Braunschweig. Pro Familia berät in Braunschweig knapp 500 Frauen im Jahr bei der Entscheidung für oder gegen ein Kind.  Zwei Frauen erzählen ihre Geschichte.

Eine Ärztin wird zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt. Sie hat für Schwangerschaftsabbrüche geworben. Damit hat sie gegen Paragraf 219 a, Strafgesetzbuch, verstoßen, der „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ unter Strafe stellt. Die Ärztin wollte laut Aussage ihrer Anwältin lediglich auf ihrer Internetseite informieren. Seitdem gibt es erneut Streit um den Paragrafen. Die Vorsitzende der niedersächsischen Ärztekammer, Martina Wenker, will das Werbeverbot erhalten. Vor vielen Jahren sei bei dem Thema ein gesellschaftlicher Kompromiss gefunden worden, sagte sie der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: Die Interessen der Schwangeren, als auch die des Ungeborenen sollen noch einmal in der Beratung thematisiert werden.

Eine der Beratungsstellen ist Pro Familia in Braunschweig. 492 Mal sind Sigrid Korfhage und ihre Kolleginnen im vorigen Jahr in der Schwangerenkonfliktberatung um Rat und Hilfe gebeten worden. „Das Ergebnis ist zu Beginn immer offen“, sagt die Leiterin von Pro Familia in Braunschweig. Die Frauen entscheiden, ob es am Ende zum Abbruch kommt oder nicht. Rund eine Stunde ist für die Beratung bei Pro Familie vorgesehen – auch kurzfristig. „Vorab machen wir immer telefonisch einen Termin. Es gibt aber auch kurzfristig offene Zeitfenster.“ Denn manche Frauen hätten nur wenig Zeit, andere wollten alles schnell hinter sich bringen.

An einem runden Tisch führt Sigrid Korfhage das Gespräch, dessen Nachweis die Frauen brauchen. Denn nur mit Beratung ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland legal. Seit 26 Jahren ist Sigrid Korfhage in der Beratung tätig. Die Gründe, warum Frauen kämen, hätten sich seither kaum geändert: Es sind Probleme in der Beziehung, Geldsorgen, Perspektivlosigkeit. Ob die Frauen sich nach der Beratung für ein Kind oder den Abbruch entscheiden, dazu gebe es keine Statistiken. Viele seien vor dem Gespräch sehr unsicher. Viele hätten Angst. Einige brächten zur Unterstützung eine Freundin oder ihren Partner mit.

Aber es kämen auch Frauen in die Beratung, die durch eine Vergewaltigung schwanger geworden seien. Dabei ist diese Art des Beratungsgespräches in diesen Fällen gar nicht vom Gesetzgeber vorgeschrieben. „Viele dieser Frauen kommen dann trotzdem zu uns“, erzählt die Beraterin. Ein großer Schritt, ­ denn oftmals sei die Scham, über die Vergewaltigung und deren Folgen zu reden, besonders groß.

Wie viele Frauen nach einer Vergewaltigung ein Beratungsgespräch aufsuchen, anstatt Anzeige bei der Polizei zu erstatten und die sogenannte kriminologische Indikation zu nutzen, ist nicht bekannt. „Die Frauen sind natürlich stark traumatisiert – und es gibt in diesen Fällen eine Beweispflicht“, erklärt sich Korfhage. „Manchmal ist es der Partner, der einer Frau so etwas angetan hat, und wir sind die einzigen, die je davon erfahren. Aus Scham. Niemand in der Familie und niemand im Freundeskreis soll es wissen“, sagt Korfhage. Es gibt auch Frauen, die sich überhaupt nicht zu den Umständen äußern, wie sie schwanger geworden sind.

„Der Körper erholt sich in vielen Fällen schnell von den Strapazen des Abbruchs – das tut er auch nach Fehlgeburten, die gar nicht so selten sind“, erklärt Korfhage weiter. Wie es hingegen mit der Psyche aussehe, stehe auf einem anderen Blatt.

Korfhage: „Frauen, die mit sich und ihrer Entscheidung im Reinen sind, kommen später auch psychisch schneller wieder auf die Beine. Natürlich sind sie auch mal traurig oder denken daran, wie alt das Kind jetzt wäre.“

Ähnliches berichtet eine Braunschweiger Ärztin, die Abbrüche vornimmt. Sie will anonym bleiben: „Die Frauen sind erleichtert, wenn sie es hinter sich haben.“ Sie würden die Entscheidung nicht leichtfertig treffen und sich ihr ganzes Leben daran erinnern. „Es ist dann ein Teil ihres Lebens. Das gehört dann dazu“, sagt die Medizinerin.

