Braunschweig. Die Ursachen des Insektensterbens sind vielfältig, erklären der Insektenforscher Thomas Schmitt und der Insektenfotograf Jürgen Mangelsdorf.

Kann es auch an veränderten Wetterbedingungen liegen, dass es innerhalb weniger Jahre immer weniger Insekten gibt - an etwa Kälte zu ungewohnter Zeit?

Das fragt unser Leser Manfred Fehly aus Salzgitter

Die Antwort recherchierte Andreas Eberhard

Das Insektensterben – nicht nur für unseren Leser, auch die Experten stellen seine Ursachen noch vor offene Fragen. „Es ist ein ziemlich komplexer Cocktail von Einflüssen, der dazu geführt hat“, sagt Professor Thomas Schmitt, Leiter des Deutschen Entomologischen Instituts im brandenburgischen Müncheberg. „Das völlig aufzudröseln, bekommt man kaum hin.“

Der drastische Rückgang der Insektenbestände in Deutschland selbst indes ist eine anerkannte Tatsache. Umweltverbände und Wissenschaftler sind sich darin einig. Wissenschaftliche Analysen kommen zu den eindeutigen Ergebnissen, dass viele Arten lang- und kurzfristig seltener werden, regional oder gar national aussterben und die Biomasse der Insekten großräumig stark zurückgeht - mit erheblichem Einfluss auf die Nahrungsketten in der Natur. So heißt es etwa in einer gemeinsamen Presseerklärung der renommierten Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung, des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung iDiv.

Eine Studie von Mitgliedern des Entomologischen Vereins Krefeld verzeichnet einen Rückgang von durchweg mehr als 75 Prozent aller Insekten in Deutschland in den letzten 27 Jahren. Kritik an der Studie, es sei über die Jahre hinweg nicht immer am selben Standort gemessen worden, weist Schmitt als „wohlfeil“ zurück: „Natürlich, die Daten sind nicht optimal. Aber bei allen Schwächen: es ist die beste Studie am Markt.“ Im übrigen komme es ihm weniger auf die exakte Zahl an, „als darauf, dass der Rückgang massiv ist“. Und das stelle jeder Fest, der in die Natur gehe. „Mit elf Jahren habe ich angefangen, im Hunsrück Schmetterlinge zu sammeln. das könnte ich heute vergessen. Wenn ich heute in meine Sammlung schaue, kann ich nur darüber staunen, welche Arten ich dort 1980 noch antreffen konnte.“

Eine wichtige Ursache des Insektensterbens sieht Schmitt im landschaftlichen Wandel durch die Landwirtschaft. „Wir haben unsere Landschaftsmatrix in den letzten 50 Jahren in massiver Weise umgebaut“, sagt der Insektenforscher. Statt der alten Landschaft mit Hecken, Ödland und Brachen gebe es großflächige Monokulturen. „Und wo heute Mais wächst, das wächst nur noch Mais, auch dank Glyphosat. Das gibt für die Insekten nichts her.“ Auf die Frage, ob etwa blühender Raps für Insekten nicht interessant ist, antwortet Schmitt: „Der Raps gibt maximal zwei Wochen lang etwas her – vielleicht sogar ein Überangebot. Aber dann ist er wieder weg.“ Was Insekten brauchen, sei ein dauerhaftes und vor allem vielfältiges Nahrungsangebot. Besonders betroffen sind denn auch solche Arten, die Blüten bestäuben, etwa Tagfalter und Wildbienen.

Auch der Insektenfotograf Jürgen Mangelsdorf aus Weddel, der in unserer Region immer wieder Vorträge zum Thema Insektensterben hält, sieht das Hauptproblem im Wandel der Landschaft: „Die Feldränder sind verkommen. Es blühen dort keine Wildblumen und Wildkräuter mehr.“ Das liege auch an mangelnder Pflege. Da die Grünstreifen nicht, wie früher, regelmäßig gemäht würden, hätten die Insekten-Pflanzen keine Chance, „weil die Gräser alles andere unterjochen.“ Und wenn doch einmal gemäht würde, bleibe das Mähgut häufig liegen und führe zur Überdüngung, was wiederum dem Gras, aber nicht den Wildblumen zugute komme.

Auch Insektengifte der sogenannten Neonikotinoide sind nach Ansicht des Insektenforschers Thomas Schmitt Schuld an dem Insektensterben. „Es ist schon unstrittig, dass diese Stoffe etwa dazu führen, dass Honigbienen die Orientierung verlieren und nicht mehr nach Haus finden.“ Dies habe ihren Tod zufolge, auch wenn sie nicht an der Substanz selbst zugrunde gehen.

„Natürlich hat auch der Klimawandel einen Einfluss darauf, welche Insekten es gibt“, erklärt Schmitt. Allerdings sei dieser Einfluss bei weitem nicht so gravierend: „Wenn es wärmer wird, verschwinden natürlich manche Arten, die an kältere Verhältnisse angepasst sind, dafür kommen aber auch neue hinzu.“ Der massive Rückgang lasse sich damit nicht erklären.

Einen weiteren Faktor, der den Insekten das leben schwer macht, sieht Jürgen Mangelsdorf in der zunehmend allgegenwärtigen künstlichen Beleuchtung. „Die Lichtverschmutzung ist ein unheimlich großer Störfaktor. Das lockt viele Insekten an, viele bleiben dort einfach sitzen oder verheddern sich in Spinnennetzen.“

Was getan werden kann? „Es muss jetzt nicht jeder ein Insektenhotel bauen“, sagt der Weddeler. „Hilfreich wäre, wenn die Menschen in ihren Gärten wieder mehr Artenvielfalt schaffen würden. Und zwar mit heimischen Pflanzen statt mit englischem Rasen.“