Gadenstedt. Oft müssen Anwohner für Kosten aufkommen, wenn Straßen saniert werden. Nun geht ein Bündnis in der Region dagegen vor.

Fakt ist, es trifft nur Eigentümer, also den wohlhabenden Teil der Gesellschaft, was ich nachvollziehbar finde.

Das schreibt ein Leser, der sich Jürgen nennt, auf unseren Internetseiten. Zum Thema recherchierte Andre Dolle.

Sie tauschen sich aus. Sie machen Druck. Sie eint ein Ziel: die restlose Abschaffung von Straßenausbaubeiträgen in Niedersachsen . Eine Allianz von Bürgerinitiativen aus unserer Region macht gemeinsame Sache. Die Initiativen aus Gadenstedt im Kreis Peine, Wolfsburg, Velpke im Kreis Helmstedt und Wesendorf im Kreis Gifhorn widersprechen unserem Leser ganz erheblich: Es gebe keine soziale Staffelung, oft seien ältere Hausbesitzer mit kleiner Rente betroffen. Maren Zacharias aus Gadenstedt sagt: „Im schlimmsten Fall droht die Zwangsenteignung.“ Ihr Mann Michael Zacharias ergänzt: „Die Regelung in Niedersachsen ist ungerecht und unsozial. Alle fahren, einer zahlt: der Hausbesitzer.“

Die Große Koalition in Niedersachsen teilt diese Sichtweise nicht. Sie will zwar mit einer Reform Härten beseitigen, doch im Grundsatz bleibt sie dabei: Kommunen dürfen Hausbesitzer bei einer Straßensanierung zur Kasse bitten.

Knapp 20 Millionen Euro haben Haus- und Wohnungsbesitzer in Niedersachsen vergangenes Jahr zum Ausbau kommunaler Straßen beisteuern müssen. Ein Drittel der Städte und Gemeinden erhebt allerdings gar keine Straßenausbaubeiträge. Die Situation ist also sehr unterschiedlich.

Die Reform von SPD und CDU sieht eine Art Ausschlusskriterium für säumige Kommunen vor, die bewusst ihre Straßen über einen längeren Zeitraum verfallen lassen. Zudem soll bei großen Arealen oder Eckgrundstücken künftig nur ein Teil angerechnet werden, um Ungerechtigkeiten zu vermeiden. Ein weiterer Punkt des Entwurfs ist die Möglichkeit einer Ratenzahlung über 20 Jahre.

Maren Zacharias spricht von einem „faulen Kompromiss“. Die anderen Vertreter der Bürgerinitiativen aus unserer Region, die an diesem Vormittag der Einladung in eine Gadenstedter Pizzeria gefolgt sind, stimmen ihr lauthals zu. Die Initiativen stellen danach sich und ihre Probleme vor Ort vor.

Die Bürgerinitiative in Gadenstedt

In der Gemeinde im Landkreis Peine wird die Ortsdurchfahrt saniert. Familie Zacharias soll mindestens 14.000 Euro zahlen. „Die Summe ist für uns existenzbedrohend“, sagt Maren Zacharias. Die Familie hat zwei Kinder, wohnt im Häuschen, das sie von der Oma geerbt hat. Die Ortsdurchfahrt werde von vielen genutzt, zahlen müssten aber die Anlieger, sagt Michael Zacharias. Er hat ein Beispiel parat, das belegen soll, wie absurd die bisherige Regelung ist: „Unsere Nachbarin ist 86 Jahre alt. Sie hat gar kein Auto mehr. Für die Straßensanierung soll sie dennoch zahlen.“

Ein Bündnis aus der Region setzt sich gegen Straßenausbaubeiträge ein. Mit dabei beim Treffen in Gadenstedt im Kreis Peine waren Teilnehmer von Bürgerinitiativen aus Wolfsburg, Wesendorf, Velpke und Gadenstedt.
Ein Bündnis aus der Region setzt sich gegen Straßenausbaubeiträge ein. Mit dabei beim Treffen in Gadenstedt im Kreis Peine waren Teilnehmer von Bürgerinitiativen aus Wolfsburg, Wesendorf, Velpke und Gadenstedt. © Andre Dolle

Etwa sechs Millionen Euro soll der Ausbau in zwei Abschnitten kosten. Und davon sollen die mehr als 100 Anlieger 30 Prozent selbst tragen. Maren und Michael Zacharias engagieren sich in der Bürgerinitiative (BI) „Wir für Gadenstedt“. Die BI ist sehr umtriebig. Mehrmals waren Mitglieder im Landtag, haben auf Abgeordnete von CDU, SPD und FDP eingeredet. „Man hat uns nicht zugehört“, ärgert sich Maren Zacharias. Nur die FDP habe ein offenes Ohr gehabt. „Gerechtigkeit hängt offensichtlich davon ab, wie gut gefüllt der Landeshaushalt ist“, sagt sie.

