Helmstedt. Die Kohlekommission hat einige der Helmstedter Ideen in ihren Abschlussbericht aufgenommen. Nun müssen sie ins Maßnahmenpaket der Bundesregierung.

Unter den Projektideen im Abschlussbericht der Kohlekommission zum Kohleausstieg in Deutschland tauche das Helmstedter Revier redaktionell an erster Stelle auf, stellte Helmstedts Landrat Gerhard Radeck (CDU) am Dienstag auf dem Rückweg aus Hannover mit Genugtuung fest. Zusammen mit dem Landkreis-Berater und früheren Chef der niedersächsischen Staatskanzlei, Lothar Hagebölling, hatte sich Radeck mit Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) über das Kommissionsergebnis ausgetauscht. „Der Minister ist sehr zuversichtlich, was den Strukturwandel im früheren Helmstedter Braunkohle-Revier angeht“, berichtete Radeck. Es herrsche Aufbruchstimmung.

Viele Projektideen schafften es in den Abschlussbericht

In der Tat hat es eine Vielzahl von Projektvorschlägen für eine wirtschaftliche Stärkung des vergleichsweise kleinen altindustrialisierten Reviers zwischen Helmstedt und Schöningen in den Abschlussbericht geschafft, der nun vom Bundestag in ein Maßnahmengesetz umgewandelt werden muss. Die Vorschläge zielen vor allem darauf ab, an die Tradition des Energiestandortes Helmstedt anzuknüpfen.

Helmstedts Landrat Gerhard Radeck (links) und Landkreis-Berater Lothar Hagebölling sind sehr zufrieden mit den Vorschlägen der Kohlekommission für den Strukturwandel im Helmstedter Revier.
Helmstedts Landrat Gerhard Radeck (links) und Landkreis-Berater Lothar Hagebölling sind sehr zufrieden mit den Vorschlägen der Kohlekommission für den Strukturwandel im Helmstedter Revier. © Peter Sierigk

Eine Anlage für Batterie-Recycling im Zusammenhang mit der zunehmenden Elektromobilität fand ebenso Aufnahme in den Ideen-Katalog wie „Reallabore für die Energiewende“, in denen Technologien zur Speicherung oder anderweitigen Nutzung von Stromerträgen aus Erneuerbaren Energien (Windkraft, Solarenergie) entwickelt werden sollen.

Die Gründung eines niedersächsischen Technologiezentrums zur Phosphorrückgewinnung aus der geplanten Klärschlammverbrennung am Kraftwerksstandort Buschhaus und der unter einem Prüfungsvorbehalt stehende Vorschlag, eine „Forschungsstelle Endlagerung“ der Bundesgesellschaft für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in Helmstedt zu eröffnen, runden die Energie-Palette ab.

Helmstedt soll enger an Braunschweig und Wolfsburg rücken

Daneben gehören eine bessere Schienenanbindung an Wolfsburg, die Entwicklung eines interkommunalen Gewerbegebiets mit Braunschweig und Wolfsburg am Autobahnkreuz Wolfsburg/Königslutter und das Thema Digitalisierung und Mobilität im ländlichen Raum zu dem von der Kohlekommission angedachten Maßnahmenpaket. Für die Förderung des Strukturwandels in Helmstedt und in den anderen – noch aktiven – Kohlerevieren in Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg soll der Bund Milliarden zur Verfügung stellen.

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Geld allein wird es jedoch nicht richten. „Wir werden unsere Ziele nur durch eine enge Zusammenarbeit in der Region erreichen können“, sagte Radeck am Dienstag. Und Lothar Hagebölling verwies darauf, dass die Kommission ihren Regionsbegriff tatsächlich weiter gefasst habe, er schließe Braunschweig, Wolfsburg und Wolfenbüttel in die Betrachtungen ein. Die Wolfsburger Pläne für eine „Digital City“ dürften daher nicht Halt machen an der Stadtgrenze, das Umland sei unbedingt einzubeziehen. Auch das Wirtschaftsministerium in Hannover sehe das so.

Wunderling-Weilbier als Revierbeauftragter

Eine Überraschung freilich hatte der Abschlussbericht für den Helmstedter Landrat parat, trotz der von Radeck und Hagebölling betonten guten Kontakte zu den Ministerien in Hannover: Beim Kraftakt, all die erforderlichen Aktivitäten für den Strukturwandel zu steuern, soll ein Revierbeauftragter maßgebliche Unterstützung leisten.

