Braunschweig. Ablenkung im Straßenverkehr erhöht das Unfallrisiko. Höhere Bußgelder sollen helfen.

Sind Radfahrer im Straßenverkehr zu leichtsinnig? Schließlich passieren Fahrradunfälle auch, weil sich Radler nicht verkehrskonform verhalten. Radfahrer, die während der Fahrt mit dem Smartphone hantieren, sind kein Einzelfall. Und die Verstöße werden in Deutschland zu milde bestraft – in meinem Heimatland den Niederlanden sind dafür 95 Euro fällig.

Das sagt eine Leserin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Zu dem Thema recherchierte
Verena Geyer

Alle zweieinhalb Minuten passiert ein Unfall in Niedersachsen – das zeigt die Verkehrsunfallstatistik des vergangenen Jahres. Obwohl die Zahl der Unfälle 2018 im Vergleich zum Vorjahr um zwei Prozent gesunken ist, kamen 14 Personen mehr ums Leben. Es waren 417. Auffällig: Besonders die Zahl der verunglückten Radfahrer stieg um ein Viertel auf 60 Verkehrstote an. Zu den Hauptunfallursachen, die Radfahrern angelastet werden, zählen die verbotswidrige Straßennutzung – beispielsweise die Nutzung der Geh- oder Radwege entgegen der Fahrtrichtung – Fahrten unter Alkoholeinfluss, Vorfahrtsmissachtung oder nicht angepasste Geschwindigkeit.

Die Auswertung der Unfallursachen zeigt jedoch auch: Nicht immer sind Radler selbst schuld – viele Unfälle entstehen auch durch Fehler oder Unaufmerksamkeiten anderer Verkehrsteilnehmer.

Unfallrisiko Ablenkung

Als problematisch erweist sich Ablenkung im Straßenverkehr. Vor allem elektronische Geräte wie Smartphones entpuppen sich als Unfallrisiko. Unfallforscher aus Dresden und Hannover haben dazu Unfalldaten mit Personenschaden ausgewertet. Das Ergebnis: Etwa 95 Prozent aller Verkehrsunfälle würden von menschlichem Fehlverhalten begünstigt oder verursacht.

Dabei spielen Ablenkung mit Mobiltelefonen oder anderen elektronischen Geräten eine zunehmende Rolle. Mit teils verheerenden Folgen, wie Werner Steuer vom Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport erklärt: „Gefährliche Situationen, die ein sofortiges Handeln der abgelenkten Verkehrsteilnehmenden erfordern, werden verzögert, zu spät oder womöglich gar nicht wahrgenommen, so dass auch das Verkehrsunfallrisiko deutlich zunimmt.“

Schon ein kurzer Blick reicht

Ablenkung im Straßenverkehr verringert die Aufmerksamkeit und schränkt zwangsläufig den Blick auf den gesamten Straßenverkehr ein. Schon ein kurzer Moment der Unachtsamkeit reicht aus. Durch den Blick aufs Handy kann es zu deutlichen Schlenkern auf der Fahrbahn kommen. Und die stellten laut Ministeriumssprecher Steuer eine der gefährlichsten Situationen, insbesondere für entgegenkommende Verkehrsteilnehmer, dar. Auch bei Unfällen mit Fahrradfahrern im Erhebungsgebiet Hannover war zumeist menschliches Versagen der Auslöser. Einer der Leiter der Studie, Heiko Johannsen von der Unfallforschung an der Medizinischen Hochschule Hannover, stellt fest: „Ablenkung im Straßenverkehr spielt genauso eine Rolle wie Drogen- und Alkoholmissbrauch oder Krankheiten. Tatsächlich passieren aber mehr Fahrradunfälle wegen Alkohol- oder Drogennutzung als aufgrund von Ablenkung, etwa durch elektronische Geräte wie das Handy. Im Vergleich zu Radfahrern war bei Autofahrern das Handy allerdings deutlich öfter als Unfallursache involviert.“

Doch nicht nur Telefonate oder Nachrichten während der Fahrt lenken vom Verkehrsgeschehen ab. „Viel mehr Bedenken erzeugt die zunehmende Verbreitung von Kopfhörern. Dadurch werden Umgebungsgeräusche und -kommunikation nicht mehr wahrgenommen“, sagt Uli Uhlenhof, Bereichsleiter Unfalldatenerhebung der Verkehrsunfallforschung an der TU Dresden.

