Niedersachsens Ministerpräsident Weil spricht im Interview über Fördergelder, die Nord-LB, Volkswagen und den Abgasskandal.

Braunschweig. Wie geht es weiter mit der Braunschweigischen Landessparkasse? Wie entwickelt sich die Förderung des ländlichen Raums? Wie schreitet die Aufklärung des Abgasbetrugs voran? Was hat VW daraus gelernt? Über diese Themen sprach Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil mit Armin Maus, Michael Ahlers und Andre Dolle.

Herr Weil, in Ihrer Koalition mit der CDU in Niedersachsen geht es gewiss anders zu als in der Großen Koalition in Berlin. Aber auch hier gibt es ja eine gewisse Dynamik. Wie wird es denn weitergehen mit der Verwaltungsreform des Landes, mit einem Landkreis Helmstedt, mit dem Herstellen von handlungsfähigen Strukturen?

An meiner Position hat sich nichts geändert. Wir werden der Region Braunschweig nicht durch ein Landesmodell eine Neuordnung aufzwingen. Wir setzen unverändert darauf, dass es die Braunschweiger selber sein müssen, die sich verständigen. Eine große Einigkeit würde genau in dem Moment hergestellt, wo aus Hannover ein Vorschlag zur Neuordnung der Gebietsstruktur im Braunschweiger Land unterbreitet wird (lacht). Eine Ablehnung wäre dann sicher. Wir sind gerne bereit, konstruktiv mitzudiskutieren, aber der Anstoß muss aus der Region kommen.

Zu Zeiten der rot-grünen Koalition war ein Argument immer, mit nur einer Stimme Mehrheit im Landtag könne man eine Kommunalreform nicht machen. Ihre Koalition von SPD und CDU hat nun aber eine überwältigende Mehrheit im Parlament. Was spricht denn dagegen, mit all der Expertise, die es im Innenministerium und in der Staatskanzlei gibt, mal etwas auf den Tisch zu legen? Es gibt ja Städte und Kreise mit Problemen, wie Helmstedt, wie auch Salzgitter…

Würde man Kommunalen eine Reform von Landes wegen vorschreiben, und das in einem prinzipiell sehr gesunden Raum wie der Region Braunschweig, hätte das reflexartig und automatisch einen Sturm der Entrüstung zur Folge. Das ist das Kernargument, da geht es weniger um die Frage der Mehrheit im Parlament. Man sollte aber das Thema Neuordnung vielleicht insgesamt nicht zu hoch hängen. Eine Neuordnung führt ja nicht automatisch dazu, dass zum Beispiel Salzgitter seine strukturellen Probleme los ist. Wir sind mit Oberbürgermeister Klingebiel übereingekommen, dass wir gerne zusammen mit ihm und der Stadt diskutieren wollen, welche Perspektiven für die Stadtentwicklung es gibt. Ich habe auch die Diskussion über ein gemeinsames Gewerbegebiet Braunschweig-Salzgitter verfolgt. Darüber zu reden, wie man wirtschaftlich weiter vorankommt, ist für mich noch wichtiger als die Frage, wie die Gebietsgrenzen geordnet sind.

Aus dem Gewerbegebiet ist ja nichts geworden. Es gab auch Irritationen in Rathäusern der Region wegen der VW-Milliarde. Die Zahlung im Zusammenhang mit der Dieselaffäre geht in den Landeshaushalt. Die Kommunen mit VW-Standorten bekommen aber weniger Gewerbesteuer, falls VW diese Zahlung wie erwartet steuerlich geltend macht. Für die Kommunen geht es dabei um rund 140 Millionen Euro.

Sie haben einen in Ehren ergrauten ehemaligen Stadtkämmerer vor sich (in Hannover, die Red.). Und der kann Ihnen berichten, dass die Gewerbesteuer bei Volkswagen immer wild rauf- und runtergeschwankt ist. Und wenn es stimmt, dass eine Gewinnabschöpfung stattfinden musste, dann heißt das ja, dass in früheren Jahren entsprechende Steuern gezahlt worden sind. Und die sind auch in den Kommunen gelandet. Wir setzen das Geld außerdem für Dinge ein, die auch den Städten in der Region zugute kommen. Wir haben zum Beispiel aus dem Bußgeld 100 Millionen beiseite gelegt, um Luftreinhaltemaßnahmen zu fördern. Da können auch die VW-Städte mit guten Konzepten partizipieren. Wir haben damit auch die Mittel zur Sanierung der Krankenhäuser deutlich aufgestockt. Es gab einen großen Streit um das Elisabeth-Krankenhaus in Salzgitter-Bad, um die Frage, ob es aufgegeben werden muss, und jetzt wird es saniert. Salzgitter wird also beileibe nicht vergessen.

