Braunschweig. . Die Mittelmeerkrankheit tritt hauptsächlich in tropischen Gegenden auf. Hund Ramses ist trotzdem erkrankt - obwohl er Deutschland nie verlassen hat.

Mein Hund hat Deutschland nie verlassen. Trotzdem ist er schwer an der sogenannten Mittelmeerkrankheit Leishmaniose erkrankt. Wie ist das möglich?

Das fragt unsere Leserin Verena Bergemann.

Zum Thema recherchierte Johannes Kaufmann.

Ramses hat Schmerzen. Er kommt nicht zur Ruhe, bleibt nie lange sitzen, springt auf, humpelt umher, hebt immer wieder die linke Hinterpfote. Dort deutet eine rote, offene Wunde auf eine frische Verletzung hin. Doch die Operation, bei der dem Mischling aus Border Collie und Elo eine Zehe amputiert wurde, war bereits vor mehr als einem Monat.

„Die Wundheilung ist massiv gestört, und er bekommt ständig Blasen“, sagt die Halterin des Hundes, Verena Bergemann. Schlimmer noch: Ein weiterer Ballen an der Pfote hat sich entzündet und beginnt zu bröckeln. So habe es auch bei der amputierten Zehe begonnen, erzählt Bergemann. Später habe sich ein Abszess gebildet. Die Tierärztin verschrieb Antibiotika, doch die schlugen nicht an. Eine Woche später musste Ramses unters Messer.

„Der Abszess sah aus wie ein Tumor“, sagt Sonja Werner, die Ramses in ihrer Tierarztpraxis behandelt. Doch die Biopsie bestätigte den Verdacht nicht, und die Wunde heilte schlecht. Die Veterinärin war ratlos. Bis Verena Bergemann einen Verdacht weitergab, den andere Hundebesitzer in einem Internetforum geäußert hatten: Leishmaniose. „Wir haben schon hin und wieder Leishmaniose-Fälle in der Praxis, aber Ramses wurde in Deutschland geboren und zeigte keines der typischen Symptome“, erinnert sich Werner. Doch manchmal müsse man einfach auf das Bauchgefühl der Tierhalter hören, sagt die Ärztin. Und das wurde vom Laborbefund bestätigt: Im Blut des Hundes fanden sich Antikörper gegen Parasiten der Gattung Leishmania.

Solche Leishmanien werden von Mücken übertragen. Allerdings nicht von den in Deutschland heimischen Stechmücken, sondern von Sandmücken. „Die sind kleiner als unsere Stechmücken, nicht größer als fünf Millimeter, stark behaart und bräunlich-gelb gefärbt“, erklärt Professor Cornelia Silaghi, Leiterin des Instituts Infektionsmedizin am Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit auf der Insel Riems. Die vielen verschiedenen Arten der Sandmücken (Phlebotominae) sind hauptsächlich in tropischen und subtropischen Regionen verbreitet, in Afrika, Asien, im Nahen und Mittleren Osten und im Mittelmeerraum ­– weswegen die Infektion bei Hundebesitzern wie Verena Bergemann als Mittelmeerkrankheit bekannt ist.

„Der Hauptüberträger von Leishmanien in Europa ist Phlebotomus perniciosus“, sagt Professor Silaghi. „Die Mücke zeigt eine Tendenz zur Ausbreitung nach Norden, sie ist aber nicht gut an Kälte angepasst.“ Das unterscheide sie zum Beispiel von der asiatischen Tigermücke, die Viruserkrankungen wie Zika, Chikungunya und Dengue übertragen kann und die sich als hoch invasive Spezies vor allem über den internationalen Handel schnell ausbreitet. „Sandmücken vermehren sich langsam, sie haben nur wenige Generationen in einem Jahr“, sagt die Fachtierärztin für Parasitologie. Das Insekt sei auf ein feuchtes Mikroklima angewiesen und vertrage keine extreme Kälte. „Für die Eiablage braucht die Mücke organisches Substrat wie Dung, Laub oder verrottendes Holz.“ Deswegen könne sie sich wohl nicht wie die Tigermücke über den Handel mit Altreifen ausbreiten. Auch fehle ihr die nötige Trockenheitsresistenz.

