Wolfsburg. Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, kritisiert im Interview Volkswagen und begründet seine Klagen für „saubere Luft“.

Den Namen Jürgen Resch kannten vor fünf Jahren vor allem die umweltpolitischen Fachleute. Seit „Dieselgate“ und den verschärften Dieselfahrverbots-Debatten ist das anders. Am Rande einer Podiumsdiskussion in Wolfsburg sprachen wir mit dem streitbaren Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH).

Herr Resch, Sie gelten wahlweise als beherzter Anwalt betrogener Autokäufer, unerbittlicher Kämpfer für strengere Abgasnormen oder als Abmahnkönig, der die deutschen Automobilhersteller in Geiselhaft nimmt. Wie sehen Sie sich selbst?

Als Geschäftsführer eines Umwelt- und Verbraucherschutzverbandes, der sich seit 32 Jahren für Klimaschutz, saubere Luft und eine intakte Natur einsetzt. Da insbesondere die Autokonzerne gegen Recht und Gesetz verstoßen und der Staat sie gewähren lässt, müssen wir immer häufiger vor Gericht ziehen. In den Klagen für die „saubere Luft“ in Deutschland haben wir seit 13 Jahren alle Verfahren gewonnen.

Ihr Verhältnis zu den großen Automobilherstellern war nicht immer schlecht. Vor über 20 Jahren haben sie sogar partnerschaftlich agiert und gemeinsam die großen Mineralöl-Konzerne attackiert. Wie kam es dazu?

Nach unseren Auseinandersetzungen zur Einführung des bleifreien Benzins und des Benzin-Katalysators nahmen VW, Daimler und der Verband der Automobilindustrie 1998 unsere Unterstützung bei der Durchsetzung des schwefelfreien Diesels gerne an. Und wir waren erfolgreich: Zum 1. November 2001 kam der schwefelfreie Diesel nach Deutschland und wir haben damit die Umwelt um viele Millionen Tonnen Schwefeldioxid aus Auspuffabgasen entlastet. Leider hielten sich nur Peugeot und Citroen an die Zusage, Dieselpartikelfilter einzubauen. BMW, Daimler und VW bildeten ein Verweigerungskartell. Mit dem Start unserer Aktion „Kein Diesel ohne Filter“ im Jahr 2002 und der Durchsetzung derselben in 2005 trübte sich das Verhältnis bereits ein. Mit der Aufdeckung des Stickoxid-Abgasbetrugs hat es sich nochmals verschlechtert.

Die Umwelthilfe bekommt auch heute noch Zuwendungen von Automobilherstellern wie Toyota. Was hat es damit auf sich.

Wir bekommen seit 20 Jahren Spenden von Toyota, die Höhe liegt unter einem Prozent unseres Haushaltsbudgets. In diesem Jahr sind es 30.000 Euro. Genauso lange und in der gleichen Größenordnung erhält unsere internationale Umweltstiftung Global Nature Fund Spenden von Daimler. Sowohl bei Daimler wie Toyota PKW haben wir illegal hohe NO-Werte festgestellt und veröffentlicht. Gegen beide Unternehmen gehen wir ebenso wie auch gegen VW und andere bei Verstößen gegen umweltbezogene Verbraucherschutzvorschriften vor.

Sie haben früh darauf hingewiesen, dass die Angaben der Hersteller zu Kraftstoffverbrauch und Abgaswerten nichts mit dem Realverbrauch zu tun haben. Aber erst 2015, mit dem Bekanntwerden des Abgasbetruges von VW in den USA, brach ein Sturm der Entrüstung los. Was ist in den USA anders gelaufen als in Deutschland und Europa?

Im Februar 2011 haben wir das Bundesverkehrsministerium detailliert über den Abgasbetrug von VW beim später berühmt gewordenen 189er Motor informiert. Allerdings waren die deutschen Behörden nicht bereit, unseren detaillierten Hinweisen nachzugehen – anders als in den USA, wo es ICCT gelungen ist, behördliche Untersuchungen zu veranlassen. Die amerikanischen Umweltbehörden haben den dokumentierten Betrug seitens VW veröffentlicht und Strafen ausgesprochen. Anders in Deutschland: Bis heute verweigern die Behörden die Veröffentlichung der festgestellten Betrugssysteme in den PKW, die Kontrollbehörden weigern sich, die vorgeschriebenen 5000 Euro Strafzahlung pro Betrugsdiesel einzufordern. Und das Land Niedersachsen versagt, wie auch bei allen früheren VW-Skandalen, in seiner Kontrollfunktion.

In Deutschland sieht man Ihre Aktivitäten amtlicherseits eher skeptisch und kritisch. Das Bundesverdienstkreuz werden Sie wohl nicht bekommen, oder?

