Expertin Susanne Pfleger blickt in unserem Orakel optimistisch auf die Kultur-Institutionen der Region im Jahr 2019 – und mit Sorge auf die AfD.

Professor Dr. Susanne Pfleger ist unsere Expertin für die Vorschau auf das Kulturjahr. Sie studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Musikwissenschaft, lehrt Kunstmanagement an der Kunsthochschule Halle und leitet seit 1997 die Städtische Galerie Wolfsburg. Martin Jasper und Florian Arnold befragten sie.

Wird die Affäre um den gekündigten und bereits freigestellten Direktor Ralf Beil das Image des Kunstmuseums Wolfsburg beschädigen?

Das Kunstmuseum hat sich seit seiner Gründung den Ruf eines attraktiven Museums erworben, das immer wieder sehr hohe, vor allem mediale Aufmerksamkeit binden kann. Die aktuelle Situation nun wünscht man keinem Kollegen und auch keinem Museum, aber eine dauerhafte Schädigung wird nicht zurückbleiben. Das setzt natürlich voraus, dass der neue Direktor An-dreas Beitin – wie schon seine Vorgänger – ein interessantes Programm entwickelt.

Wird Beitin die von Beil konzipierte Öl-Ausstellung realisieren?

Beitin selbst hat in einem Interview verlauten lassen, dass im Januar entschieden werde, ob die geplante Ausstellung „Oil – Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters“ realisiert wird. Da die Organisation einer großen Ausstellung immer Teamwork ist, wird es wohl auch davon abhängen, inwieweit das Team sich in der Lage sieht, die Konzeption dieses Projekts fortzuführen. Die Vorbereitungen sind sicher schon sehr weit fortgeschritten. Beitin kommt ja erst im April, bis dahin muss eigentlich die Arbeit bereits abgeschlossen sein. Bei einem Direktorenwechsel ist es aufgrund der langen Vorlaufzeit, die große Ausstellungsprojekte benötigen, üblich, dass der Nachfolger im ersten Jahr in die bereits vom Vorgänger vereinbarten Projekte einsteigt. Es gibt ja auch Sachzwänge. „Oil“ ist, soviel ich weiß, eine Zusammenarbeit mit dem Belvedere in Wien.

Aber vielleicht überrascht uns An-dreas Beitin mit einer eigenen Produktion, die er zusammen mit der Kunsthalle München realisierte und die ab Februar im Ludwig Forum Aachen zu sehen ist. Das zeichnet sich in meiner Kugel ab.

Würden Sie an seiner Stelle die Öl-Ausstellung realisieren?

Ich würde das an seiner Stelle nicht tun.

Wird Beil im Laufe des Jahres einen neuen Job in der Kunstszene finden?

Ralf Beil hat einen ausgezeichneten Ruf als Ausstellungsmacher. Er ist international vernetzt, und ich bin sicher, er wird noch viele interessante Projekte realisieren.

Wird der neue Direktor Thomas Richter im Herzog-Anton-Ulrich-Museum vieles anders machen?

Zunächst wird er sich an dem „neuen“ HAUM erfreuen und statt alles über den Haufen zu werfen, lieber interessante Sonderausstellungen konzipieren. Daneben wird er die digitale Strategie des HAUM in den Fokus nehmen und dynamisch vorantreiben. Als ehemaliger Leiter von acht Museen in Aschaffenburg ist er sicher in der Lage, sich effizient mit allen Playern in Braunschweig und der Region zu vernetzen. Das erfolgreiche „Wochenende der Graphik“ ist da ein gutes Beispiel für eine gemeinsame Initiative, und es gibt sicher noch einige Ideen, die in der Region entwickelt werden können. Thomas Richter erwartet am HAUM ein gutes Team, mit dem es ihm gelingen wird, die Institution Museum in die Zukunft zu denken.

Wird die neue Spielstätte für Movimentos das Kraftwerk annähernd ersetzen können? Was halten Sie von der bisherigen Praxis, das Festival unter große moralische Motti zu stellen?

Das Kraftwerk bot einen einzigartigen Rahmen für das Festival Movimentos. Diese Atmosphäre und das Flair können und sollten in keiner anderen Spielstätte imitiert werden. Dafür sind aber in einem Neubau Technik und Akustik vermutlich besser, und ich bin sicher, dass die Veranstalter eine neue interessante Atmosphäre schaffen werden. Der Umzug bietet auch die Chance eines Relaunchs des Festivals. Ob dann weiterhin moralische Motti die Klammer bilden, wird sich zeigen. Würde, Toleranz, Glück, Frieden, Liebe und Freiheit. Das sind große Themen, die unmittelbar an unser humanistisches Erbe seit der Aufklärung denken lassen. In Zeiten der selbsternannten Gegen-Aufklärer und der „alternativen Wahrheiten“ ist es umso wichtiger, mit moralischen Motti dieser Art Fahne zu zeigen. Wie der Einzelne diese großen Begriffe füllt, das bleibt ihm ja selbst überlassen.

Intendantin Dagmar Schlingmann hat in ihrer ersten Spielzeit den Zuschauer-Rückgang im Staatstheater Braunschweig nicht stoppen können. Wird ihr die Trendwende gelingen?