Ein einziger Mückenstich reicht für eine Infektion aus

Zudem sei die Sandmücke ein ziemlich schlechter Flieger. Und trotzdem seien Exemplare bereits im Rheingraben und in Nordfrankreich nachgewiesen worden – möglicherweise von kräftigen Winden dorthin getragen. Auch in Gießen gab es bestätigte Funde. „Vermutlich waren das Einzelfunde und keine Populationen, aber da es kein flächendeckendes Sandmücken-Monitoring gibt, fehlen uns die Daten für eine eindeutige Aussage“, sagt Silaghi.

Die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung ist somit gering, dafür ist die Krankheit aber ausgesprochen ernst. „Leishmaniose bei Hunden ist nicht heilbar. Außerdem ist es eine Zoonose, es können sich also auch Menschen infizieren“, sagt die Tierärztin. Denn als Wirt für ihre Blutmahlzeit, die sie für die Entwicklung ihrer Eier benötigt, sucht die Sandmücke sich neben Hunden, Füchsen, Kaninchen und anderen Nagetieren eben auch Menschen.

Schon ein einziger Stich reicht für eine Infektion aus, sagt Professor Andreas J. Müller. Der Mikrobiologe untersucht am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg das Wechselspiel von Immunsystem und Parasiten. „Mit jedem Stich gelangen ein paar Tausend Leishmanien in die Haut“, so Müller, der bei seiner Forschung die Parasiten farblich markiert und mittels einer speziellen Mikroskopie ihr Verhalten während der Infektion nachverfolgt (siehe Foto).

„Leishmanien sind intrazelluläre Erreger, die sehr gut an Fresszellen angepasst sind“, erläutert der Mikrobiologe. Das erklärt ihre Hartnäckigkeit. Nach einer Infektion wandern sogenannte Neutrophile, Zellen der angeborenen Immunabwehr, in das betroffene Gewebe ein. Dazu gehören auch Fresszellen (Makrophagen), die schädliche Mikroorganismen in sich aufnehmen und zerstören. „Leishmanien überstehen diese erste Verteidigungslinie des Körpers sehr gut, und sie vermehren sich innerhalb der Makrophagen“, sagt Müller.

Die Parasiten kapern also einen Teil des Immunsystems, verändern sogar die Fresszellen so, dass diese selbst von anderen Immunzellen nicht als infiziert erkannt werden. Für die körpereigene Infektionsabwehr werden sie dadurch unsichtbar. „Der Verlauf der Infektion ist nicht schnell und heftig wie bei vielen Viren, sondern fast chronisch“, verdeutlicht Müller. Tatsächlich hat die Leishmaniose eine sehr lange Inkubationszeit, in der die Parasiten sich durch Teilung innerhalb der Makrophagen vermehren.

Zwischen Infektion und Ausbruch der Krankheit können viele Jahre liegen. Verena Bergemann etwa vermutet, dass Ramses 2006 in einem Urlaub im Allgäu gestochen wurde. Knapp ein Jahr später sei mit der sogenannten Brillenbildung ein typisches Leishmaniose-Symptom aufgetreten: Haarausfall rund um die Augen. „Schon damals bin ich in einem Forum auf Leishmaniose gestoßen. Ich hielt das aber wegen der geografischen Verbreitung der Krankheit für Unsinn“, erinnert sich die 34-Jährige. Da Ramses an mehreren Vorerkrankungen wie Allergien und einem Schilddrüsenproblem litt, konnte der damalige Tierarzt das Symptom nicht sicher deuten. Es verschwand schließlich von allein, die schwere Erkrankung an Leishmaniose erfolgte erst elf Jahre später.

„Der langsame Verlauf begünstigt die Ausbreitung des Parasiten, weil jeder Wirt ein neues Reservoir zur Infektion von Mücken darstellt“, erklärt Professor Müller. Über die Blutmahlzeit gelangt der Parasit in den Darm der Mücke, wo er sich paart und in eine bewegliche Form wandelt, die selbständig in die Speicheldrüse der Mücke wandert. So schließt sich der Kreislauf.