Im Gespräch vor der ersten Untersuchung zum Schwangerschaftsabbruch sind die Frauen oft sehr ruhig, erzählen wenig, sagt sie. Nach der Untersuchung würden sie meist auftauen, sich der Ärztin stärker anvertrauen. „Es gibt auch Fälle, in denen sich die Frauen umentscheiden oder die anrufen und den Termin absagen,“ erzählt sie. Einige der Frauen kehren später wieder in ihre Praxis zurück. Sie werden dann von der Ärztin betreut: „Sie kommen dann bei der nächsten Schwangerschaft zu mir und ich betreue sie bis zur Geburt und darüber hinaus“, erzählt sie.

Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland und Niedersachsen
Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland und Niedersachsen © Jürgen Runo | Jürgen Runo

Die Situation von zwei Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch hinter sich haben, dokumentierte
Julia Perkowski

Die Fingernägel sind abgekaut. Die Hände kann sie nicht stillhalten. „Wenn ich darüber spreche, fühle ich mich erst scheiße, danach geht es mir aber meistens besser“, sagt Jasmin (Name von der Redaktion geändert). Sie hat im Oktober abgetrieben. Warum? Das sagt sie nicht. Aber: „Es war meine eigene und alleinige Entscheidung, und die hatte ich vor den Beratungsgesprächen schon getroffen.“

Was alles auf Jasmin zukommt – zwischen der Kenntnis, schwanger zu sein, bis zum eigentlichen Abbruch, darüber war sich die Personalreferentin nicht bewusst. Sechs Wochen dauerte es vom ersten Tag, an dem sie wusste, dass sie schwanger ist, bis zur Nachuntersuchung nach dem Abbruch – mit die schlimmste Zeit in ihrem Leben, wie sie sagt.

„Ich hatte auch kaum Möglichkeit, mich vorab so zu informieren, wie ich es gern getan hätte. Unter dem Druck war ich sehr sensibel und anfällig für schlechte Informationen.“ Jasmin spricht das Werbeverbot für Ärzte zum Thema Schwangerschaftsabbruch an. Sie schluckt, Tränen stehen ihr in den Augen. „Was dann in deinem Körper passiert, das kriegst du bei der Beratung und beim Arzt erst genau gesagt.“ Jasmin hatte jegliche Broschüren gelesen, jede Info, die zu bekommen war, bereits im Netz gelesen und stieß dabei auch auf Seiten der Abtreibungsgegner. Die Betreiber dieser Internetseiten stigmatisieren und traumatisieren mit ihren Aussagen, sagt sie.

Die Darstellung von kleinen Körpern, die zerrissen und blutig in kleinen Schalen liegen, wie sie auf Fotos auf den Internetseiten präsentiert werden, sei schlichtweg falsch. „Den Frauen wird ein schlechtes Gewissen gemacht – das ist alles. Das ist keine Aufklärung, wie man sie sich in so einer Situation wünscht,“ sagt die Mitarbeiterin einer Beratungsstelle, die anonym bleiben möchte. Die von sogenannten „Lebensschützer“ suchen dabei immer neue Möglichkeiten, Ärzte zu diskreditieren und Patientinnen zu einer Entscheidung für das Kind zu drängen.

Anna (Name von der Redaktion geändert) lebt mit ihrem Freund und ihrem sechsjährigen Kind zusammen. Sie ist glücklich in ihrer Beziehung, sagt Anna. Die Situation, ungeplant schwanger zu sein, aber weit weg von den Eltern, in einer fremden Stadt, habe ihr zugesetzt. Gegrübelt habe sie, immer und immer wieder alles durchgekaut. „In der Anfangszeit habe ich alles für mich behalten und mir den Kopf zerbrochen, was ich tun soll.“ Als der Arzt ihre Schwangerschaft bestätigte, war das „für mich ein Weltuntergang“, sagt Anna. Heftige Streitigkeiten und Diskussionen mit ihrem Freund folgten. Sie kamen zu dem Entschluss, es sei nicht der richtige Zeitpunkt für ein Kind.

Einige Tage nach dem Beratungsgespräch fuhr Anna in die Klinik. Die Ärzte hätten sich gut um sie gekümmert, ihr alle Schritte, wie auch schon im Beratungsgespräch kurz vor dem Abbruch, genau erklärt: „Ich habe mich die ganze Zeit gut aufgehoben gefühlt.“

Für Jasmin war der Eingriff verstörend: „Den Schwangerschaftsabbruch selbst, die Situation kurz vor dem Eingriff – darüber war ich einfach nur schockiert, auch wenn ich mich vorab gut beraten fühlte. Ich hätte mich gern viel besser darauf eingestellt.“

Anna hat inzwischen auch mit ihren Eltern über den Abbruch gesprochen: „In unseren Herzen wird das kleine Wunder trotzdem weiterleben.“ Jasmin hofft, dass das Werbeverbot aufgehoben wird, damit Frauen sich besser auf die Situation vorbereiten können.