Mehr als 30.000 „Verstöße“

Unfallrisiko Handy? Viele Unfälle entstehen durch Fehler oder Unaufmerksamkeiten aller Verkehrsteilnehmer.
Unfallrisiko Handy? Viele Unfälle entstehen durch Fehler oder Unaufmerksamkeiten aller Verkehrsteilnehmer. © dpa | Alexander Blum

Als Ordnungswidrigkeit oder Unfallursache wird die Nutzung von Mobiltelefonen in der Unfallstatistik nicht geführt. Der Nachweis sei schwierig zu begründen, auch aufgrund rechtlicher und praktischer Einschränkungen. Hinzu kämen Schutzbehauptungen, so eine Sprecherin der Polizeiinspektion Braunschweig. Ablenkung als Unfallursache sei auch deswegen schwierig zu erfassen, da gehäuft Unfälle ohne klar erkenntliche Ursache auftreten würden. „Hier versuchen wir, tiefgreifender zu ermitteln, was denn tatsächlich zum Unfall geführt hat. Bisher gibt es noch kein überzeugendes Konzept zur statistisch sicheren Erfassung der Unfallursache ‚Ablenkung‘“, erklärt Uli Uhlendorf. Dennoch: Bei Überwachungsmaßnahmen durch Polizeibehörden und -dienststellen in Niedersachsen wurden 2018 mehr als 30.000 „Handy-Verstöße“ entdeckt und entsprechend geahndet. So steht es in der Statistik aus dem niedersächsischen Innenministerium.

Verschärfung des Handy-Verbots

Da nicht nur Mobiltelefone, sondern technische Geräte allgemein Verkehrsteilnehmer ablenken können, wurde das Handyverbot, Paragraph 23 der Straßenverkehrsordnung (StVO), im Oktober 2017 verschärft. Die Neuregelung schließt neben Smartphones sämtliche elektronische Geräte, die der Kommunikation, Information oder Organisation dienen ein. Daher gilt: Handys, Tablets, Notebooks, E-Book-Reader und dergleichen dürfen während der Fahrt nicht benutzt werden, denn Radfahrer müssen beide Hände am Lenkrad haben. Die Nutzung unter anderem der Sprachsteuerung, Vorlesefunktion und sogenannter Head-Up-Displays ist dagegen erlaubt. Außerdem gibt es im Bereich des Musikhörens eine rechtliche Grauzone. Es sei nicht illegal, Musik auch beim Fahrradfahren zu hören, sagt der Dresdner Verkehrsforscher Uhlenhof. Der Grad der Lautstärke dürfe aber nicht die eigene und die Sicherheit anderer Teilnehmer gefährden.

Bußgeld erhöht

Um die abschreckende Wirkung zu stärken, wurden auch die Bußgelder für Handyverstöße erhöht. Laut Straßenverkehrsordnung kostet Radfahrer der Verstoß gegen das Handyverbot 55 Euro. Autofahrer zahlen dagegen 100 Euro und erhalten zusätzlich 1 Punkt im Register in Flensburg. Geahndet wird jegliche Handynutzung (ohne Freisprechanlage oder Headset) auf dem Fahrrad, auch, wenn eingehende Anrufe weggedrückt werden. In den Niederlanden – darauf weist auch die Leserin hin – werden entsprechende Verstöße mit 95 Euro (Autofahrer 240 Euro) geahndet. In Deutschland liegt die Bußgeldgrenze für Radfahrer bei 60 Euro und sei somit bereits ausgeschöpft, so das Bundesverkehrsministerium.