Die Krankheit ist nur schwer zu behandeln. „Die Medikamente ähneln in ihren Nebenwirkungen einer Chemotherapie bei Krebs“, sagt Professor Müller. Einen Impfstoff für Menschen gibt es nicht. Da eine überstandene Infektion aber zu lebenslanger Immunität führt, werde im Nahen Osten noch immer die „Inoculierung“ praktiziert. Wie bei einer Impfung soll dadurch das Immunsystem auf den Erreger eingestellt werden ­– in diesem Fall werden aber nicht nur Teile des Erregers, sondern der tatsächliche, vermehrungsfähige Parasit an einer unproblematischen Stelle in die Haut injiziert.

Die Behandlung von Hunden ist aufwändig und teuer

Solche Hautleishmaniosen, auch bekannt als Orient- oder Aleppobeule, bei der sich bis zu fünf Zentimeter große Geschwüre auf der Haut bilden, heilen üblicherweise von selbst. Schlimmer ist die vor allem in Südamerika auftretende Innere Leishmaniose, welche Organe wie Leber und Milz befällt. Aber auch sie bekommt das Immunsystem in den meisten Fällen in den Griff.

Bei Hunden ist das anders. „Deren Immunsystem schafft das nicht“, sagt Professor Silaghi. Entsprechend geht es in der Therapie lediglich darum, den Hunden ein möglichst beschwerdefreies Leben zu ermöglichen. „Das ist eine lebenslange, teure und aufwändige Behandlung, die eine engmaschige Überwachung der Werte des Hundes nötig macht“, gibt die Fachtierärztin zu bedenken.

„Ramses muss für den Rest seines Lebens Allopurinol nehmen. Allein das Medikament kostet 15 Euro pro Monat“, berichtet auch die Tierärztin Sonja Werner. Ramses’ Frauchen, Verena Bergemann, schätzt, dass die Behandlung insgesamt bereits knapp 1000 Euro gekostet hat.

Entsprechend betont Professor Silaghi die Bedeutung der Prävention: „Wer Hunde unbedingt in den Urlaub in südlichen Ländern mitnehmen muss, sollte sie dringend schützen – zum Beispiel durch Repellents, die Mücken fernhalten.“ Auch lasse sich das Risiko minimieren, indem man die Hunde von Feuchtgebieten fernhält – vor allem abends und nachts, wenn die Mücken aktiv sind. Eine Bekämpfung der in Deutschland nur selten auftretenden Sandmücke hält die Expertin hierzulande aber für unnötig, wenngleich sie ein systematisches Monitoring befürwortet, um die Verbreitung der Mücke überwachen zu können.

Besonders wichtig sei die Aufklärung von Hundehaltern und Tierärzten. „Mittlerweile werden Hunde in großem Stil aus dem Süden eingeführt“, sagt Silaghi. Da sei es unverzichtbar, die Tiere bereits in ihrer Heimat auf Leishmanien testen zu lassen.

Ramses hingegen ist ein besonderer Unglücksfall. Halterin Bergemann versichert, dass der Hund in seinem Leben das Land nicht verlassen habe und nie weiter südlich als im Allgäu war. „Der Hund wurde in Deutschland geboren“, sagt auch Tierärztin Sonja Werner, die den Mischling seit zehn Jahren kennt. Sie hofft auf eine Sensibilisierung der Hundehalter für die Risiken der Leishmaniose und auf einen Impfstoff, der vor wenigen Jahren zugelassen wurde. Trotzdem glaubt sie: „Leishmaniose ist eine Krankheit, mit der wir in Zukunft verstärkt rechnen müssen.“

Verena Bergemann hofft, dass Ramses den Rest seines Lebens halbwegs schmerzfrei verbringen kann. Doch die Therapie mit Allopurinol scheint kaum anzuschlagen. Wenn sie schon ihren Hund nicht retten kann, will Bergemann zumindest Aufmerksamkeit für die Krankheit erzeugen: „Mir geht es darum, dass anderen Hunden erspart bleibt, was er durchmachen musste.“