„Wir schlafen kaum noch“, so die zweifache Mutter. „Judo und Klavierunterricht etwa müssen wir künftig streichen.“ In Gadenstedt schwanke der finanzielle Anteil der Ortsdurchfahrts-Anwohner je nach Grundstücksgröße und Geschosshöhe von 3000 Euro bis zu satten 200.000 Euro , sagt Zacharias.

Die Initiativgruppe Velpke

In Velpke sollen gleich fünf Gemeindestraßen saniert werden. Baubeginn soll 2022 sein. Von den 2 Millionen Euro Baukosten sollen die 146 Anlieger etwa 1,4 Millionen Euro zahlen.

Rentner Georg Brantowski ist einer von ihnen. „Ich rechne mit 14.000 Euro Eigenanteil“, sagt er. „Das ist eine stolze Summe für mich. Da muss ich lange für stricken.“ Er reicht einen Handzettel herum, den seine Initiative erstellt hat. „Achtung Haus- und Grundstücksbesitzer in Velpke“ steht in großen Lettern auf dem gelben Zettel. Von einer „Zwangsabgabe“ ist die Rede.

Kleine Erfolge hat die Initiativgruppe bereits erreicht. Es gab zum Beispiel eine Anhörung beim Bürgermeister. Die Gruppe strebt ein Bürgerbegehren an. Ausgang offen.

Der Verein „Wesendorfer für Wesendorf“

Auch Kurt Karlisch vom Verein aus Wesendorf hat einen Handzettel dabei. „Wer sich nicht wehrt, hat schon verloren“ steht darauf unter anderem. In Wesendorf rechnet der Verein mit 14 Straßen, die in den nächsten vier Jahren saniert werden sollen. „Die Gesamtsumme steht noch nicht fest“, so Karlisch. Was er besonders dreist findet: „Unser Bürgermeister hat die Anwohner in einem Brief bereits aufgefordert, entsprechende Rücklagen zu bilden.“ Das hat sich der Verein nicht gefallen lassen. 1200 Unterschriften hat er gesammelt. Und einen Teilerfolg erzielt: Bis Dezember 2020 ist die Sanierung der Straßen in Wesendorf erst einmal ausgesetzt. Das reicht dem Verein noch nicht: „Wir wollen einen Bürgerentscheid herbeiführen“, sagt Karlisch. „Eventuell werden wir klagen.“

Die Reform von SPD und CDU im Land bezeichnet er als „völlig neben der Spur“. Man werde nicht locker lassen. „Wir werden der Gemeinde und auch dem Land weiter auf den Keks gehen.“

Karlisch hat sich gut auf das Treffen in Gadenstedt vorbereitet. Er sagt: „Straßen sind Allgemeingut und somit aus allgemeinen Einnahmen des Haushalts von Bund, Land und Kommune zu finanzieren.“ Hauseigentümer dürften nicht doppelt und dreifach zur Kasse gebeten werden: „Sie zahlen schon Grunderwerbssteuer, Erschließungskosten für die Straße, an der sie wohnen, zusätzlich die jährlich wiederkehrende Grundsteuer. Sie bezahlen alles, was mit ihrem Grundeigentum im Zusammenhang steht, von bereits einmal versteuertem Einkommen.“ Die versammelten Vertreter der Initiativen nicken zustimmend.

Die Bürgergemeinschaft Wolfsburg-Eichelkamp

Die Wolfsburger um Erika Weise sind von einer Straßensanierung bisher noch gar nicht betroffen. Sie gehen aber schon mal präventiv gegen drohende Sanierungskosten vor. „Denn da kommt sicher etwas auf uns zu“, sagt Weise. Viele Häuser und Straßen seien in den 50er Jahren gebaut worden, eine Sanierung der Straßen eine Frage der Zeit. Weise erzählt von einer Verkehrszählung in ihrer kleinen Straße: 434 Fahrten seien pro Tag registriert worden. „Davon aber nur 40 Fahrten von uns Anwohnern“, sagt sie. Was sie damit ausdrücken will, ist klar: Warum sollen die Anwohner bei einer möglichen Sanierung zahlen, obwohl sie die Straße nur zu einem geringen Teil nutzen? „Da kommt aber ein Riesenfaktor auf uns und unsere Kinder zu.“

Auch Reinhard Helms ist Mitglied in der Bürgergemeinschaft. Er kritisiert die Stadt Wolfsburg, die von Anwohner-Beteiligungen nicht abrücken will. „Die Forderungen von VW werden aber immer schön erfüllt.“ Er spricht von einer Zwei-Klassen-Gesellschaft in Wolfsburg. „Wir haben nicht nur VW-Mitarbeiter oder VW-Rentner bei uns. Straßenausbaubeiträge stellen viele vor große Probleme.“