Die Nord-LB hat allen Grund, sich vor dem nächsten Stresstest zu fürchten. Sie ist von der Bonität her knapp oberhalb des Ramschniveaus, sie hat ein massives Refinanzierungsproblem, und sie braucht frisches Kapital, um sich von ihren alten Kreditlasten ein Stück weit zu befreien. Da die EU keine Beihilfen mehr zulässt, kann das nur geschehen, indem man einen Partner an Bord nimmt. Wären das aus Sicht des Ministerpräsidenten am besten andere Landesbanken, also eine öffentlich-rechtliche Lösung? Oder ist das Ganze letztlich eine unternehmerische Entscheidung, und wenn es dann ein Hedgefonds ist, der einsteigt, dann muss es eben ein Hedgefonds sein?

Derzeit werden sämtliche Optionen sehr konkret durchgeprüft und besprochen. Da soll man nicht gackern, bevor ein Ei gelegt ist. Die Nord-LB ist eine gesunde Bank mit einem guten Geschäftsmodell, aber mit einer großen Altlast. Das sind die vermaledeiten Schiffskredite und deshalb besteht unstreitig Handlungsbedarf. Das Ganze ist nicht nur ein betriebswirtschaftlicher Vorgang, sondern auch ein eminent politischer.

Der Finanzminister hat sich mit dem Hinzuziehen externer Fachleute ein wenig unabhängiger gemacht. Was bedeutet das für das Vertrauen in das Management der Nord-LB?

Das ist jetzt eine Angelegenheit der Träger der Nord-LB. Natürlich ist der Vorstand involviert, er hat auch wichtige Aufgaben. Aber die Entscheidung werden die Träger zu treffen haben, vor allem das Land Niedersachsen, das ja die meisten Anteile an der Nord-LB hält. Es handelt sich um komplexe Fragestellungen, deswegen ist es absolut selbstverständlich, dass unser Finanzministerium entsprechende Spezialisten zu Rate zieht.

Hat denn der Minister freie Hand?

Wir reden sehr oft miteinander, wir denken in dieselbe Richtung.

In welche, wollen Sie nicht sagen?

Nein, sorry.

Die Aufklärung der Verantwortlichkeiten für Entscheidungen, die sich im Nachhinein als ausgesprochen schädlich darstellen, scheint keine höchste Priorität zu genießen. Bei anderen Instituten war man mit Schiffskrediten sehr viel vorsichtiger. Es geht immerhin um Milliardensummen.

Im Kern liegen die Dinge auf dem Tisch. Ich habe aber keine Anhaltspunkte, dass damals irgendetwas gegen die Regeln gelaufen ist. Das ändert leider nichts daran, dass die damalige Einschätzung falsch war. Ohne diese Geschäftsstrategie vor zehn Jahren stände die Nord-LB klasse da. Aber da gilt der Grundsatz: hätte, hätte, Fahrradkette.

In der Region wird, auch parteiübergreifend, eine Eigenständigkeit der Braunschweigischen Landessparkasse und ihr Herauslösen aus dem Gefüge der Nord-LB gefordert. Auch Gerhard Glogowski hat das in der vergangenen Woche getan. Wie ist Ihre Position dazu?

Die Landessparkasse war immer schon ein Gegenstand von Herzblut hier in der Region. Sie ist ein wichtiger und auch wertvoller Teil der Nord-LB. Wir reden da über einen hohen Wert und damit auch über einen hohen Preis. Ich würde aber gerne erst mal klären wollen, welchen Kurs die Nord-LB insgesamt nimmt.

Können Sie sich vorstellen, dass es zu einer Privatisierung der Bank kommt, ohne dass man die Sparkasse aus dem Verbund löst?

Ich bitte Sie um Geduld, bis unsere Prüfungen und Überlegungen abgeschlossen sind. Bis dahin verkneife ich mir alle konkreten Aussagen.

Noch ein regionales Problem: Das Agrarministerium in Hannover hat bei einem Teil der Fördergelder für den ländlichen Raum den Verteilungsschlüssel geändert, gegen den Willen der Europaministerin von der SPD. Die Region Braunschweig bekommt danach nur noch 20 Prozent dieser Mittel, Weser-Ems aber 30. Davor hatten alle vier Regionen je 25 Prozent. Der Aufbruchstimmung, die es in der Region auch in diesem Bereich gibt, trägt das nicht gerade Rechnung. Haben Sie Pläne, das Ganze wieder zu ändern?

