Braunschweig. . „Fridays for Future“ – Viele Politiker unterstützen die Demonstranten. Doch die Schulbehörde betont: Streik bedeutet unentschuldigtes Fehlen.

In Deutschland und aller Welt gehen derzeit Schüler und Studenten auf die Straße. Sie protestieren jeden Freitag gegen eine Klimapolitik, die nicht ausreicht, die menschgemachte Erderwärmung auf ein erträgliches Maß zu begrenzen. Das Motto der Kundgebungen lautet nach dem Vorbild der jungen schwedischen Aktivistin Greta Thunberg „Fridays For Future“.

Auch in der Region gehen die Schüler seit Mitte Januar auf die Straße. Vier Mal haben sie sich bereits in Braunschweig versammelt. „Die Schüler kommen aber aus der ganzen Region“, weiß Marie Eitner von der Grünen Jugend Braunschweig. Sie gehört zum Organisationsteam. Die erste globale Demo ist für den 15. März geplant. In Braunschweig wollen sich die Schüler um 10 Uhr vor dem Schloss treffen. Dass die Schüler ihre Schulpflicht verletzten, nehmen die Organisatoren bewusst in Kauf. „Es ist ja leider so, dass man Dinge nur bewirken kann, indem man sich außerhalb der Norm bewegt“, sagt Eitner. Genau darin sehe sie die große Chance, dass die Politik große Schritte auf die Jugend zugehe. Sie räumt aber auch ein: „Es ist klar, dass das langfristig nicht mit der Schulpflicht vereinbar ist.“

Es demonstrieren die gebildeten, ökologisch Interessierten

Für Julian Schenke steht die „Fridays for Future“-Bewegung noch ganz am Anfang. Der Sozialwissenschaftler vom Göttinger Institut für Demokratieforschung untersucht die Schülerproteste in der „Bundesfachstelle linke Militanz“. Die 155 Ortsgruppen der Bewegung und die bundesweit rund 30.000 Demonstranten am 15. Februar, dem bisherigen Höhepunkt der Proteste, nennt er „beachtliche Zahlen“.

„Man sieht viel Enthusiasmus und Entschlossenheit“, sagt der gebürtige Helmstedter. Gleichzeitig seien die Forderungen bislang noch eher diffus als konkret. „Protest beginnt immer aus einer Art Ursuppe des Unbehagens heraus. Erst nach und nach treten Anführer auf den Plan, und eine Bewegung professionalisiert sich.“ Die „Fridays for Future“-Bewegung sei noch mitten dabei, so der Forscher. Bisher höre man überwiegend Bekenntnisse zu Umwelt und Klimaschutz, denen fast jeder auf Anhieb zustimmen könne. „Bei der von uns geplanten Befragung wollen wir herausfinden, wie die Demonstrationsteilnehmer Umwelt- und Wirtschaftsinteressen gegeneinander abwägen.“

Auch wenn die Befragung noch aussteht, vermutet Schenke, dass die Demonstranten vor allem aus bildungsbürgerlichen, ökologisch interessierten Schichten stammen. „Es scheint, dass überwiegend Schüler von Gymnasien, Abiturienten und Studenten an diesen Demonstrationen teilnehmen.“ Dass die größten Kundgebungen in Hannover, Berlin, München und Hamburg stattfanden, überrascht ihn nicht: „ Sowas kommt nicht aus dem Nichts: Das sind Städte mit starker Umweltschutz-Szene.“

Bemerkenswert findet Schenke, dass die protestierenden Schüler für sich in Anspruch nehmen, ihre Generation zu vertreten – wie etwa die protestierenden Studenten 1968. „Das hatten wir lange nicht“, sagt er, „dass die Jugend als Jugend auftritt und so klar Vorwürfe gegen ältere Gruppen erhebt.“

Eine große Zukunft mag der Protestforscher den Freitagsprotesten noch nicht voraussagen.„Da ist bisher nichts, was man so nicht schon in ähnlicher Weise gesehen hätte. Eine andere Nummer wäre es, wenn sich die Umweltschutzbewegung und das wertkonservative ländliche Milieu unter einem schwarz-grünen Banner ‘Bewahren und Erhalten’ zusammentun würden. Das wäre dann wirklich eine neue Qualität.“

Trotzdem kann sich Schenke gut vorstellen, dass die Demonstrationen zu prägenden Erlebnissen für die Schüler und Studenten werden: „Die Ersten Erfolgserlebnisse haben sie ja durchaus schon gemacht. Sie haben die Aufmerksamkeit der Politiker erlangt. So entwickeln sie ihre zivilgesellschaftlichen Netzwerke, und werden zu politischeren Menschen.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich am Wochenende hinter die wöchentlichen Schülerdemonstrationen gestellt.„Ich unterstütze sehr, dass Schülerinnen und Schüler für den Klimaschutz auf die Straße gehen und dafür kämpfen“, sagte die CDU-Politikerin in ihrem am Samstag veröffentlichten Videopodcast. „Ich glaube, dass das eine sehr gute Initiative ist.“ Die Klimaschutzziele seien nur erreichbar, wenn es Rückhalt in der Gesellschaft gebe. Auf die umstrittene Verletzung der Schulpflicht ging sie dabei nicht ein.

Jetzt wird über die Schulpflicht debattiert

Derweil hat die Debatte um die Schulpflicht an Fahrt aufgenommen. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) verteidigte die Demonstrationen, betonte unter Verweis auf die Schulpflicht aber auch, das sei nicht dauerhaft machbar. Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock erklärte dagegen in der „Nordwest-Zeitung“: „Würde die Bundesregierung ihre Hausaufgaben machen, bräuchten die Jugendlichen nicht während der Schulzeit auf die Straße gehen. Daher habe ich großes Vertrauen in die Schulleitungen, gemeinsam mit den Eltern und Schülern Wege zu finden, die Teilnahme an Demos zu ermöglichen.“

Wie viele Stimmen aus dem politischen Berlin, begrüßt die Niedersächsische Landesschulbehörde die Demonstrationen grundsätzlich, betont aber auch die Schulpflicht: „Die Demonstrationen sollten außerhalb der Unterrichtszeit stattfinden. Ein ‘Streik’ gilt als unentschuldigtes Fehlen und damit als Verletzung der Schulpflicht“, sagt Sprecherin Bianca Schöneich.

Aber welche Konsequenzen drohen den Schülern? Generell gebe es keine festgesetzte Anzahl an Fehltagen, deren Überschreiten die Versetzung gefährden würde. Problematisch sei es dennoch, sagt Andreas Herbig von der Landesschulbehörde. Wie verfahren werde, müssten die Schulen und Lehrer entscheiden. Sie könnten Schüler beispielsweise nachsitzen lassen oder ihre Leistung an dem Tag mit „ungenügend“ bewerten. .