Die Kassenärztliche Vereinigung setzt auf neue Arbeitsformen für Mediziner, um die Versorgung auf dem Land sicherzustellen.

Wer sich mit der Gebührenordnung befasst hat und dies ins Verhältnis setzt zum Studienaufwand, wird wissen, dass sich der Mangel in einem Flächenland wie Niedersachsen noch wesentlich erhöhen wird. Obwohl die Kassen auf Reserven sitzen, würde eine eklatante Erhöhung der Vergütungen nichts bringen, weil diese nicht nachhaltig sein wird.

Dies schreibt Leser Jürgen Winter auf unserer Facebook-Seite.

Zum Thema recherchierte Katrin Schiebold

Braunschweig. Vor allem auf dem Land fehlen Hausärzte; viele ältere Mediziner suchen verzweifelt Nachfolger für ihre Praxen. Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) gibt es landesweit derzeit 365 offene Hausarztsitze, in unserer Region sind es rund 52. Die KVN versucht seit Jahren gegenzusteuern und Ärzte mit Investitionszuschüssen aufs Land zu locken. „Gerade junge Kollegen scheuen sich oft, Schulden zu machen“, hat Thorsten Kleinschmidt, Vorsitzender des KV-Bezirksausschusses in Braunschweig beobachtet. Bis zu 75.000 Euro können aus dem Strukturfonds fließen, in den auch die Krankenkassen zur Hälfte einzahlen – für Aufwendungen, die etwa mit dem Erwerb und der Ausstattung einer Praxis zusammenhängen. Immerhin konnten seit 2016 so fünf Hausärzte für Niederlassungen in unserer Region gewonnen werden.

Doch selbst Finanzspritzen oder eine bessere Vergütung der Ärzte würde das Problem des Landärztemangels auf lange Sicht nicht beheben. Davon sind auch die Vertreter der KVN überzeugt. Für junge Ärzte sei das Thema „Work-Life-Balance“ wichtig, sagt Kleinschmidt. Die Befürchtung, als selbstständiger Hausarzt in ländlichen Regionen in Arbeit zu versinken, sei groß. Mehr als 70 Prozent der Medizinstudenten seien inzwischen Frauen, viele wollten Beruf und Familie unter einen Hut bringen, lieber in Teilzeit als Angestellte arbeiten, als sich als Freiberufler aufzureiben. Auch die Kommunen seien gefordert, junge Ärzte stärker zu unterstützen. „Selbst mit den attraktivsten finanziellen Förderungen wird man Ärztinnen und Ärzte nur in eine Gemeinde locken, wenn diese für die nachrückende Arztgeneration attraktiv ist“, betont Mark Barjenbruch, Vorstandsvorsitzender der KVN. Kommunen könnten beispielsweise über kommunale Stipendien für angehende Medizinstudenten nachdenken, um dem Nachwuchs unter die Arme zu greifen. Außerdem gebe es die Möglichkeit, Bauland zu bezuschussen oder eine Praxis-Immobilie zu fördern.

Aber auch neue Arbeitsformen für Mediziner seien gefragt. „Die Kollegen sind meist Einzelkämpfer in den Praxen“, sagt Kleinschmidt. „Wir müssen darauf hinwirken, dass wir zusammen mit den Kommunen mehr Ärztehäuser errichten, wo auch Angestellte arbeiten können.“ Und nicht zuletzt müsse das Umfeld stimmen: Gibt es Kitas und Schulen vor Ort? Findet mein Partner einen entsprechenden Arbeitsplatz?

Auch das Thema Mobilität müsse künftig stärker auf den Prüfstand, nicht nur im Interesse der Mediziner. So könnten spezielle Ärztebusse zu den Sprechstunden angeboten werden. Im Kreis Leer beispielsweise gibt es solche „Patientenmobile“ bereits: Die Kleinbusse holen Patienten von zu Hause ab und bringen sie kostenlos zu den Arztpraxen. Das Angebot wird laut KVN gut angenommen.

Entwickelt werden derzeit außerdem Projekte zur Telemedizin. Im Osnabrücker Land wird der „Telerucksack“ erprobt: Eine medizinische Fachangestellte kommt mit dem Rucksack zu den Patienten und übermittelt Daten an die Praxen. Das entlastet die Ärzte und erspart Patienten weite Wege. Im Braunschweiger Raum sollen künftig gesicherte Kommunikationsmodelle etwa mittels einer App geprüft werden. Die Idee der „Rollenden Arztpraxis“ liegt dagegen auf Eis. Von 2013 bis 2014 waren Ärzte im Kreis Wolfenbüttel mit einem speziell ausgestatteten Bus unterwegs, der Kommunen ohne Hausarzt anfuhr. Doch viele Patienten waren skeptisch und nahmen lieber weitere Anfahrten zu ihrem bekannten Hausarzt in Kauf. „Das Modell funktionierte“, sagt Barjenbruch. „Aber wir waren damit der Zeit voraus.“