Das Thema hätten wir in der Regierung besser besprechen und vorbereiten können. Das wollen wir nächstes Jahr besser machen. Sie können davon ausgehen, dass ich nach wie vor großes Interesse an einer guten Entwicklung des ländlichen Raums im Braunschweiger Land habe. Wir haben natürlich im Weser-Ems-Bereich eine weiter entwickelte Agrarwirtschaft und Infrastruktur als in anderen Landesteilen. Wir können aber feststellen, dass das Braunschweiger Land, was die Förderanträge angeht und die Kooperation der Kommunen, über die Jahre deutlich aufgeholt hat. Das ist auch eine Grundlage für die derzeit laufenden guten Gespräche zwischen den Ministerien. Unser Ziel ist es, allen Landesteilen die gleichen Chancen zu geben.

Zeigt nicht die Entwicklung, dass man die Ämter für regionale Landesentwicklung ausbauen sollte? Sie wickeln diese Förderungen ab, und sie erbringen insgesamt eine erhebliche Beratungs- und Unterstützungsleistung in den Regionen.

Wir diskutieren in einem größeren Kontext gerade, wie wir uns als Landesverwaltung in der Zukunft aufstellen sollen. Wir werden noch in diesem Jahr eine Regierungskommission zu diesem Thema einrichten. Wir haben etwa ein grundsätzliches Problem mit der Infrastrukturplanung. Jedes größere Vorhaben avanciert zur Generationenaufgabe. Es darf wirklich nicht wahr sein, dass vergleichbare Vorhaben in den Niederlanden oder in Dänemark in ein paar Jahren erledigt sind. Wir werden das als Land nicht allein lösen. Aber wir fragen, wo wir ein effizientes Projektmanagement ansiedeln können. Und da sind schon in der Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU in Niedersachsen die Ämter für regionale Landesentwicklung angesprochen worden…

Wir haben schon im Zusammenhang mit der Nord-LB über Altlasten gesprochen. Wie ist das bei VW? Die neue Konzernführung mit Herbert Diess legt ein hohes Tempo an den Tag. Gerade bei der Marke VW hat sich wirtschaftlich vieles zum Besseren gewendet. Hier in Braunschweig läuft aber gerade ein Gerichtsverfahren, bei dem es unter anderem um die Frage geht, ob das Unternehmen seine Aktionäre im Dieselskandal rechtzeitig und korrekt unterrichtet hat. Darin steckt das Risiko hoher Schadenersatzansprüche. Der damalige Finanzvorstand Pötsch steckt mitten in dem Verfahren, denn die Frage der Unterrichtung lag in seinem Ressort. Was bedeutet diese Situation aus Sicht des Gesellschafters Land Niedersachsen, wie groß ist Ihr Rückhalt für Aufsichtsrat und Management?

Dass uns die Aufarbeitung noch Jahre beschäftigen wird, habe ich schon früh gesagt. Auch das Braunschweiger Verfahren könnte letztendlich eines Tages in Karlsruhe entschieden werden (beim Bundesgerichtshof, die Red.). Bei den strafrechtlichen Vorwürfen hat die Staatsanwaltschaft noch nicht einmal die Phase der Ermittlungen abgeschlossen. Es handelt sich um den größten Schadensfall in der europäischen Wirtschaftsgeschichte. Dem muss Volkswagen sich stellen. Nach allem, was ich bislang weiß, sehe ich aber keinen Anlass, meine Unterstützung für den Vorsitzenden des Aufsichtsrates und den Vorsitzenden des Vorstands zu relativieren. Ansonsten gilt: Ich bin sehr zufrieden, wie Volkswagen sich entwickelt. Zum Glück sind wir ja nicht nur mit den Lasten der Vergangenheit beschäftigt. Ich nenne nur die Stichworte alternative Antriebe und Digitalisierung. Ab 2019 wird eine neue Produktfamilie von Volkswagen nach und nach in den Markt eingeführt werden. Das ist – soweit ich das beurteilen kann – ein echter Innovationssprung. Und der Raum Braunschweig-Wolfsburg hat die Chance, sich über Mobilitäts-IT zu dem IT-Cluster in Niedersachsen zu mausern. Das ist ein guter Start für das neue Team an der Spitze des VW-Vorstands. Und es gibt eine neue Form der Kommunikation: klarer, offener, auch offensiver.

Sie haben in der Koalition in Niedersachsen einiges angepackt. In der Bildungspolitik ist das teilweise nicht ganz so. Der Lehrermangel schlägt weiter durch. Nun können Sie Versäumnisse der vergangenen Jahre sicher nicht kurzfristig beheben. Aber warum bezahlen Sie die Grund-, Hauptschul- und Realschullehrer nicht etwas besser? Dann wäre der Beruf attraktiver.

Klar ist: Auch im Bildungssektor müssen wir uns um die Fachkräfte sehr bemühen. Eine Höherbesoldung ist finanziell ein ganz dickes Brett, auch beamtenrechtlich ist das zu prüfen. Wir wissen aber, dass wir uns zu dem Thema verhalten müssen, und bereiten das vor.