Braunschweig. Wir dokumentieren die Rückführungs-Quoten für jeden einzelnen Landkreis in Niedersachsen. Es herrscht großer Reformbedarf.

Da muss, wie bei einer Verhaftung, morgens einfach der Bus vor der Tür stehen. Ohne vorherige Briefe/Termine. Direkt zum Flughafen, und dann Abflug.

Das bemerkt Marcel J. Blenk auf unseren Facebookseiten.

Zum Thema recherchierte Andre Dolle.

Was unser Leser fordert, ist längst Realität. Die Termine der Abschiebung werden den Flüchtlingen nicht mehr mitgeteilt. Und doch waren im vergangenen Jahr nur 23 Prozent der geplanten Abschiebungen erfolgreich.

Abgelehnte Flüchtlinge tauchen unter, weil ihnen ihre generelle Ausreisepflicht von den Ausländerbehörden der Kommunen mitgeteilt wurde. In vielen Fällen legen Flüchtlinge vor geplanten Abschiebungen ärztliche Atteste vor, die ihre Reiseunfähigkeit bescheinigen. Diese Regelung wurde im Juli 2017 verschärft, so dass nur noch bei ganz schweren Krankheiten nicht mehr abgeschoben wird. Viele Ausreisepflichtige gehen rechtlich gegen die Abschiebung vor. Es gibt Probleme mit den Herkunftsländern, die die Flüchtlinge wieder aufnehmen sollen. Es gibt auch Probleme mit eigentlich befreundeten EU-Mitgliedsländern. Denn nach den sogenannten Dublin-Regeln ist normalerweise jener EU-Staat für Asylanträge zuständig, auf dessen Boden Schutzsuchende zuerst die Europäische Union betreten haben. Oft haben abzuschiebende Flüchtlinge auch keine Pass- oder Reisedokumente.

Die Probleme sind also vielfältig. Was die Abschiebepraxis zusätzlich erschwert: Eine Vielzahl an Behörden ist beteiligt. Bevor ein abgelehnter Flüchtling ins Flugzeug gesetzt wird oder an der Grenzübergabestelle ankommt, haben in Niedersachsen die kommunalen Ausländerbehörden, die Polizei, die Bundespolizei oder das Landeskriminalamt, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), die Landesaufnahmebehörde und eventuell auch noch Verwaltungsgerichte die Finger im Spiel. Es kommt zu Reibungs- und Zeitverlusten. Bernhard Reuter (SPD), Landrat des Kreises Göttingen, sagt: „Ich weiß, wie komplex und sensibel das Thema ist.“

Reuters Landkreis zählt zu denjenigen mit den schlechtesten Abschiebe-Quoten (siehe Tabelle). Der Landkreis Göttingen hat wie 24 andere Kommunen in Niedersachsen vom Landesinnenministerium „Blaue Briefe“ erhalten. Reuter wehrt sich und stellt sich vor seine Ausländerbehörde. Er sagt: „Die Zahlen bilden nur einen Teil des komplexen Themas ab und sind für eine politische Steuerung nicht geeignet. Schon gar nicht rechtfertigen sie einseitige Schlussfolgerungen und unsubstantiierte Ratschläge.“ Der Landkreis habe im vergangenen Jahr eine Reihe neuer Beschäftigter eingearbeitet. Es gebe aber zu viele Faktoren, die von der jeweiligen Ausländerbehörde nicht beeinflusst werden könnten.

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Dass die Abschiebe-Quoten der Ausländerbehörden in Niedersachsen von 1,79 Prozent bis 101,79 Prozent liegen, will eine Sprecherin des Innenministeriums relativieren. „In vielen Fällen wird es nachvollziehbare Gründe für die Anzahl der eingeleiteten Abschiebungen geben“, sagt sie. Offenbar sieht das Ministerium jedoch selbst Reformbedarf. Die Sprecherin hob hervor, dass es „selbstverständlich“ sei, dass die Ursachen für die Herausforderungen bei der Abschiebung von Flüchtlingen „auf allen Ebenen staatlichen Handelns untersucht werden“.

Auch der Landkreis Goslar hat die „Blauen Briefe“ erhalten. Ein Sprecher des Landkreises weist darauf hin, dass nur noch wenige Flüchtlinge, die im Landkreis wohnen, überhaupt abschiebbar seien. Tatsächlich gab es im Kreis Goslar 2016 insgesamt 382 freiwillige Ausreisen. Diese Flüchtlinge sind ihrer Abschiebung zuvorgekommen und haben in vielen Fällen eine Art finanzielle Starthilfe erhalten.

Der Sprecher des Landkreises moniert die Arbeit der Landesregierung . Er sagt: „Die Zahlen wären landesweit nur vergleichbar gewesen, wenn tatsächlich in allen Einzelfällen die konkreten Duldungsgründe abgefragt worden wären. Dies ist jedoch nicht geschehen.“ Beispielsweise sei es nicht nachvollziehbar, warum überhaupt geduldete Afghanen und Iraker in die Statistik eingeflossen sind, obwohl laut der niedersächsischen Erlasslage Personen aus diesen Ländern gar nicht abgeschoben werden können. An dieser Kritik ist etwas dran.

Der Landkreis Goslar will das Innenministerium auf mögliche Verbesserungen bei der Abschiebepraxis hinweisen, kündigte der Sprecher an. Er sagt: „Eine Kritik über Dritte wäre unangebracht.“

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Nicht einverstanden mit der Herangehensweise des Innenministeriums ist auch Andreas Ebel, der Landrat des Landkreises Gifhorn. Der Landkreis hat demnach unverhältnismäßig viele Dublin-Fälle zugeordnet bekommen. Das habe das Innenministerium dem Landkreis auf Anfrage mitgeteilt, sagt Ebel. So ließe sich auch die hohe Zahl an eingeleiteten Überstellungen erklären. Dem Landrat liegt offenbar daran, dass der Landkreis Gifhorn, der die meisten Abschiebungen in Niedersachsen einleitete, nicht als besonders rigide eingeschätzt wird.

Ebel verwehrt sich gegen pauschale Schlussfolgerungen. Und doch muss gesagt werden: Es gelten für jede Ausländerbehörde identische Gesetze. Und die Zahlen weichen stark voneinander ab. So leitet der Landkreis zwar besonders häufig Abschiebungen ein. Davon sind aber nur knappe zehn Prozent erfolgreich. Ebel: „Diese Zahl kann nicht durch den Landkreis beeinflusst werden.“ Das ist korrekt, denn für den Vollzug der Abschiebung sind die Polizei und die Landesaufnahmebehörde zuständig. Es bleibt noch viel zu tun.