin war im Einsatz. © Andre Dolle

Bislang sind in Niedersachsen rund 120.000 Menschen geimpft worden. Bis Mitte Februar sollten alle Heimbewohner und -beschäftigten geimpft werden, sofern dazu die Möglichkeit besteht. Bislang seien etwa 42 Prozent der Bewohner und Mitarbeiter geimpft worden. Man hinke hinter dem selbst gesteckten Zeitplan zurück, sagte Reimann. Am Mittwoch zum Beispiel seien 7200 Menschen in Niedersachsen geimpft worden – eigentlich noch viel zu wenig.

Hoffnung ruht unter anderem auf Zulassung des Astrazeneca-Impfstoffes

Große Hoffnung setzt Niedersachsen auf die Zulassung des Impfstoffs von Astrazeneca, die laut der Ministerin Ende Januar erwartet wird. Der Impfstoff könne im Kühlschrank gelagert und über die Arztpraxen geimpft werden, sagte Reimann. Bei einer Lieferung der bestellten Menge des Astrazeneca-Impfstoffs könnten damit fünf Millionen Niedersachsen geimpft werden. Der einzige Nachteil am so sehnsüchtig erwarteten Impfstoff: Er hat „nur“ 70 Prozent Wirksamkeit – im Gegensatz zu den mehr als 90 Prozent der Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna, die hingegen viel stärker gekühlt werden müssen.

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Von der für Januar ursprünglich zugesicherten Menge an Biontech/Pfizer-Impfstoff wird Niedersachsen nur 60 Prozent erhalten, bezogen auf die nun zugelassene Entnahme von sechs statt fünf Dosen aus einer Ampulle. Ab Mitte Februar sollen dann wieder wie ursprünglich geplant 63.750 Impfdosen wöchentlich geliefert werden. Noch nicht klar sei, ab wann der Hersteller dann auch größere Mengen Impfstoff als bislang liefern werden könne, sagte Reimann. Vom Moderna-Impfstoff sind laut der Ministerin bisher erst 6000 Dosen in Niedersachsen eingetroffen.

Reimann warb um Geduld bei den Impfterminen. Mehrfach nannte sie die Telefon-Hotline, die das Land Niedersachsen eingerichtet hat. Diese ist unter der Nummer (0800) 9988665 von montags bis samstags in der Zeit von 8 bis 20 Uhr erreichbar. An Feiertagen ist die Hotline geschlossen. Die Terminvergabe unter der Hotline und über eine Internetplattform kann aber erst am 28. Januar beginnen. Alle etwa 50 Impfzentren in Niedersachsen seien bereit und vorbereitet für die Impfung der zuhause lebenden Impfberechtigten.

Sicherheit des Impfstoffes ist großes Gesprächsthema

Großen Raum nahm bei der Debatte ums Impfen auch die Sicherheit der Impfstoff ein. HZI-Chef Heinz sagte, es sei „grandios“, dass wir „in dieser kurzen Zeit schon Impfstoffe zur Verfügung haben“. Es habe etwa 50 Jahre gedauert, um einen Impfstoff gegen Polio zu entwickeln. „Bei Corona hat es nur acht Monate gedauert“, so Heinz.

Das heiße aber nicht, dass der Impfstoff nicht sicher sei – im Gegenteil. Sehr viel Geld sei bei der Entwicklung im Spiel gewesen. „Wir sind in einer Pandemie-Situation, viele Regierungen sind finanziell in Vorleistung gegangen, haben so Risiken für die Firmen minimiert“, sagte Heinz. Tierversuche, die Phase-1-Studien an Freiwilligen – all das sei oft parallel verlaufen – „auch der Produktionsprozess der Impfstoffe“, sagte der HZI-Chef.

Professor Dübel sprach über die strengen Zulassungs-Kriterien. In Deutschland segnet das für Arzneimittel und Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) jede einzelne Impfstoff-Charge ab. Dübel sagte: „Alles, was den Stempel des PEI trägt, würde ich mir sofort bedenkenlos in die Venen spritzen.“

HZI-Chef Heinz sprach darüber, dass die Impfstoffe genetisch seien. „Es lässt sich aber nichts ins Genom integrieren. Da muss man sich absolut keine Sorgen machen.“ Auch über den Immunschutz sprach der Experte. Wie lange dieser nach einer Impfung anhalte, das sei leider noch unklar. „Auf jeden Fall nicht ein Leben lang. Wir müssen die nächsten Monate abwarten. In einem Jahr wissen wir mehr, wissen wir, ob und wann Nachimpfungen notwendig sein werden.“

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Matthias Bernd, Chef des Hausärzteverbands in Niedersachsen, erklärte, dass die Arztpraxen derzeit überlastet seien. Von den bisher gut 130.000 Corona-Fällen in Niedersachsen seien etwa 100.000 Corona-Patienten in den Arztpraxen behandelt worden. „Von sieben Patienten waren das sechs“, sagte Bernd. „1,5 Millionen Patienten haben wir auf Covid-19 untersucht.“ In seiner Praxis würden derzeit 10 bis 15 Patienten pro Tag anrufen und sich über die Impfungen informieren wollen. „Das ist keine Bequemlichkeit, das sind Ängste“, sagte Bernd.

