Braunschweig. Fachkräfte dringend gesucht: Beim „Speed-Dating“ treffen Berufsschüler und mögliche Arbeitgeber aus der Region zusammen.

Auf Gummi-Hüpftieren können Bewerber vor allem eines zeigen: Sie sind spontan, offen, humorvoll – und bereit, die Perspektive zu wechseln. In jedem von uns steckt schließlich auch noch ein Kind. Tanja Ille und Sandra Helbing vom Sprachheilkindergarten Pusteblume in Gifhorn stellen einige Berufsschüler auf die „Hüpf-Probe“: Wer setzt sich für ein Foto auf das weiße Einhorn? Oder auf das blaue Rentier? Oder auf das braune Pferd?

Die beiden stehen am Stand des Paritätischen Braunschweig und verbreiten mit ihrer Aktion gute Laune. „Praxis macht Schule“, heißt die Berufs-Messe, die an diesem Tag 14 Träger der Kinder- und Jugendhilfe in unserer Region und angehende Erzieher oder sozialpädagogische Assistenten zusammenbringen soll. Wer ein Foto von seinem Hüpftier-Ritt mitnehmen will, hat nicht nur Spaß – sondern bestenfalls gleich Kontakt zum künftigen Arbeitgeber geknüpft. „Schon bei der ersten Auflage dieser Messe im vorigen Jahr haben wir Interessenten gewinnen können, die mittlerweile auch in unseren Einrichtungen arbeiten“, sagt Cornelia Hörnicke, Leiterin der offenen Ganztagsschulbetreuung in der Braunschweiger Pestalozzistraße. Ob sich dieser Erfolg auch in diesem Jahr wiederholen lässt?

Gute Fachkräfte für ihre Einrichtung gewinnen – das erhoffen sich alle Träger von Kinder- und Jugendeinrichtungen, die sich in der Braunschweiger Brunsviga vorstellen. Der Kitaausbau in den Städten und Gemeinden geht voran – doch Erzieher auszubilden dauert länger, als neue Tagesstätten zu bauen. Dass viele Eltern die Betreuungszeiten für ihr Kind in der Kita ausweiten, die Zahl der Geburten wieder steigt und auch der Ausbau der Schulkindbetreuung und Familienzentren weiter vorangetrieben wird, verschärft das Problem. Im März gab es laut Bundesagentur für Arbeit in Niedersachsen 1529 freie Stellen, dem gegenüber waren nur 729 Erzieher und Sozialassistenten arbeitslos gemeldet. Die Arbeitsagentur spricht deshalb mittlerweile von einem „ausgeprägten Fachkräftemangel“.

Unklar sei außerdem, wie sich die geplante Beitragsfreiheit ab diesem Kindergartenjahr auf den Personalbedarf auswirken wird, sagt Elisabeth Ahrling-Witte, Leiterin des Arbeitskreises „Praktische Ausbildung in Braunschweig“. Diese Gruppe mit Vertretern aus Lehre und Praxis arbeitet seit 1998 daran, die Ausbildung sozialpädagogischer Fachkräfte weiterzuentwickeln.

Um diese in der Region zu halten, geht der Arbeitskreis inzwischen sogar ungewöhnliche Wege: Zum zweiten Mal hat er ein „Speed-Dating“ zwischen Nachwuchskräften und möglichen Arbeitgebern initiiert. Wie bei einer Partner-Kontaktbörse treffen hier möglichst viele Teilnehmer in kurzer Zeit aufeinander – mit dem Ziel, möglichst viele „Traumpaare“ zu finden.

300 Schüler der Berufsbildenden Schule V in Braunschweig flanieren durch das Kulturzentrum und verschaffen sich einen Überblick über die Angebote in unserer Region. Die Städte Braunschweig und Wolfenbüttel sind ebenso vertreten wie der Awo-Bezirksverband, die kirchlichen Träger oder der Dachverband der Elterninitiativen in Braunschweig. Noch nie war es für Bewerber so leicht, einen Job zu finden. „Als ich angefangen habe, musste ich mich in den Einrichtungen anbieten, jetzt bieten wir uns bei den angehenden Fachkräften an“, sagt Andrea Lüdtke, Koordinatorin für die evangelischen Kitas und die Schulkindbetreuung des Kirchenverbands in Braunschweig. Bei den 28 Einrichtungen unter diesem Träger gebe es im Schnitt zwölf bis 15 offene Stellen.

