Braunschweig. Die Windkraft steckt in der Krise. Es gibt kaum noch neue Anlagen, die Akzeptanz ist gesunken.

Jaja, die Bürgerinitiativen. Ökostrom ja, aber Windkraftanlagen will ich nicht, und Hochspannungsleitungen schon gar nicht. Einfach nur noch hohl das Ganze!

Das schreibt ein Leser, der
sich PZBTL nennt, auf
unseren Internetseiten.

Zum Thema recherchierte
Andre Dolle.

Das Klostergut Hagenhof am Rande von Königslutter im Landkreis Helmstedt gleicht einer Idylle. Ein freundliches Wohnhaus, das auch in der Toskana stehen könnte, ein freier Blick auf die Felder, der Kaiserdom in Sichtweite. Ein Feldweg führt zum Hof, der in einer Senke liegt. Die nächste öffentliche Straße ist ein Kilometer entfernt. Der Hof ist autark, er ist nicht einmal an das öffentliche Wassernetz angeschlossen. „Wir leben hier wie in Bullerbü“, sagt Felicitas Naundorf, die mit ihrer Familie auf dem Hof wohnt. „Man riecht, fühlt und hört die Natur“, sagt sie.

Wenn da nicht der geplante Windpark wäre. 200 Meter hoch sollen sie werden, die Windräder. Erst 19, dann 13, nun wahrscheinlich nur noch 8. In einem Halbkreis sollen sie um den Hagenhof errichtet werden. Auch bei der Entfernung konnte die Bürgerinitiative, in der Naundorf mit weiteren Mitstreitern kämpft, etwas bewirken. „Anfänglich sollte der Abstand der Windräder nur 500 Meter groß sein, nun ist der Windpark in 900 Metern Entfernung geplant“, sagt Naundorf. Das sei zwar ein Erfolg für die Bürgerinitiative mit ihren etwa 100 Mitgliedern. Aber eben nur ein Teilerfolg.

Das Thema ist hochemotional. Landschaftsverschandelung, Vogelschutz, Gesundheitsschäden durch Infraschall und Lärm, störende Blinklichter in der Nacht – das sind Gründe, die Naundorf und andere gegen Windparks anbringen.

Auf der anderen Seite steht die Windbranche mit einem aus Sicht der Gegner hoch subventionierten und rentablen Geschäft. Und die Politik, die den Ausbau der Windkraft vorantreibe, koste es, was es wolle. Mehr als 1000 solcher Bürgerinitiativen gibt es bundesweit.

„Die betroffenen Grundstücke werden von Windrädern entwertet, das ist eine schleichende Enteignung. Landeigentümer bekommen horrende Pachten. Uns entschädigt kein Mensch“, sagt Naundorf.

Nach Zahlen der Marktberatungsfirma Deutsche Windguard stehen in Niedersachsen die meisten Windräder in Deutschland. Insgesamt gibt es derzeit mehr als 29.000 Windenergieanlagen, in Niedersachsen sind es rund 6300. Viel zu viele, finden Bürgerinitiativen. „Windkraftanlagen sind ökologisch, ökonomisch und sozial unsinnig“, sagt Naundorf. Der Ausbau aber sei politisch gewollt. „Deswegen wird gebaut.“

Windenergie Grafik
Windenergie Grafik © Jürgen Runo | Jürgen Runo

Das politische Ziel lautet: weg von fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl und Gas, hin zu erneuerbaren Energien aus Wind, Sonne und Biomasse. Bis Ende 2022 soll das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet werden, bis 2038 soll Deutschland raus aus der klimaschädlichen Kohleverstromung. Doch der teure Großumbau ist ins Stocken geraten. Vor Ort gibt es viele Proteste und Klagen. Die Strompreise sind hoch. Der Ausbau der Stromnetze verzögert sich.

Hinzu kommt: Der Ausbau der Windkraft an Land kam im ersten Halbjahr 2019 fast zum Erliegen. In Niedersachsen zum Beispiel gab es unter dem Strich nur sechs neue Windräder. Bei der Windkraftlobby herrscht Alarmstimmung. Es gebe zu wenig genehmigte Flächen, Genehmigungsverfahren dauerten oft Jahre, klagt Alexander Heidebroek, Vorsitzender des Bundesverbands Windenergie für unsere Region. Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien seien in Gefahr. „Wir erleben einen Stillstand. Mit Blick auf die Energiewende passt das alles nicht zusammen“, sagt Heidebroek. Es müsse sich unbedingt etwas tun.