Chef des Hausärzteverbands: „Sonst könnten wir ja einfach ein Glas Wasser gegen Corona trinken“

Nebenwirkungen könne es durchaus geben. Hautrötungen, Muskelschmerzen oder leichtes Fieber seien aber keine schlechten Zeichen. „Diese Impfreaktionen sind gut. Sie zeigen, dass der Impfstoff wirkt.“ Alles, was wirke, habe auch Nebenwirkungen. „Sonst könnten wir ja einfach ein Glas Wasser gegen Corona trinken“, so Bernd.

Seine Praxis habe etwa 300 Corona-Patienten betreut. „Es gab Tote, auch Mittzwanziger haben Dauerbeschwerden, Mittvierziger mussten in die Reha“, sagte Bernd. „Ich werde mich impfen lassen, im Auto lege ich ja auch immer einen Sicherheitsgurt an“, so der Mediziner.

Auch HZI-Chef Heinz ging auf die Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe ein. Er sagte, dass eine Person auf eine Million Corona-Impfungen allergisch reagiere und einen anaphylaktischen Schock erleide. Dieser Schock ist die Maximalausprägung einer allergischen Reaktion. Für stillende Mütter habe die Corona-Impfung sogar Vorteile. „Die Kleinkinder kriegen den Impfschutz gratis über die Muttermilch“, sagte Heinz.

Das bekräftigte auch Professor Dübel. Der Impfstoff stelle keine Gefahr für Mütter dar, sagte er. „Ein Impfstoff ist immer ein reiner Stoff – anders zum Beispiel ist es bei einer Schnittverletzung, bei der Hunderte von Bakterien eindringen können.“

Blick auf weitere Zulassungen

Dübel machte angesichts der Knappheit der Impfstoffe Mut, dass sich das schon sehr bald ändern könne. „Mehr als 20 Impfstoffe sind derzeit in der klinischen Phase. Auch einige dieser Impfstoffe werden auf den Markt kommen.“ Dübel sagte: „Wir haben also sehr bald weitere Pfeile im Köcher.“ Das gelte auch mit Blick auf Corona-Medikamente, die derzeit weltweit erprobt würden. Auch einige von ihnen befänden sich in der klinischen Phase. „Wir werden spätestens Ende 2021 viel mehr im Köcher haben als jetzt“, so Dübel.

Mediziner Bernd erklärte, dass auch er optimistisch sei, dass sich die Lage in den nächsten Monaten zum Besseren wende, wenn die Menschen vorsichtig bleiben würden. „Meine Frau und ich werden eine Flugreise für den Herbst buchen – der Flug wird nicht nach Deutschland gehen.“

HZI-Chef Heinz prophezeite, dass „wir noch in diesem Jahr einen großen Schritt Richtung Herdenimmunität gehen werden“. Das Beispiel Israel mache Mut. „Dort sind bereits etwa 20 Prozent der Bevölkerung geimpft. Es gibt dort bereits einen deutlichen Rückgang an schweren Fällen.“ Die Mutationen aber, so Heinz, würden dafür sorgen, dass eine Herdenimmunität nicht schon bei zwei Drittel der Bevölkerung, sondern erst ab einer Impfquote von 80 Prozent und mehr erreicht werde. Er appellierte an die Zuseher: „Lassen Sie sich impfen. Das ist eine phantastische Geschichte.“

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So sah es auch Ministerin Reimann. Sie mahnte aber zur Geduld und sagte: „Die wichtigste Waffe ist die Impfnadel.“ Geduld bräuchten vor allem diejenigen, die erst in Stufe 3 oder sogar erst später an der Reihe seien. Sie halte die gewählte Reihenfolge und die Empfehlung der Ständigen Impfkommission aber für absolut richtig, in der ersten Stufe die Über-80-Jährigen, die Heimbewohner und deren Pflegepersonal zu impfen, dann die Über-70-Jährigen sowie Ärzte und Pflegekräfte in anderen Einrichtungen. Erst in der dritten Stufe seien die Über-60-Jährigen, Erzieher, Lehrer, Polizisten oder chronisch Kranke an der Reihe. Schließlich der große Rest der Bevölkerung. „Es wird noch viele Wochen, eher Monate dauern, bis die Menschen in den Stufen zwei und drei dran sind“, sagte Reimann. Es sei aber absolut richtig, zuerst die Bevölkerungsgruppen zu impfen, die am verwundbarsten sind.