Laatzen. . Die Messanlage an der B 6 nahe Hannover ist bundesweit einmalig. Datenschutzrechtliche Bedenken gibt es aber weiterhin.

Was sagt denn der Datenschutzbeauftragte oder der ADAC dazu, wenn die Daten des Autofahrers fast zwei Minuten lang zunächst anlasslos zwischengespeichert werden?

Das fragt Leser Franz Albert aus Wolfenbüttel.

Die Antwort recherchierte
Dirk Breyvogel.

Eine berechtigte Frage des Lesers. Neben der umfassenden technischen Abnahme der Messanlage waren datenschutzrechtliche Bedenken der Grund dafür, dass die Inbetriebnahme des ersten bundesweiten Streckenradars an der Bundesstraße 6 bei Hannover sich fast vier Jahre verzögert hat. Welche Daten werden wie lange und für welchen Zweck gespeichert? Die Datenschutzbeauftragte des Landes Niedersachsen, Barbara Thiel, hat ihre Zustimmung an Bedingungen geknüpft.

So einigte man sich unter anderem darauf, dass die Anlage nur zur Feststellung einer möglichen Geschwindigkeitsüberschreitung genutzt wird und erhobene Daten zu keinen anderen Zwecken genutzt werden dürfen. Außerdem müssen bei sogenannten „Nichttrefferfällen“, also Autofahrern, die sich an das vorgeschriebene Tempolimit halten und denen somit nicht die Zustellung eines Bußgeldbescheides droht, die Datensätze umgehend und „spurenlos“ gelöscht werden. Fotos, die gemacht werden, werden nur bei einem Verstoß, also der unzulässigen Unterschreitung der Fahrzeit auf der 2,2, Kilometerlangen Strecke, gespeichert.

Der Grünen-Politiker Helge Limburg hält dennoch Fragen für ungeklärt, auch wenn die Große Koalition in Hannover im geplanten niedersächsischen Polizeigesetz die Rechtsgrundlage der Streckenradar-Messung, der „section control“, festschreiben lassen will. „Wir sind nicht gegen die Form der Messung und nicht gegen mehr Sicherheit im Straßenverkehr, aber wir hätten uns gewünscht, wenn erst die verkehrstechnischen Erkenntnisse aus dem 18-monatigen Testbetrieb abgewartet worden wären, bevor juristisch eine Norm gesetzt wird“, sagt Limburg unserer Zeitung.

Der Fraktionsgeschäftsführer konstruiert einen Fall: „Was passiert bei einer Straftat, die nicht unmittelbar mit denen bei der Radarmessung gespeicherten Daten zu tun hat? Nehmen wir an, in Braunschweig wird ein Juwelier überfallen und die Polizei vermutet, dass der Fluchtweg über die B 6 bei Laatzen führt. Darf das fotografierte Kennzeichen, auch wenn sich die mutmaßlichen Diebe an das Tempolimit gehalten haben, den Ermittlern zur Verfügung gestellt werden?“ Limburg gibt zu, dass der Fall unwahrscheinlich ist. „Aber so etwas müssen wir doch im Vorfeld klären“, sagt er.

Die FDP macht ihrem Unmut über die neue Messmethode deutlicher als die Grünen Luft. „Innenminister Pistorius erfasst mit diesem Modellprojekt die Daten tausender Autos inklusive der Bilder jedes einzelnen Fahrers und macht damit jeden von ihnen zum Pauschalverdächtigen“, lässt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Jörg Bode verlauten. „Es gibt genügend andere Mittel, um den Straßenverkehr sicherer zu machen, ohne dabei den Datenschutz zu opfern.“ Von der Gewerkschaft der Polizei und ihrem Landesvorsitzenden Dietmar Schilff kommt Zustimmung.

Das Innenministerium in Hannover begründet die Installierung des Streckenradars mit dem Antrieb, die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer erhöhen zu wollen. Sollten schwere, gar tödliche Unfälle dadurch vermieden werden, sei dies die Mühe der Erprobung und Einführung dieser anspruchsvollen Technik wert.

Das Ministerium beziffert die Investitionskosten für das Pilotprojekt bisher auf rund 450.000 Euro. „Dabei sind in Abstimmung mit dem Anlagenhersteller bereits seit mehr als einem Jahr die monatlichen Mietkosten aufgrund der zeitlichen Verzögerungen auf das notwendige Maß der laufenden Betriebskosten von monatlich rund 2530 Euro reduziert worden. Für den Pilotzeitraum wird davon ausgegangen, dass über den monatlichen Mietzins hinaus dem Land keine weiteren Kosten entstehen werden.“

Der ADAC in Niedersachsen erklärt die Kostenfrage zum Knackpunkt. Daher sei die Evaluierung nach der Testphase von besonderer Bedeutung. „Dabei sollte neben Unfallhäufigkeit ermittelt werden, welche Auswirkungen Verkehrsstärke, Tages- oder Jahreszeiten haben.“ Erfahrungen aus Österreich und den Niederlanden seien positiv.

Potenzielle Raser sollen – im Unterschied zu festinstallierten Blitzern – der Möglichkeit beraubt werden, mit überhöhter Geschwindigkeit bis an den Messpunkt ranzufahren, dann abrupt abzubremsen und im Anschluss wieder Gas zu geben. Dieses Verhalten erhöhe in der Praxis sowohl die Unfallgefahr als auch die Wahrscheinlichkeit von Staus. Laut Ministerium ist die Anlage an der B 6 in der Lage, verschiedene Fahrzeugklassen zu erkennen und entsprechend der geltenden Tempovorschriften für LKW und PKW den Blitzer auszulösen.

Obwohl die von Jenoptik entwickelte Radaranlage bisher nicht scharfgeschaltet war, haben die aufgestellten Blitzer offensichtlich auch so eine abschreckende Wirkung: Die Zahl der Unfälle an der B 6 in den vergangenen drei Jahren zurückgegangen, teilte die Polizei Hannover mit. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), die zusammen mit dem Eichamt in Hannover für das Zulassungsverfahren verantwortlich war, bestätigt die Angaben der Polizei.

Der Braunschweiger Verkehrsforscher Dr. Tobias Wermuth (WVI) pflichtet Minister Pistorius bei. Genau wie dieser hält er die Radarmessung auf Strecke für „fairer, aber auch genauer“, da der Autofahrer über mehrere Zeitpunkte kontrolliert würde. Da die Messung vor der Einfahrt in die Strecke dem Autofahrer durch Schilder bekannt gemacht würde, fühle dieser sich nicht hereingelegt. Die volkstümliche Bezeichnung „Radarfalle“ für die Punktmessung bringe das ja deutlich zum Ausdruck. „Die Streckengeschwindigkeitsmessung hat also weniger den Charakter eines Bestrafungs- als eines Erziehungsinstruments“, so Wermuth.

Streckenradar an der B 6

Bis zum 14. Januar 2019 gibt es noch Karenz. Die Zuverlässigkeit der Technik wird bis dahin im laufenden Betrieb vom Anlagenbauer Jenoptik, aber auch von Polizei und Bußgeldbehörde überwacht. Erst danach werden Bußgelder zugestellt, erklärte das Innenministerium.