Ja, irgendwie eigenartig, oder? Es geht um das größte verbliebene Luftreinhalteproblem in Deutschland – so der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Jährlich sind 13.100 vorzeitige Todesfälle und 800.000 Neuerkrankungen allein in Deutschland als Folge der Belastung unserer Atemluft mit dem Dieselabgasgift NO zu verzeichnen. Was macht die DUH? Wir kämpfen vor Gericht dafür, dass die Autobauer verpflichtet werden, die PKW mit funktionstüchtigen Katalysatoren nachzurüsten, so dass diese nicht nur im Labor, sondern auch auf der Straße sauber sind und die Grenzwerte einhalten. Gegenüber dem Staat setzen wir das von der EU anerkannte Recht auf „Saubere Luft“ in unseren Städten durch. Dass wir seit 13 Jahren alle Luftreinhalteklagen gewonnen haben, zeigt doch, dass unsere Rechtsauffassung korrekt ist. Interessant, dass wir dafür angegriffen werden, derart wichtige Rechtsfragen von der Institution klären zu lassen, die ein funktionierender Rechtsstaat dafür vorsieht: Nämlich den Gerichten. Land und Bund ziehen die Gespräche im Hinterzimmer vor. Das ist aber intransparent sowie dubios. Und Dieselgate zeigt uns, wohin dieses enge eheähnliche Verhältnis zwischen Regierung und Autokonzernen führt.

Otto Normalverbraucher kennt Sie als den Mann, der Städte und Gemeinden zu Fahrverboten für Dieselfahrzeuge zwingen will. Wie ist da der offizielle Stand?

In zehn Städten haben wir bislang Dieselfahrverbote durchgesetzt, zuletzt in der vergangenen Woche in Köln und Bonn. Nun findet die Gerichtsverhandlung für Saubere Luft in Essen und Gelsenkirchen statt. Darmstadt folgt kommende Woche und Wiesbaden Mitte Dezember. Zum Jahresende haben wir Entscheidungen zu Diesel-Fahrverboten in 14 Städten. Und es geht weiter: Die Entscheidung zu Diesel-Fahrverboten in 20 weiteren Städten folgt 2019 in weiteren von uns anhängig gemachten Verfahren.

Sind die Abgas-Messungen in den Städten, auf die sich auch die DUH bezieht, denn überhaupt realistisch? Ist es zudem nicht irreführend, wenn man sich nur die sehr großen Städte anschaut?

Die Situation ist sogar schlimmer als die amtlichen Messdaten suggerieren. In fast 99 Prozent der Städte und Gemeinden wird überhaupt nicht verkehrsnah gemessen. Und in vielen Städten stehen die amtlichen Messcontainer nicht an den stark, sondern nur mittel belasteten Straßen. Wir kennen zwischenzeitlich 115 Städte mit Überschreitungen des EU-Grenzwerts.

Fast alle Hersteller kündigen die Mobilitätswende hin zu Elektroflotten an. Am besten sollen die künftigen Fahrzeuge autonom fahren. Was halten Sie von diesen Ankündigungen?

Assistenzsysteme werden sich stürmisch ausbreiten, voll autonome Fahrzeuge sehe ich auf viele Jahre nicht. Aber auch wenn sie irgendwann kommen, lösen sie nicht die Verkehrsprobleme in unseren Städten. Wir brauchen weniger motorisierten Individualverkehr – egal, ob mit oder ohne Fahrer.

Die Autoindustrie hat den Eindruck vermittelt, durch die Umstellung auf den neuen und strengeren Prüfzyklus WLTP völlig überfordert zu sein. Sie vermuten hingegen, dass es sich bei WLTP eher um einen Trojaner handelt, der Industrie und mancher Behörde ganz gelegen kommt. Was steckt dahinter?

Die deutschen Autobauer haben hoch gepokert – und verloren. Sie wollten ein weiteres Jahr die Abgasnorm Euro 6d vermeiden. Schauen Sie zu anderen europäischen Herstellern: Diese haben ihr Angebot auf den aktuellen 6d-Standard geräuschlos umgestellt. Aber auch der neue WLTP-Laborprüfzyklus ermöglicht Abgasbetrug. Wir brauchen ehrliche Straßentests und die Veröffentlichung der derzeit zurückgehaltenen Messergebnisse im WLTP-Prüfmodus durch die Hersteller.

Während in Deutschland ausdauernd über den Diesel gestritten wird, sind andere Länder hinsichtlich der Mobilitätswende schon viel weiter. Beispielsweise Metropolen wie Wien oder Zürich. Was läuft in Österreich, der Schweiz oder anderen Ländern anders?

