Braunschweig. Statistiker haben Deutschland und auch speziell unsere Region in prosperierende und schwächelnde Landstriche eingeteilt.

Gab es unterschiedliche Lebensverhältnisse in Deutschland nicht schon immer? Manche Regionen wie Bayern sind damit aber gut fertig geworden.

Das fragt unser Leser Manfred Fehly aus Salzgitter.

Zum Thema recherchierte Andre Dolle.

Wer in einem abgehängten Landkreis lebt, wählt AfD? So einfach ist die Rechnung nicht. Und doch drohen strukturschwache Landstriche in Deutschland einer neuen Studie zufolge weiter den Anschluss an wohlhabendere Städte und Landkreise zu verlieren.

Bevölkerungsrückgang und schwindende Daseinsvorsorge würden sich weiter verstärken, wenn von der Politik nicht gegengesteuert werde, heißt es im „Teilhabeatlas Deutschland“. Unser Leser hat natürlich Recht: Unterschiede gibt und gab es immer wieder. Die Wissenschaftler vom Berlin-Institut stellten jedoch fest, dass sich die Unterschiede bereits vertiefen. Dabei spricht das Grundgesetz in Artikel 72 von der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“.

Statt dieses Versprechens sollte die Politik eine einheitliche Grundversorgung definieren, sagte Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Dazu gehöre etwa eine ordentliche Internetverbindung. Wichtigste Grundvoraussetzung für nachwachsende Generationen seien vor allem gleiche Bildungschancen.

Die Autoren der Studie haben rund 400 Städte und Kreise anhand von acht Indikatoren untersucht (sechs davon siehe rechts in der großen Grafik). Die Wissenschaftler errechneten sechs Gruppen, jeweils drei für Stadt und Land (Cluster):

Die Besten: Dazu zählen die Autoren in Cluster 1 reiche Großstädte und ihre Speckgürtel wie München, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg und auch Wolfsburg – dank VW . Insgesamt sind es 19 Großstädte, oft in den Wirtschaftszentren der Republik. Wolfsburg ist die einzige Großstadt aus Niedersachsen. Die Städte zeichnen sich durch sehr hohe Einkommen, sehr hohe Steueraufkommen, sehr viel Zuzug, eine gute Nahversorgung, eine hohe Lebenserwartung, schnelles Internet und nur einen mittleren Anteil von Schulabbrechern und Hartz-IV-Beziehern aus.

Wolfsburg hat nur einen Anteil von 8,6 Prozent Hartz-IV-Beziehern. Die Schulabbrecherquote liegt nur bei 4,2 Prozent. Im Vergleich zu Salzgitter liegt die Lebenserwartung der in den Jahren 2013-2015 Neugeborenen um zwei Jahren höher. Aufgrund solcher Daten heißt es in der Studie etwas flapsig: „Vereinzelt liegen teilhabestarke Städte in Cluster 1 auch nördlich des Weißwurstäquators. Dank Volkswagen befindet sich auch Wolfsburg in diesem Cluster.“

Ziemlich attraktiv: Cluster 2 umfasst Großstädte wie Braunschweig , Köln, Hannover, Dresden, Aachen – insgesamt 51 überwiegend kreisfreie Städte oder Kreise mit großen Kreisstädten. Typisch für sie sind sehr viel Zuzug, eine sehr gute Nahversorgung und schnelles Internet. Es gibt aber lediglich mittlere Einkommen und eine mittlere Lebenserwartung. Die Zahl der Schulabbrecher liegt auch im Mittelfeld. Eine Hartz-IV-Quote von rund zehn Prozent weist schon auf Problemlagen hin.

Gefragt haben die Autoren in Interviews auch nach dem Lebensgefühl in 15 Städten und Landkreisen – darunter auch in Braunschweig. Diese Ergebnisse werfen Schlaglichter, sind aber nicht repräsentativ. Danach korrespondiert der Wohlfühl-Faktor längst nicht immer mit den statistischen Daten. Das gilt besonders für Braunschweig. Die Befragten fanden fast nur lobende Worte. Braunschweig gilt demnach als „überschaubare Großstadt der kurzen Wege“. Alteingesessene wie Zugezogene schätzen das urbane Versorgungs- und Freizeitangebot, viel Grün und die hohe Wohnqualität. „Braunschweig ist attraktiv“, heißt es. „Wie in anderen erfolgreichen Städten hat dies zur Folge, dass es eng wird auf dem Wohnungsmarkt.“

Mit Problemzonen: Cluster 3 steht für rund 50 fast ausschließlich kreisfreie Städte mit Problemlagen. Als typisch für die lange Reihe gelten zum Beispiel Salzgitter, Berlin, Leipzig, Chemnitz, Erfurt, Bremen, viele Ruhrgebietsstädte und Saarbrücken. Es sind Städte, die nicht zu den attraktiven Ballungsräumen aufschließen konnten. Ähnliche Merkmale sind viel Zuzug, eine gute Nahversorgung und schnelles Internet – aber auch sehr hohe Hartz-IV-Quoten, geringe Einkommen, nur ein mittleres Steueraufkommen, ein hoher Anteil an Schulabbrechern und geringere Lebenserwartung. Viele Punkte treffen auf Salzgitter zu.

Starkes Stück Land: Cluster 4 umfasst erfolgreiche Landkreise. Diese 89 Kreise liegen vorwiegend im wirtschaftsstarken Süden, in Baden-Württemberg und im Südwesten Bayerns. In unserer Region schaffte es kein einziger Landkreis in die Kategorie. In ganz Ostdeutschland gelang es nur einem Landkreis: Dahme-Spreewald im Süden Berlins.

Geht so: Cluster 5 meint ländliche Regionen mit vereinzelten Problemen. Als typisch gelten etwa die Landkreise Osnabrück und Oldenburg. Die rund 130 Kreise konzentrieren sich in Westdeutschland. Sämtliche sechs Landkreise aus unserer Region – also Gifhorn, Peine, Helmstedt, Wolfenbüttel, Goslar und Göttingen – fallen unter diese Kategorie. In den östlichen Bundesländern sind nur einzelne Kreise, die an Großstädte wie Berlin, Dresden oder Leipzig angrenzen, darunter. Sie alle liegen bei Hartz-IV-Quoten, Einkommen, Steuern, Schulabbrechern, Internet und Lebenserwartung im mittleren Bereich. Es gibt eine leichte Abwanderung und nur eine sehr geringe Nahversorgung.

Abgehängt: Cluster 6 beschreibt Regionen Deutschlands mit ungünstigen statistischen Daten. Die 58 ländlichen Kreise liegen überwiegend in Ostdeutschland sowie vereinzelt in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und im Saarland.

Überraschendes Ergebnis: Die Wahlergebnisse der AfD stimmen laut Studie nicht immer mit schwächelnden Kreisen und Städten überein. So fuhr die AfD bei der Bundestagswahl 2017 im Süden deutlich bessere Ergebnisse ein als in benachteiligten Regionen im Westen und Nordwesten. Die Partei wurde im Osten auch in Städten wie Dresden gewählt, das bundesweit durchschnittliche Teilhabe-Chancen bietet.

Das gilt auch in unserer Region: Zwar erzielte die AfD in Salzgitter mit 16,5 Prozent das beste Ergebnis. Überraschend liegt aber das vergleichsweise reiche Wolfsburg mit 11,7 Prozent auf Rang zwei.