Heidebroek berichtet, dass es zum Teil sechs Monate dauert, bis es eine Rückmeldung von der Naturschutzbehörde des jeweiligen Landkreises gebe. „So können wir in der Branche unmöglich planen. Die Verfahren dauern viele zu lange, sind viel zu bürokratisch“, sagt er. Gerade in unserer Region zwischen Harz und Heide könnten die Investoren ein Lied davon singen, sagt der Windkraftlobbyist. Der Regionalverband Großraum Braunschweig plant bereits seit acht Jahren den Ausbau der Windkraft.

Enttäuscht zeigen sich in Niedersachsen auch die Grünen. Imke Byl ist energiepolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion. Sie erkennt in der derzeitigen Windkraft-Flaute gravierende wirtschaftliche Auswirkungen – gerade für Niedersachsen. „Die Bundesregierung hat auf unsere Warnungen nicht reagiert“, sagt sie. „Nach der Photovoltaik drohen wir jetzt die zweite große Säule der erneuerbaren Technologien an China zu verlieren.“ Wenn die Regierung so weitermache, werde sie die energiepolitischen Ziele genauso krachend verfehlen wie schon die Klimaschutzziele. Die Grünen warnen eindringlich: Wenn die ersten alten Anlagen aus der EEG-Förderung fallen, droht ab 2021 sogar ein Rückgang der Windstromerzeugung.

Byl kritisiert, dass die Vorschriften von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich seien – zudem zum Teil sehr unkonkret, etwa beim Artenschutz. „Das führt zu Klagen und langen Entscheidungen“, sagt die Grünen-Politikerin.

Windparkbauer leiden obendrein unter neuen gesetzlichen Flächenbegrenzungen, besonders in Bayern und NRW, wo Windräder nur in großem Abstand zu Siedlungen gebaut werden dürfen. Hinzu kommen strikte Vorgaben zum Schutz sogenannter UKW-Funkfeuer, die Flugzeuge zur Navigation benötigen. In ganz Deutschland dürfen im Radius von 15 Kilometern um entsprechende Bodenstationen keine Windräder gebaut werden, in anderen EU-Ländern beträgt der Sicherheitsabstand oft nur 5 Kilometer.

Anders als Stromtrassen lassen sich Windräder nicht unter die Erde bauen. Um die Akzeptanz bei den Bürgern zu erhöhen, schlug Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) kürzlich im Interview mit unserer Zeitung vor, betroffene Regionen finanziell zu beteiligen. Er sagte: „Mein gemeinsames Ziel mit dem Bundesverband der erneuerbaren Energien ist daher: Ein bis zwei Prozent des Jahresumsatzes muss bei den Kommunen verbleiben. Das wäre ein vernünftiger gesellschaftlicher und sozialer Ausgleich.“

Lies’ Sprecher Gunnars Reichenbachs sagt zu den schlechten Zahlen beim Windkraft-Ausbau: „Die Zahlen sind nicht überraschend, aber dennoch enttäuschend.“ Er nimmt die Bundesregierung in die Pflicht: „Damit der Windenergieausbau wieder in Schwung kommt, brauchen wir Anstrengungen aller Seiten statt Verhinderungs- und Blockadepolitik. Hier muss der Bund das Steuer in die Hand nehmen und Hemmnisse beseitigen – auch beim Bau von Stromtrassen.“

Das Land arbeitet laut Reichenbachs daran, Hemmnisse zu identifizieren und Lösungsvorschläge zu entwerfen. „Das Umweltministerium prüft derzeit, inwieweit Dialogprozesse vor Ort geeignete Mittel zur Akzeptanzsteigerung sind. Zudem setzt sich das Umweltministerium für eine kritische Überprüfung der Abstandsregelungen, der Bewertungsmethodik von potenziellen Störbeiträgen und der Infrastrukturentscheidungen im Bereich der Flugsicherung ein“, sagt Reichenbachs.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat nun ein Krisentreffen zur Windkraft angekündigt. Er will sich voraussichtlich am
5. September mit Vertretern der Branche, von Ländern und Bürgerinitiativen zusammensetzen.

Windkraftlobbyist Heidebroek sieht Altmaier kritisch: „Er hat bisher alles dafür getan, um die Energiewende abzuwürgen.“ Dennoch setzt Heidebroek Hoffnungen in das von Altmaier angesetzte Treffen.

Die Landtagsabgeordnete Byl von den Grünen stellt Altmaier ebenso ein schlechtes Zeugnis aus: „Er soll endlich seinen Job machen“, sagt sie. Es müsse endlich dafür gesorgt werden, dass die Bürgerenergie mit ihren deutlich kleineren Windkraftanlagen sich nicht mehr so harten Kriterien ausgesetzt sieht. „Dafür braucht es keinen Krisengipfel des Bundeswirtschaftsministers“, sagt Byl. „Das lässt sich schnell auf den Weg bringen und würde der Windkraft in Deutschland wieder einen großen Schub bringen.“