Braunschweig. Die Mini-Partikel gehören zu den riskantesten Anteilen des Feinstaubs. Bisher gelten keine Grenzwerte – auch aus Mangel an Studien.

Mit dem Verbot eines Silvester-Feuerwerks will man die Umwelt retten? Haben da manche überhaupt noch einen Kopf, wohin sie sich mal fassen müssten?

Dies schreibt ein Leser, der sich „Backagain“ nennt, auf unserern Internetseiten.

Zum Thema recherchierte
Andreas Eberhard

Die gute Nachricht zuerst: Die durchschnittliche Feinstaubbelastung in Deutschland hat abgenommen. Die Schutzmaßnahmen zeigen Wirkung. Immer weniger Deutsche sind von überschrittenen Grenzwerten betroffen. Laut Umweltbundesamt ist deren Zahl von knapp 30 Millionen im Jahr 2007 auf rund 2,5 Millionen im Jahr 2017 deutlich zurückgegangen.

Die schlechte Nachricht: Über die Belastung mit ultrafeinen Partikeln – also mit den Teilchen ganz am unteren Ende der Feinstaub-Größenskala – sagen diese Messwerte nichts aus. Dabei stehen diese kleinsten Partikel, oft als Ultrafeinstaub bezeichnet, im starken Verdacht, aufgrund ihrer geringen Größe besonders schädlich zu sein. Prof. Stephan Weber, Leiter der Arbeitsgruppe Klimatologie und Umweltmeteorologie am Institut für Geoökologie der Technischen Universität Braunschweig sagt gegenüber unserer Zeitung: „Von der Umweltmedizin wissen wir mittlerweile, dass die Effekte der ultrafeinen Partikel auf die Gesundheit viel, viel stärker sind als die durch den Feinstaub, der flächendeckend gemessen wird und für den Grenzwerte gelten.“ Als ultrafeine Partikel – abgekürzt UFP – bezeichnet man kleinste Teilchen in der Luft, die im Durchmesser nicht größer sind als 0,1 Mikrometer, also ein Zehntausendstel Millimeter. Wie Teile des „klassischen“ Feinstaubs entstehen sie vor allem durch Verbrennungsprozesse – in Kraftwerken, Heizungsanlagen und Verbrennungsmotoren. Das Feuerwerk zum Jahreswechsel spielt beim Thema Feinstaub übrigens nur punktuell eine Rolle, wie Weber betont: „In der Silvesternacht ist der Feinstaubpegel für drei bis zwölf Stunden deutlich erhöht, danach passt er sich wieder dem normalen Hintergrundniveau an.“ Dass die Feinstaubbelastung im Winter höher ist, liegt zum einen daran, dass mehr geheizt wird. Zum anderen verzögern die winterlichen Wetterlagen, dass sich die Luftmassen durchmischen. Deshalb sammeln sich die Partikel stärker an.

Mini-Partikel dringen viel tiefer in Körper ein

Wesentlich unterscheiden sich die Mini-Partikel vom Normal-Feinstaub jedoch in der Größe. In den europaweiten Messstationen wird „klassischer“ Feinstaub der Größenordnungen „PM 10“ und „PM 2,5“ erfasst. Damit werden Staubpartikel bezeichnet, die kleiner als 10 beziehungsweise 2,5 Mikrometer sind. Zu diesen „normalen“ Feinstaubpartikeln verhalten sich die UFP ähnlich wie ein Stecknadelkopf zu einem Fußball. Mit bloßem Auge sind sie nicht mehr zu erkennen. Anders als etwa Ruß oder Staub lagern sie sich auch nicht ab. Stattdessen verhalten sie sich aufgrund ihrer geringen Masse ähnlich wie Gase.

Diese Eigenschaften und die enorm hohe Zahl der UFP – „in der Stadtluft haben wir in der Regel 5000 bis 10.000 Partikel pro Kubikzentimeter Luft, an Straßen schnell das Doppelte und Dreifache“, so Weber – machen die besondere Wirkung aus. Das muss berücksichtigt werden, wenn man die UFP-Belastung messen will. „Da die Partikel trotz ihrer hohen Anzahl fast nichts auf die Waage bringen, ist es nötig, nicht auf die Masse in Mikrogramm, sondern auf die Anzahl der Partikel in der Luft zu schauen“, erklärt er. Zwar fließen die ultrafeinen Teilchen bei den üblichen Feinstaubmessungen in gewisser Weise mit ein. Allerdings erlauben diese Messergebnisse – es wird gewogen statt gezählt – keine Rückschlüsse auf die UFP--Konzentration.

Anders als gröberer Feinstaub, der sich auf die oberen Atemwege, wie Mund- und Nasenschleimhaut, legt, dringen die Mini-Partikel viel tiefer in den Körper ein. Dadurch steigt nach Ansicht der Deutschen Herzstiftung das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen: „Der Ultrafeinstaub, der etwa die Größe eines Virus hat, tritt nach der Inhalation durch das Lungenepithel sofort in die Blutbahn über und von dort in die Gefäßwand“, heißt es in einer Mitteilung der Stiftung vom August 2019. „Dadurch werden chronische Entzündungsprozesse ausgelöst und damit die Arteriosklerose begünstigt. Bei Menschen, die chronisch der Luftverschmutzung ausgesetzt sind, kann es zum vorzeitigen Ausbruch der wichtigsten Erkrankungen in den Gefäßen, die das Herz und das Gehirn versorgen, kommen. Folgen sind Herzinfarkte und Schlaganfälle“, zitiert die Mitteilung weiter den prominenten Hamburger Kardiologen Prof. Thomas Meinertz.

