Berlin. Sie sehen sich durch die erneute Verzögerung bestätigt und stellen das gesamte Endlager-Projekt infrage.

1988, 1996, 2013, 2019, 2022 – und jetzt also 2027. Immer wieder nennen die Betreiber des in Salzgitter-Bleckenstedt geplanten Endlagers kleinlaut neue Termine für dessen Fertigstellung. Doch dieses Mal soll das erste Halbjahr 2027 stehen – komme was wolle. Das versicherten Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, und Ursula Heinen-Esser, Chefin der federführenden Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), am Donnerstag in Berlin. Flasbarth erklärte, dass es vielleicht auch etwas früher klappt als 2027. Dann muss alles optimal laufen.

Grundlage für den neuen Zeitplan ist ein externes Gutachten des TÜV Rheinland. Nach Angaben der noch im Aufbau befindlichen BGE hatte diese das Gutachten im September 2017 auf Bitten des Bundesumweltministeriums in Auftrag gegeben, um Klarheit über den Stand des Projekts zu erhalten. Einen definitiven Zeitplan für ein Ende der komplexen Bau- und Genehmigungsprozesse gab es bislang zwar nicht, wohl aber handfeste Prognosen. Zuletzt war von 2022 ausgegangen worden.

Schacht Konrad ist das bislang einzige bereits genehmigte Atommüllendlager in Deutschland. Das frühere Eisenerzbergwerk soll schwach- und mittelradioaktive Abfälle aufnehmen. Die Verantwortung dafür teilten sich bisher das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und die Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe (DBE) aus Peine. Die DBE ist ein mehrheitlich im Besitz von Energiefirmen befindliches Unternehmen. In dieser früheren Doppelstruktur sehen Flasbarth und Heinen-Esser einen Grund für die wiederkehrenden Verzögerungen.

Beide sprachen am Donnerstag wiederholt von „Reibungsverlusten“. Übersetzt bedeutet das: BfS und DBE waren sich nicht einig. Seit 1984 hatte die DBE quasi ein unkündbares Monopol auf die Errichtung von Atommülllagern – ein Zustand, den das BfS aus Salzgitter als Aufsichtsbehörde in der Vergangenheit bereits mehrfach kritisiert hatte. Indirekt warf das BfS der DBE vor, daran interessiert zu sein, dass Schacht Konrad nicht möglichst schnell fertig wird. Schließlich verdiente die DBE, ein mehrheitlich im Besitz von Energiefirmen befindliches Unternehmen, am Endlager. Mit Blick auf Schacht Konrad, die Asse und Morsleben hat nun alleine die BGE den Hut auf.

Zwar hätte sich die BGE erst einmal ein Bild verschaffen müssen. Nun aber sei mit weiteren Verzögerungen nicht mehr zu rechnen, versicherten Flasbarth und auch Heinen-Esser. Die BGE-Chefin erklärte, es werde eine Stabsstelle für die Planung bei Schacht Konrad geben. Erst jetzt, da alle Fäden bei der BGE zusammenlaufen, gebe es eine Übersicht über alle Bestandteile des komplexen Projekts. Heinen-Esser wies darauf hin, dass es keine Erfahrungswerte mit einem Endlager in Deutschland gebe.

Thomas Lautsch, Technischer Geschäftsführer der BGE, erklärte dazu: „Wir sind eine lernende Organisation.“ Pikanterweise war Lautsch schon Geschäftsführer bei der DBE – allerdings erst seit 2015. Lautsch sagte: „Die Baustelle hat Schwung, 1000 Beschäftigte arbeiten dort.“

Zuletzt gab es in unserer Region große Befürchtungen, es würde direkt an Schacht Konrad ein Bereitstellungslager entstehen, bevor der Atommüll endgültig im alten Bergwerk gelagert wird. Der Grund: Viele Zwischenlager sind voll. Ein Bereitstellungslager wird im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD explizit erwähnt. Staatssekretär Flasbarth sagte unserer Zeitung jedoch: „Es heißt Bereitstellungslager ,für‘ Schacht Konrad und nicht ,an‘ Schacht Konrad.“ Er schloss nahezu aus, dass dieses Bereitstellungslager in unserer Region stehen wird. „Es wäre sehr schwierig, in Niedersachsen ein weiteres Lager zu errichten.“ Nicht nur Schacht Konrad befindet sich in unserer Region, auch die marode Asse bei Wolfenbüttel.

Die Reaktionen auf die Ankündigung der Verzögerung waren in unserer Region und auch bei Umweltorganisationen eindeutig: Die vielen Konrad-Gegner sehen sich bestätigt. Die Antiatom- und Umweltorganisationen Ausgestrahlt und auch BUND forderten, den Endlager-Bau zu stoppen. Auch die Linke im Bundestag sprach sich für einen Neustart inklusive neuer Standortsuche aus.

Dagegen sprach die Grünen-Atomexpertin Sylvia Kotting-Uhl von einem „ersten Zeichen“, dass die parteiübergreifend im Bundestag beschlossene Neuorganisation der Zuständigkeiten für die deutschen Endlager bei der BGE zu mehr Transparenz und effizienteren Strukturen führe. Damit seien jetzt auch „klarere und belastbare Prognosen möglich“, erklärte sie.

Miriam Staudte hingegen, atompolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, erklärte: „Dass der Bund die Inbetriebnahme von Schacht Konrad erneut verschieben muss, ist entlarvend. Wir haben erhebliche Zweifel, ob die Planungen dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. Bevor in dieser Problembaustelle weiteres Steuergeld versenkt wird, muss der Bund einen aktuellen Sicherheitsnachweis erbringen.“

Ludwig Wasmus von der AG Schacht Konrad sagte: „Schacht Konrad bleibt ein Irrweg, der nur immer weiter weg von tatsächlichen Lösungen führt.“

Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel (CDU) blieb skeptisch, ob die erneute Prognose tragfähig ist. Das müssten die nächsten zehn Jahre zeigen, sagte er. Er forderte: „Die Bevölkerung in unserer Region, die Räte und Kreistage, meine Amtskollegen und Amtskolleginnen und ich haben dagegen die klare Erwartung, dass eine Neubewertung von Schacht Konrad nach dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik und auch unter dem Aspekt der Rückholbarkeit erfolgen muss.“ Der Atommüll soll mit Beton fest verschlossen werden.

Staatssekretär Flasbarth erklärte zuvor in Berlin jedoch: „An Konrad wird nicht gerüttelt.“