Braunschweig. Sie erkennen unseren Staat nicht an, verweigern Steuern, greifen Polizisten an. Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit hat in der Szene recherchiert.

Im März erst hat ein „Reichsbürger“ in Niedersachsen für Aufsehen gesorgt: Er verletzte sechs Polizisten, die ihn festnehmen wollten, weil er eine Geldstrafe nicht gezahlt hatte. Was sind das für Menschen, die den deutschen Staat nicht anerkennen? Der Journalist und Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit hat zusammen mit Kollegen das Buch „Reichsbürger – Die unterschätzte Gefahr“ (Ch. Links-Verlag, 216 Seiten, 18 Euro) veröffentlicht, das er jetzt in Braunschweig vorstellte. Mit Speit sprach Jens Gräber.

Wesentliches Merkmal der sogenannten Reichsbürger ist, dass sie die Bundesrepublik und die hier geltenden Gesetze nicht anerkennen. Warum eigentlich nicht?

Die gesamte Szene ist sehr heterogen. Einigkeit besteht nur in einem Punkt: dass die Bundesrepublik kein souveräner Staat ist. Es gibt Positionen, dass verschiedene Reiche fortbestehen: das Deutsche Reich von 1871, 1933 oder 1937 etwa. Eine weitere Position ist, dass die Bundesrepublik nur ein Konstrukt der Alliierten Siegermächte sei, eine Art Firma. Als Konsequenz hat die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik für diese Bewegung keine Gültigkeit. Und deshalb muss man auch deutlich sagen: Sie sind alle Verfassungsfeinde.

Den Staat nicht anzuerkennen, das klingt recht abstrakt. Was heißt das konkret für das Alltagsverhalten der Leute, über die wir hier sprechen?

Wir haben lange unterschätzt, wie stark diese Szene die Verwaltungen und Sicherheitsorgane in Beschlag nimmt. Das liegt an ihrer Totalverweigerung, die einfachsten Elemente eines Staates mitzutragen. Das beginnt bei Strafzetteln, die nicht bezahlt werden, und es endet bei Angriffen auf Gerichtsvollzieher und Polizisten, die eine Zwangsräumung durchsetzen wollen. Die werden dann eben als Aggressoren verstanden, die ohne Legitimation diese Maßnahme vollziehen wollen.

Ist eine Neigung zur Gewalt typisch?

Ich fürchte, dass in Teilen der Szene die Gedanken der Selbstverwaltung, Selbsterhöhung und Selbstermächtigung verbreitet sind – damit geht dann auch ein Recht auf Selbstverteidigung einher. Radikalität bis hin zur Gewalt ist quasi im Denken angelegt.

Es gab ja immer schon Leute, die zum Beispiel Rundfunkgebühren einfach nie bezahlt haben. Sind die Ideen der Reichsbürger für einige vielleicht einfach eine Art Legitimation für eine Verweigerungshaltung, die schon vorher da war?

Die Denkmuster der Reichsbürger sind ja nicht neu. Ab 1945 verfolgten Rechtsextremisten Reichsideen weiter – auch nach Gründung der Bundesrepublik. Die Motivlagen, warum Menschen sich dieser Szene zuwenden, sind extrem unterschiedlich. Viele der Anhänger wirken aus tiefster ideologischer Überzeugung mit. Einige Mitmacher haben aus Not heraus Kontakt zur Szene bekommen. Die haben zum Beispiel ein Behördenschreiben nicht verstanden und sind im Internet auf Seiten der Reichsbürger-Szene gestoßen, wo eine Art Rechtsberatung angeboten wurde. Und natürlich gibt es die, die etwas nicht bezahlen wollen und sich dann denken: Das versuch’ ich jetzt mal mit dieser Reichsbürger-Idee!

Weil die Szene erst seit recht kurzer Zeit wirklich als Bedrohung wahrgenommen wird, haben wir aber noch kaum empirische Daten über ihre Anhänger. 80 Prozent sind Männer ab 45 Jahren, 20 Prozent Frauen ebenso im etwas höheren Alter.

Wie tief haben Sie sich für die Recherchen zu Ihrem Buch in die Szene begeben? Und wie ist man Ihnen dabei begegnet?

Wir haben verschiedene Erfahrungen gemacht. Wenn wir offen Kontakt gesucht haben, herrschte am Anfang große Zurückhaltung. Viele fragten, ob wir wirklich glauben, so frei zu sein, dass wir darüber in einem Buch oder einer Zeitung schreiben könnten. Das allgemeine Misstrauen war groß, vor allem gegenüber den Medien. Wir haben auch verdeckt recherchiert, um dadurch einen ungefilterten Eindruck zu bekommen.

Wie wird Ihr Buch denn in der Szene aufgenommen?

Wir merken schon, dass es in der Bewegung angekommen ist. Es sind zuletzt auch mehr und mehr Reichsbürger zu unseren Veranstaltungen gekommen. Sie wollen uns dann entweder helfen, die große Verschwörung zu verstehen, an die sie glauben. Oder sie sehen uns als Feinde und sind durchaus aggressiv.

Werden Sie und Ihre Kollegen bedroht?

Der Ton wird rauer, die Szene fühlt sich teilweise angegriffen.