Braunschweig. TU-Forscher Tobias Rahm betont: Lebensqualität ist nicht gleich Glück.

Ein Leser namens „Exciter“ bemerkt auf unseren Internet-Seiten:

„Um zu wissen, dass man in Braunschweig besser lebt als in Hannover, braucht es keine Studie!“

Zum Thema recherchierte Andreas Eberhard

Der Lokalpatriot – ein solcher scheint unser Leser „Exciter“ zu sein – wusste es natürlich schon immer: An der Oker lebt es sich besser als an der Leine. Aber mit der „Deutschland-Studie“ des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos, die das ZDF nun veröffentlicht hat, ist es sozusagen amtlich.

Die große Deutschlandstudie - Wo lebt es sich am b

„Ich lebe auch gern in Braunschweig“, sagt Tobias Rahm, „aber ein Hannoveraner würde die Lesermeinung so bestimmt nicht teilen“. Deswegen, bemerkt der Glücksforscher der Technischen Universität Braunschweig, brauche es eben Studien mit objektivierbaren Daten. „Wenn wir diskutieren, dann können wir das nicht auf Grundlage alternativer Fakten tun, sondern wir brauchen belastbare Zahlen.“ Und solche liefere die „Deutschland-Studie“, sagt der Braunschweiger Diplompsychologe.

Lebensverhältnisse in Deutschland relativ gleichwertig

Ranking Gesundheit und Sicherheit

Bei allen regionalen Unterschieden: Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass die Lebensqualität in Deutschland noch immer weitgehend gleichwertig ist. „Zwar gibt es einige Ausreißer nach unten, um die man sich sorgen muss. Aber man findet in Deutschland weder die Hölle noch das Paradies auf Erden“, schreiben die Autoren der Studie. Auch den stärksten Regionen gelingt es bei weitem nicht, die Maximalpunktzahl von 300 zu erreichen. Und mit seinen 207 Punkten steht Spitzenreiter München vor großen Herausforderungen: Wohnen ist teuer, es gibt wenig Kita-Plätze, dafür aber viel schlechte Luft.

Ranking Arbeit

Umgekehrt gehen selbst die Regionen am unteren Ende des Rankings nicht leer aus. Auf dem letzten Rang erreicht Gelsenkirchen immerhin noch 109 Punkte. „Auch Gelsenkirchen hat – bei allen Herausforderungen – seinen Bürgerinnen und Bürgern viel zu bieten“, so die Prognos-Forscher – etwa beim Kulturangebot oder in puncto bezahlbarer Wohnraum.

Stärken und Schwächen in unserer Region

Ranking Freizeit und Natur

Auch in unserer Region sind die Stärken und Schwächen ganz unterschiedlich verteilt. Der Vergleich der Spitzenreiter zeigt dies: Braunschweig erklimmt den niedersächsischen Spitzenplatz dank seiner guten Erreichbarkeit, kurzer Pendlerdistanzen, einer guten Lehrerversorgung und seiner hohen Vereinsdichte von 9,7 Vereinen auf 1000 Einwohner. Schlecht sieht es für die Stadt Braunschweig dagegen beim Anteil naturnaher Flächen an der Gesamtfläche aus.

Wolfsburg, das auf dem zweiten Platz folgt, liegt bei kurzen Pendlerwegen, Arztdichte und Bevölkerungsdynamik sogar noch vor Braunschweig. Die Volkswagen-Stadt schwächelt jedoch beim Kultur- und Gastronomieangebot. Oberbürgermeister Klaus Mohrs freut sich trotzdem über den guten Platz auf der Landes-Rangliste: „Wolfsburg ist neben einem starken Wirtschaftsstandort auch eine überaus lebenswerte Stadt. Das bestätigen uns Rankings, und das zeigen uns auch die steigenden Geburtenzahlen sowie die hohe Nachfrage nach Wohnraum. Wolfsburg wird sich weiterhin dynamisch fortentwickeln.“

Liegen die Landkreise Göttingen (Platz 5) und Goslar (Platz 10) noch im oberen Viertel aller Regionen des Landes Niedersachsen, landeten Gifhorn (31), Peine (36), Wolfenbüttel (37), Helmstedt (40) bei der Studie eher auf den hinteren Plätzen. Salzgitter belegte mit 130 Punkten den vorletzen Rang vor Schlusslicht Delmenhorst.

Lebensqualität nich dasselbe wie Zufriedenheit

Auch wenn der „Deutschland-Studie“ der Ansatz zugrunde liegt, den Blickwinkel der Menschen einzunehmen, ist die erfasste Lebensqualität nicht gleichbedeutend mit der subjektiven Lebenszufriedenheit der dort lebenden Menschen. Dies betont neben den Prognos-Forschern auch der Psychologe Tobias Rahm.

Im Gegensatz zur „Deutschland-Studie“, bei der bayerische und baden-württembergische Regionen die Liste der lebenswertesten Orte Deutschlands anführen, zeige der von der Deutschen Post AG 2017 herausgegebene „Glücks-Atlas“ ein anderes Bild: Ihm zufolge sind die Menschen in Schleswig-Holstein die glücklichsten Deutschen. „Bei aller Vorsicht, mit der der Glücks-Atlas benutzt werden sollte, zeigt er doch: Der Zusammenhang zwischen Lebensqualität und Zufriedenheit ist ein komplexer.“

Aber wie sieht dieser Zusammenhang aus? „Unser Wohlbefinden hängt von verschiedenen Grundbedürfnissen ab“, erklärt der Psychologe. Nicht alle Bedürfnisse hängen von den äußeren Lebensqualität ab, so Rahm. „Einen Zusammenhang sehe ich aber beim Bedürfnis, Autonomie und Wahlfreiheit zu erleben.“ Dieses Erleben habe etwa mit den finanziellen Möglichkeiten zu tun. „Ebenso wissen wir, dass zum Beispiel Arbeitslosigkeit einen massiven negativen Einfluss auf das Wohlbefinden hat.“ Rahm wünscht sich, dass dieser Zusammenhang – von messbarer Lebensqualität und subjektivem Erleben – noch stärker als bisher diskutiert wird.