Doch so zahlreich die Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Ultrafeinstaub und gesundheitlichen Effekten mittlerweile sind, erlaubt die Studienlage laut dem Umweltbundesamt „immer noch keine konsistente Aussage“. Stephan Weber stimmt dem eingeschränkt zu: Zwar zeigten viele Untersuchungen „deutliche Kurzzeiteffekte“ – zwei oder drei Tage nachdem die Probanden hohen UFP-Konzentrationen ausgesetzt waren. Jedoch fehle es noch an Studien über längere Zeiträume.

Das ist einer der Gründe, warum es bisher keinen Grenzwert für Ultrafeinstaub gibt. Weber spricht von einem „Henne-Ei-Problem“: Die Politik fordere von der Wissenschaft verlässliche Daten für die Festlegung von Grenzwerten. Die Forschung fordere Geld von der Politik. Das jedoch fließe nicht, weil es keine Grenzwerte gebe. Auch das Umweltbundesamt räumt dieses Problem ein: Es fehle an Messdaten zu UFP und in der Folge an epidemiologischen Studien. „Dies wiederum erschwert die Ableitung von Grenzwerten. Umgekehrt führen fehlende Grenzwerte dazu, dass nur wenige Expositionsdaten routinemäßig erhoben werden.“

Neue Studie startet in Berlin

Auch Weber ist überzeugt, dass die bisherigen Erkenntnisse für einen Grenzwert noch nicht ausreichen. „Gerade deshalb ist es wünschenswert, dass wir jetzt mehr über UFP lernen.“ So richtig die bisherigen, normalen Feinstaubmessungen „wegen der gegebenen gesundheitlichen Evidenzen“ seien, so wichtig sei es, die Messprogramme weiterzuentwickeln: „Wenn man mit Partikelforschern spricht, hört man immer wieder: Wir messen noch nicht die richtige Größen. Dem stimme ich zu.“

Eine Studie, die neue Erkenntnisse über die Wirkung ultrafeiner Partikel auf die Gesundheit liefern könnte, startet derzeit in Berlin. Im Umfeld des Flughafens Tegel und des zukünftigen Hauptstadtflughafens BER wird die Luftqualität gemessen. Parallel untersuchen Wissenschaftler der Berliner Charité regelmäßig die Lungen, das Herzkreislaufsystem und die psychische Gesundheit von 550 Grundschulkindern in der Nachbarschaft der Flughäfen. Die spannende Frage, die beantwortet werden soll: Wie wirkt sich der Umzug des Hauptstadtflughafens auf die Gesundheit von Anwohnern aus? Flugzeugtriebwerke gelten als wichtige Quelle für Ultrafeinstaub. TU-Professor Stephan Weber ist mit Messstationen, die auch die UFP erfassen, an der Studie beteiligt.

Doch nicht nur von der Forschung, auch von der Politik könnten Impulse ausgehen. Das Umweltbundesamt regt an, die EU-Luftqualitätsrichtlinie in einem ersten Schritt derart zu überarbeiten, dass die Ultrafeinstaubwerte zumindest gemessen werden, um so die Datengrundlage zu verbessern. Der Klimageograf Prof. Christoph Schneider von der Humboldt-Universität zu Berlin, empfahl Ende 2019 in einem Statement gegenüber dem Pressedienst Science Media Center: „Die Europäische Union sollte in zukünftig diesen Schadstofftyp, wenn auch nur auf der Basis eines eingeschränkten Messnetzes, im EU-Luftqualitätsbericht zusätzlich behandeln.“ Ob in der EU-Kommission zu diesen beiden Punkten Überlegungen vorhanden sind, ist unklar. Eine entsprechende Anfrage unserer Zeitung ließ die Pressestelle bis Freitag Abend leider unbeantwortet.

Feinstaub – Die verschiedenen Partikelgrößen

Als PM 10 wird Feinstaub bezeichnet, dessen Partikel im Durchmesser nicht größer sind als 10 Mikrometer, also ein Hundertstel Millimeter. PM 10 kann beim Menschen in die Mund- und Nasenhöhle gelangen. Für ihn gilt ein EU-Tagesgrenzwert von
50 Mikrogramm pro Kubikmeter, der nicht öfter als 35 Mal im Jahr überschritten werden darf.

PM 2,5 bezeichnet Feinstaub, dessen Teilchen 2,5 Mikrometer und kleiner sind. Er kann bis in die Bronchien und Lungenbläschen gelangen und dort Reizungen und Entzündungen auslösen. Für PM 2,5 gilt ein verbindlicher Grenzwert von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel.

Als Ultrafeinstaub oder ultrafeine Partikel (UFP) werden nach den gängigen Definitionen luftgetragene Partikel bezeichnet, deren Durchmesser kleiner als 100 Nanometer – also ein Zehntausendstel Millimeter – ist. Ultrafeine Partikel, die sich aufgrund ihrer geringen Größe ähnlich wie Gase verhalten, können laut Umweltbundesamt in das Lungengewebe, in den Blutkreislauf und sogar ins Gehirn eindringen. Im Körper können sie Entzündungsprozesse auslösen oder das Risiko der Bildung von Thrombosen oder Herzrhythmusstörungen vergrößern. Bisher gelten keine gesetzlichen Grenzwerte für die Belastung mit ultrafeinen Partikeln.