Ich halte es für problematisch, wenn man bei der Beurteilung einer Kultureinrichtung immer nur auf die Zahlen schielt. Zahlen sind nicht alles, die Qualität muss stimmen. Ich wünsche ihr, dass es ihr, wie an ihrer früheren Wirkungsstätte Saarbrücken, auch in Braunschweig gelingt, weiterhin ein vielfältiges Programm von hoher Qualität anzubieten.

Werden die voraussichtlichen Wahlerfolge der AfD in Sachsen und Thüringen Einfluss auf die Kulturpolitik und Kulturszene haben?

Die kulturpolitischen Vorstellungen der AfD unterscheiden sich in vielen Punkten grundlegend von denen der anderen Parteien. Da aber alle Parteien es bisher ablehnen, mit der AfD zu koalieren, wird es in Sachsen und Thüringen nicht zu einer Regierungsbeteiligung kommen. Sollte die AfD die Wahlen für sich entscheiden und die Regierung stellen, wird sie den Fokus auf Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik setzen, im Sinne einer Politisierung von Kunst und Kultur von Seiten des Staates.

Wer wird Nachfolger von Rainer Steinkamp als Intendant des Scharoun-Theaters Wolfsburg?

Oje, man mag ihn eigentlich gar nicht ziehen lassen. Er hat mit viel Einfühlungsvermögen in das Wolfsburger Publikum das Theater modernisiert und dem Programm neuen Schwung gegeben. Der Name des Nachfolgers oder der Nachfolgerin verbirgt sich aktuell noch im Schneegestöber meiner Kugel.

Wird Gangsta-Rap 2019 endgültig alle anderen Musikrichtungen dominieren?

Gangsta-Rap, das ist eine marketingorientierte Musikrichtung, der es immer wieder gelingt, mit gezielten Beleidigungen, Gewaltverherrlichungen und anderen Provokationen ein großes, vornehmlich jugendliches Publikum anzusprechen. Spätestens nach dem Antisemitismus-Skandal um Farid Bang und Kollegah, die im April mit dem Musikpreis Echo geehrt wurden, hat jedoch zum Glück eine Debatte begonnen, die auch den Verantwortlichen in der Musikindustrie die Augen geöffnet hat. Bei der Beurteilung von Musik und der Vergabe von Preisen sollte es nicht nur um die nackten Verkaufszahlen gehen!

Wird der Brexit auch der britischen Kunstszene schaden?

60 Prozent der internationalen Transaktionen auf dem Kunstmarkt laufen zur Zeit über den britischen Markt. Sollte der Brexit kommen, wovon wir im Moment ausgehen müssen, wird die alte Handelsnation Großbritannien sich wahrscheinlich Mittel und Wege erdenken, weiterhin tonangebend zu bleiben. Man sollte in diesem Zusammenhang auch nicht die Rolle der in London beheimateten Auktionshäuser Christie’s und Sotheby’s unterschätzen. Kenner des Marktes halten im Falle eines Brexits eine massive Senkung oder gar Abschaffung der britischen Mehrwertsteuer auf Kunst für möglich. Sollte das passieren, würde der britische Kunstmarkt womöglich sogar noch weiter gestärkt werden.

Wer erhält den nächsten Goslarer Kaiserring?

Nachdem mit dem 50-jährigen Wolfgang Tillmans in diesem Jahr ein mittelalter, männlicher Künstler den Preis erhalten hat, gehe ich einmal davon aus, dass nun wieder eine etwas ältere, weibliche Künstlerin für ihr Lebenswerk geehrt werden wird. Die 1946 in Belgrad geborene Marina Abramović gehört zu den Pionierinnen der Performance-Kunst. In Braunschweig hielt sie von 1997 bis 2004 eine Professur an der Hochschule für bildende Kunst inne. Ich halte durchaus für eine geeignete Kandidatin für den Kaiserring 2019.

Wird es 2019 wieder einen Literatur-Nobelpreis geben? Wird Adonis ihn endlich erhalten?

Die Verwirrung um den Literatur-Nobelpreis gleicht mittlerweile einer Provinzposse. Am 19. November dann endlich die befreiende Nachricht: Mit der Berufung von fünf externen Literaturexperten will sich die Schwedische Akademie nach außen hin öffnen und ihr angestaubtes Image aufpolieren. Es darf also gehofft werden. Mein Favorit bleibt der 84-jährige Syrer Adonis, der im Pariser Exil lebt. In seinen Werken propagiert er die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der arabischen Welt und nimmt somit eine kritische, kontrovers diskutierte Position ein. Sollte die kräftig verjüngte Jury jedoch ganz neue Akzente setzen, so könnte ich mir auch den großen norwegischen Autobiografen Karl Ove Knausgård vorstellen.

Werden die Rolling Stones und AC/DC 2019 noch einmal Alben mit neuen Songs veröffentlichen?

Das letzte sehr beachtenswerte Album „Blue & Lonesome“ der Stones war nach meiner Ansicht eigentlich ein guter Schlusspunkt unter die Studiolaufbahn der Rockstars. Ich fürchte, alles weitere wird dagegen abfallen. Aber wie die Stones heizt auch das Marketing von AC/DC gerne die Gerüchteküche ein wenig an, und es ist gut vorstellbar, dass die lebenden Legenden neue Alben veröffentlichen. The Show must go on.