Braunschweig. Das Umweltbundesamt hat die Gesundheitsfolgen der Abgasbelastung berechnet. Die Ergebnisse solcher Rechnungen variieren stark.

Unser Leser Dirk Volkmann aus Königslutter fragt:

Welche Erkrankungen kann eine erhöhte Stickoxidbelastung beim Menschen hervorrufen?

Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann

Stickstoffdioxid (NO²) ist ein rotbraunes, nach Chlor riechendes, ätzendes Gas, das unter anderem bei der Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle, Holz oder Öl entsteht. Es gibt aber auch ganz natürliche Quellen wie Blitze oder Mikro-Organismen im Boden, die das Gas erzeugen. Und es ist giftig: Beim Einatmen führt es zu Kopfschmerzen und Schwindel und im schlimmsten Fall zu gefährlichen Lungenblutungen.

All dies konnte durch toxikologische Untersuchungen für relativ hohe Konzentrationen von mehreren Zehntausend Mikrogramm NO² pro Kubikmeter Luft belegt werden. Bei niedrigen Konzentrationen – für die Außenluft in der EU gilt ein Grenzwert von 40 Mikrogramm im Jahresmittel – ist ein direkter Wirkzusammenhang mit gesundheitlichen Folgen hingegen kaum zu beweisen.

Um die Auswirkungen dennoch abzuschätzen, werden statistische Gesundheitsdaten mit der Stickoxidbelastung in Beziehung gesetzt. Solche epidemiologischen Studien legen einen Zusammenhang unter anderem mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Asthma und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) nahe. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat in den 1990er Jahren ein Modell für sogenannte umweltbedingte Krankheitslasten entwickelt, in dem Abgase und Erkrankungen in Beziehung gesetzt werden.

Das Umweltbundesamt UBA hat nun auf Grundlage eines solchen Modells eine Studie für das Jahr 2014 vorgelegt. Demnach gingen in diesem Jahr 6000 vorzeitige Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf NO² in der Außenluft zurück. 49 700 Lebensjahre seien dadurch verloren gegangen. Hinzu kämen mit 439 000 Fällen etwa 14 Prozent aller Asthma-Erkrankungen. In die neue UBA-Studie flossen Daten aus ländlichen und städtischen Regionen – insbesondere aus München, Berlin und Brandenburg. Auf Basis dieser Berechnungen sah UBA-Präsidentin Maria Krautzberger bei der Vorstellung der Studie am Donnerstag in Berlin „dringenden Handlungsbedarf“ insbesondere in verkehrsreichen Städten.

Allerdings sind solche Hochrechnungen nicht unumstritten. So berücksichtigen sie zum Beispiel nicht den Einfluss anderer Risikofaktoren auf die vorzeitigen Todesfälle – wie etwa Rauchen, Alkoholkonsum oder Übergewicht. Zudem wurden in den ursprünglichen Untersuchungen der WHO Stickoxide ganz allgemein als Hinweis auf Abgase gewertet. Die enthielten damals aber neben dem Reizgas noch Schadstoffe wie Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid und unverbrannte Kohlenwasserstoffe, die heute aufgrund von Katalysatoren und schwefelfreien Kraftstoffen keine Rolle mehr in Auto-Abgasen spielen.

Auch tritt Stickstoffdioxid im Straßenverkehr zusammen mit Feinstaub auf. Es stellt sich also die Frage, auf welchen Zusammenhang die statistische Korrelation von NO² und Krankheit eigentlich hinweist. Das UBA hat daher „konservativ“ gerechnet, die Folgen von NO² nach eigener Einschätzung also tendenziell unterbewertet.

Laut Professor Nino Künzli, Vizedirektor des Schweizerischen Tropen- und Public Health Instituts Basel, ist diese Vorsicht auch angemessen, „da die Abgrenzung der Stickoxid-Schäden von jenen des Feinstaubes schwierig ist“. Der Mediziner schätzt, dass etwa ein Zehntel der Gesamtschäden durch Luftverschmutzung auf Stickoxide zurückzuführen ist.

Das mache sie gegenüber Ruß und Feinstaub zu einem „Randproblem“. Für Dr. Ulrich Franck vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig stellt „die NO²-Belastung der Außenluft im Verhältnis zu anderen Gesundheitsrisiken ein kleines, aber reales Risiko dar“. Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen komme die UBA-Studie für die Betroffenen auf einen durchschnittlichen Lebenszeitverlust von acht Stunden. Allerdings seien viele Bürger fast gar nicht, manche dafür stärker betroffen. „Trotzdem ist der Feinstaub in der Atemluft mit einem deutlich höheren Lebenszeitverlust verbunden, so dass es sinnvoll scheint, bei beschränkten Mitteln und Möglichkeiten das Hauptaugenmerk auf die Reduzierung der Feinstaubbelastung und danach auf NO² zu richten“, so Francks Fazit.

Fundamentale Kritik äußert der ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, Professor Dieter Köhler. Er bezeichnet Studien wie die des UBA als „Seifenblasen“. Sie würden völlig falsch interpretiert und die Gefahren für die Gesundheit vor allem im Vergleich zu anderen Risikofaktoren bewusst aufgebauscht.