Die Schweiz hat beispielsweise bereits 1986 einen strengeren Grenzwert für das Dieselabgasgift NO von 30 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft verabschiedet. In der Folge wurde die Verkehrswende in Zürich aber auch anderen schweizerischen Städten vollzogen. Zürich wird dominiert durch moderne Elektro-Oberleitungsbusse, Straßenbahnen und Eisenbahnen, Fahrrad- und Fußgängerverkehr. Der motorisierte Individualverkehr liegt bei unter 20 Prozent. Auch Österreich hat diesen Grenzwert und in Wien die Bürger durch ein 365 Euro Jahresticket von der Straße in die Bahnen und Busse gelockt. Deutschland, und Niedersachsen ganz speziell, legen hingegen ihren Schwerpunkt auf die Förderung des Autoverkehrs und haben die kollektiven Verkehre kaputtgespart.

Zu Volkswagen: Was halten Sie von den Ankündigung des Konzernchefs Herbert Diess? Er verkündet, dass VW ganz schnell zum weltweiten Marktführer der E-Mobilität werden will. Ist das überhaupt realistisch?

Ich wünsche mir weniger testosterongeschwängerte Ankündigungen und mehr Taten. Tatsächlich hat VW seinen E-Golf ersatzlos gestoppt und ist nicht einmal in der Lage, die angeblichen Tesla Fighter konkret vorzustellen. Man hört von einem Kleinwagen für unter 20.000 Euro. Hier gibt es seit Jahren den Renault Zoe. Wo bleibt das erste VW-Konkurrenzmodell zum Tesla Model 3, ein erster Mittelklasse-E-Mobil aus deutscher Produktion?

Inwieweit ist ein Konzern wie Volkswagen mit einer erklecklichen Beteiligung des Landes und einer starken Mitbestimmung überhaupt reformierbar?

Ich habe hier erhebliche Zweifel. Die Staatsbeteiligung hat dazu geführt, dass sich VW zu sicher fühlt. Herr Müller hat kurz vor seinem Rausschmiss davon gesprochen, VW sei „systemrelevant“ und dürfe daher nicht bestraft werden. Staatsbeteiligung und die Möglichkeit des Durchregierens in der niedersächsischen Staatskanzlei führen zu einer Selbstbedienungsmentalität beim weltweit größten Autobauer. Wir brauchen eine professionelle Distanz zwischen Staat und Autoindustrie.

Gewerkschaften führen stets das Arbeitsplatzargument an. Können Sie das nachvollziehen?

Nein. Zum einen sichert eine Hardware-Nachrüstung der bislang 4,5 Millionen Betrugs-Diesel Zehntausende von Arbeitsplätzen. Und ohne schnelle Anpassung des Produktportfolios auf Fahrzeuge, die klima- und stadtverträglich sind, droht VW das Schicksal von Nokia. E-scooter führt VW bei Nutzfahrzeugen vor, Renault mit dem Zoe bei Elektro-Kleinwagen und Tesla bei Mittel- und Oberklasse. Das muss man erst mal verdauen: Trotz Milliarden Förderung des Staates steht der größte Autobauer weltweit heute ohne konkurrenzfähiges Elektroauto da.

Steht die DUH und stehen nicht insbesondere Sie unter enormem Druck? Jeder weiß, dass die Autoindustrie bestens mit der Politik vernetzt ist und einen gewaltigen juristischen Apparat in Gang setzen kann...

Wir recherchieren gründlich und messen Abgas- und CO-Emissionen im eigenen Emissions-Kontroll-Institut. Wenn wir Verstöße gegen Recht und Gesetz feststellen, gehen wir dagegen vor. Auch wenn der Gegner ein angeblich übermächtiges Automobilunternehmen ist. Ich würde mir wünschen, wenn sich Landes- wie Bundesregierung aus dem Würgegriff der Autobauer befreien und es wagen würden, sich gegen die Partikularinteressen der Autoindustrie durchzusetzen.

Knapp 100 Mitarbeiter hat die 1975 gegründete Deutsche Umwelthilfe. Dazu kommen ehrenamtliche Helfer und Fachleute. Für viele in der KFZ-Industrie und Autobesitzer ist die Organisation ein rotes Tuch. Die DUH dagegen versteht sich als Verein, der beharrlich für Umweltschutz und Verbraucherinteressen kämpft. Der Jahresetat der Umwelthilfe liegt bei rund acht Millionen Euro. Das Geld kommt zum einen von Projektzuschüssen. Daneben gibt es Förderer und Spender. Als gemeinnütziger Verein darf die DUH keinen Gewinn machen. Die DUH zieht oft vor Gericht, nicht nur in Sachen Diesel. Das hat ihr den Vorwurf eingebracht, sie sei ein „Abmahnverein“, der Bußgelder kassiere. Jürgen Resch, geboren 1960, ist seit 1988 Bundesgeschäftsführer der DUH.