Viele Berufsschüler haben eine Bewerbungsmappe dabei, die sie möglichen Arbeitgebern schnell in die Hand drücken. Am Stand des Deutschen Roten Kreuzes informiert sich Viktoria Schulz über die Angebote. Sie möchte in einer Krippe arbeiten. „Es reizt mich, wenn man Kindern viel mit auf den Weg geben kann.“ An ihren künftigen Arbeitgeber hat sie konkrete Erwartungen: gute Teamarbeit sowie die Möglichkeit, sich laufend weiterbilden zu können.

Damit wirbt das DRK wie viele Träger inzwischen ganz gezielt, inklusive einer tariflichen Bezahlung, individuellen Einarbeitungskonzepten und Aufstiegsmöglichkeiten. Die Stadt Wolfenbüttel vergibt inzwischen nach einem Jahr Festverträge, um qualifiziertes Personal zu halten.

Zwischen den Einrichtungen ist ein wahrer Konkurrenzkampf um motivierte Erzieher entbrannt. Doch neben dem rasanten Ausbau der Betreuungsplätze setzt der Trend zur Ganztagsbetreuung die Einrichtungen zusätzlich unter Druck: Viele Bewerber verlangen familiengerechte Arbeitszeiten, wollen nicht am frühen Morgen oder am Abend noch im Einsatz sein, bestätigt Karin Matthias vom DRK.

Ein weiterer Grund für den Notstand: Der Beruf Erzieher stellt hohe Anforderungen und ist anstrengend. Die Ausbildung müsse besser vergütet werden, außerdem seien die Verdienstmöglichkeiten viel zu gering, sagt Berufsschüler Lennart Fladung. „Man trägt in dem Beruf schließlich eine große Verantwortung, außerdem ist es oft ein Knochenjob.“

Als positiv bewerten die künftigen Fachkräfte deshalb auch die Ankündigung der Landesregierung, die Erzieherausbildung zu reformieren. Ab August sollen angehende Erzieher und sozialpädagogische Assistenten die Möglichkeit haben, ihre schulische Ausbildung in Teilzeit zu absolvieren und bereits in einem Kindergarten zu arbeiten. Außerdem will das Land künftig das Schulgeld für die rund 4400 Nachwuchskräfte übernehmen, die bei freien Trägern ausgebildet werden. Zudem sind eine kürzere Ausbildung bei Quereinsteigern mit Vorerfahrung und bis zu 500 zusätzliche sozialpädagogische Ausbildungsplätze an Berufsschulen geplant.

Doch bei aller Jammerei über Arbeitsbedingungen und zu niedrige Vergütung – in einem Vortrag macht Erziehungswissenschaftlerin Charmaine Liebertz den jungen Frauen und Männern auf der Messe Mut, mit Selbstbewusstsein in den Beruf zu gehen. In der Bildung seien neue Kompetenzen gefragt – Flexibilität, Kreativität, Frustrationstoleranz, Selbstmotivation oder Fehlerbereitschaft.

Das gemeinsame Suchen und Forschen sei für die Erzieher und sozialpädagogischen Assistenten in den Kindertagesstätten schon jetzt an der Tagesordnung. „Mit dieser Haltung hat man sie lange nicht ernst genommen“, sagt Liebertz. „Es hieß immer: Das sind Spieletanten, die den Kindern nur beibringen, wie sie sich schmutzig machen.“ Doch es gebe einen Umbruch von der Wissens- und Druckpädagogik, die noch an den Schulen vorherrsche, hin zu einer Pädagogik der Kompetenz und Freude – wie es sie in den Kitas längst schon gibt.