Der Bericht schlägt hierfür den Landesbeauftragten für regionale Landesentwicklung Braunschweig vor, Matthias Wunderling-Weilbier (SPD), Radecks Vorgänger im Amt des Helmstedter Landrats. „Wir werden umgehend Kontakt mit der Landesbehörde aufnehmen, um zu klären, wie die Zusammenarbeit aussehen soll“, bemühte sich Radeck darum, am Tag der positiven Botschaften für das Helmstedter Revier keine Missstimmung aufkommen zu lassen. Und schickte zur Bekräftigung hinterher: „Ich habe einen guten und normalen Kontakt zu Matthias Wunderling-Weilbier.“

Der Braunkohletagebau als Ökotop

Keinen Eingang in die Vorschlagsliste der Kohlekommission hat eine Vision finden können, die noch in den Anfängen einer Konzeptfindung steckt, die aber für ein anderes wichtiges Standbein steht, auf das der Kreis Helmstedt sehr viel stärker und auch kühner setzen will: der Tourismus.

Bei diesem Stichwort denken viele sofort an das Schöninger Speere-Erlebniszentrum Paläon, das die nebenan im Tagebau ausgegrabenen und ältesten bekannten Jagdwaffen der Menschheit beherbergt. Und sie denken richtig. Unter dem Arbeitstitel „Wildnis wagen“ werden laut Radeck Überlegungen verfolgt, das riesige Loch des stillgelegten Schöninger Braunkohletagebaus in ein bundesweit einmaliges, umzäuntes Ökotop zu verwandeln, in dem seltene Pflanzen und Tiere angesiedelt werden – mit dem Vorteil für Besucher, alles aus der Vogelperspektive, also vom Tagebaurand, beobachten zu können.

Vergleich mit Attraktionen im Harz

„Was an der Rappbodetalsperre im Harz möglich ist, könnte auch bei uns Realität werden“, spielte Radeck auf Angebote für erlebnishungrige Touristen wie Hängebrücken oder Seilrutschen an. „Es gibt Investoren, die sich für so etwas ernsthaft interessieren.“

Radecks exzellent vernetzter, ansteckend beseelter Berater und Begleiter Lothar Hagebölling, Honorarprofessor am Institut für Rechtswissenschaften der TU Braunschweig, ist der Mann für die Wiederbelebung des akademischen Potenzials der ehemaligen Universitätsstadt Helmstedt. Von ihm stammt der Vorschlag, direkt am früheren Eisernen Vorhang eine Forschungs- und Begegnungsstätte zum Thema Grenzen einzurichten. „Helmstedt ist durch seine Geschichte prädestiniert dafür“, sagt Hagebölling voller Überzeugung. „Irgendwo in Europa sollte an die Grenze erinnert werden, die zwei Welten jahrzehntelang voneinander trennte. Vor allem in Zeiten, in denen so viele neue Grenzen errichtet werden sollen.“

Vorschläge klingen gut, müssen aber finanziert werden

Die Vorschläge der Kohlekommission und die Pläne des Tandems Radeck/Hagebölling klingen gut. Ihre Verwirklichung ist die große Herausforderung. „Zunächst einmal muss der Bundestag das Maßnahmenpaket beschließen“, sagte Hagebölling. Und dann werde es um die Frage der Kofinanzierung bei der Umsetzung all der Projektideen gehen. „Der Landkreis Helmstedt kann das alleine nicht stemmen“, meinte Hagebölling. „Wir müssen darüber nachdenken, wie sich Fördertöpfe klug kombinieren lassen und wir müssen die Wirtschaft ins Boot holen.“

Die Wirtschaft an Bord, das hat im Kreis Helmstedt strukturbedingt keine sehr wirkungsvolle Tradition. „Wir haben großartige Unternehmen, die sich auch einbringen, aber wir haben nicht genug davon“, brachte Radeck den insgesamt dünnen Besatz mit ertragreichen Betrieben auf den Punkt. Die Einnahmeschwäche bei der Gewerbesteuer hat sich für Helmstedt bislang als chronisch erwiesen. Ein zentnerschwerer Hemmschuh, wenn Zukunft gestaltet werden soll.

Fusion mit Wolfsburg gilt weiterhin als gescheitert

Das alte Revier endlich nach vorne zu bringen, das definiert der Abschlussbericht der Kohlekommission als regionale Aufgabe. Die Stadt Wolfsburg, jüngst wieder fusionswillig gegenüber Helmstedt, dürfte das aufmerksam lesen. Auf das Thema Fusion will sich Landrat Radeck öffentlich aber erst einlassen, wenn ein klärendes Gespräch mit Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs (SPD) stattgefunden hat. Grundsätzlich, so Radeck gestern, gelte dies: „Die Fusion ist schon mal gescheitert. Darüber zu reden macht nur Sinn, wenn sich an der Faktenlage etwas ändert. Das ist bislang nicht zu erkennen.“