Braunschweig. Effektive Mikroorganismen sollen Pflanzen und Böden fördern, beim Kompostieren helfen und das Immunsystem stärken. Belegt sind die Behauptungen nicht.

Unsere Leserin Kathrin Knoll fragt:

Effektiven Mikroorganismen werden eine Menge positive Effekte nachgesagt. Was hat es damit auf sich?

Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann

Die Liste der Anwendungen für Effektive Mikroorganismen (EM) ist lang: In der Landwirtschaft reichen sie von der Verbesserung des Bodens über die beschleunigte Kompostierung von Abfall und die Förderung des Pflanzenwachstums bis zum Kampf gegen Fliegenplagen im Kuhstall. Im Haushalt sollen EM beim Spülen und Waschen helfen, und als Nahrungsergänzungsmittel sind sie angeblich der Gesundheit förderlich. Unsere Leserin ist im Internet auf solche Behauptungen und auf Werbung für EM-Produkte gestoßen. Doch was ist dran an diesem vorgeblichen Wundermittel?

Mitte der 1980er Jahre hatte der japanische Gartenbau-Professor Teruo Higa eine Idee. Seine These: Alle Mikroorganismen lassen sich in drei Kategorien einteilen – positive oder regenerative, negative oder degenerative sowie opportunistische. Letztere würden ihr Verhalten den dominanten Mikroben innerhalb eines mikrobielles Milieus anpassen. Gebe man eine relativ kleine Menge positiver Mikroorganismen hinzu, könne das ganze Milieu entsprechend verändert werden.

Higa gründete die EM Research Organization (EMRO), die seitdem EM-Produkte verkauft. Dazu zählen nicht weiter definierte Mikrobenmischungen in Nährlösung, die der Kunde zu Hause fermentieren muss wie auch sogenannte aktivierte Fertigprodukte.

„Es ist durchaus erwiesen, dass sich durch die Manipulation des Mikrobioms im menschlichen Darm die Gesundheit fördern und sogar Krankheiten heilen lassen“, sagt Professor Jörg Overmann, Geschäftsführer der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) in Braunschweig. So wird beispielsweise bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen Stuhl von gesunden Spendern in den Darm von Patienten transplantiert.

„Das geschieht allerdings im Rahmen medizinischer Studien, bei denen mittels wissenschaftlicher Analytik genau geprüft wird, was eigentlich passiert“, sagt Overmann. Auch würden solche Transplantationen bei eindeutigen Diagnosen wie etwa Infektionen mit dem Bakterium Clostridium difficile angewendet. Das Einsatzgebiet von EM hingegen sei sehr vage, allgemein und zudem extrem umfangreich. „Das scheint mir etwas esoterisch angehaucht“, formuliert Overmann vorsichtig. Auch dass die EM ausgerechnet aus Mischungen von „Allerweltsmikroben“ wie Lactobacillus casei, Hefen oder Rhodopseudomonas palustris bestehen sollen, wundert den Mikrobiologen.

Mit letzterem kennt Overmann sich aus der eigenen Forschung besonders gut aus. Das Bakterium sei sehr vielseitig, aber keinesfalls von irgendeinem speziellen Anwendungsnutzen im Sinne der EM. Eine andere Eigenschaft sei hingegen auffällig: „Der Keim ist sehr einfach aus Umweltproben anzureichern.“ Geht es also womöglich eher darum, dass Kunden beim Ansetzen ihrer EM-Lösung sichtbar eine Kultur anzüchten – Rhodopseudomonas palustris ist auffällig braun-rot gefärbt – als um einen tatsächlichen Nutzen?

„Zumindest gibt es keinen belastbaren Hinweis, dass eine unbestimmte Bakterienmischung eine so breite positive Wirkung haben kann“, sagt Professor Overmann. Das Konzept der EM hält er für viel zu simpel: „Die biochemische Vielfalt der Mikroorganismen ist so immens, dass eine Kategorisierung in drei Klassen unserem Kenntnisstand nicht annähernd gerecht wird.“

Und was genau sei überhaupt positiv? Zwar tauschen Mikroorganismen untereinander über Botenstoffe durchaus Informationen aus und passen ihren Stoffwechsel an – etwa indem sie Gifte gegen Konkurrenten produzieren oder zu leuchten beginnen, wenn eine bestimmte Dichte von Zellen der eigenen Art erreicht ist. Aber ein Bakterium wisse nicht, was gut ist und richte seinen Stoffwechsel nicht nach menschlichen Kriterien aus, so Overmann. Sein persönliches Fazit: „EM hat eher mit Glaube zu tun als mit wissenschaftlicher Wirkung.“

Beim Julius-Kühn-Institut für Kulturpflanzenforschung (JKI) in Braunschweig fällt als Reaktion auf die Anfrage unserer Zeitung sogar der Begriff „Quacksalberei“. Tatsächlich erfüllen EM viele der Kriterien, wie sie in einem Artikel der medizinischen Fachzeitschrift „Arznei-Telegramm“ von 2003 für typische Quacksalber-Produkte aufgeführt sind. Dazu zählen die exotische Herkunft, die fehlenden Details zur Zusammensetzung des Produkts, die mangelhafte Studienlage zur Wirksamkeit und vor allem behauptete Wirksamkeit auf vielen, teils völlig voneinander unabhängigen Anwendungsgebieten.

„Bei den behaupteten Wirkungen der EM sträubt sich dem Mikrobiologen das Gefieder“, sagt Professor Kornelia Smalla, die derzeit das Institut für Epidemiologie und Pathogendiagnostik am JKI kommissarisch leitet. Sie hat einige EM-Produkte selbst untersucht. „Die Flaschen enthalten Melasse, das ist ein schöner Nährstoff für Bakterien im Boden“, erklärt sie den Befund, dass in manchen Untersuchungen tatsächlich eine leichte Verbesserung des Zustands der Mikrofauna des Bodens festzustellen war.

Ohne diesen Einfluss des Nährsubstrats war in einem vierjährigen Feldversuch in der Schweiz auf einem Bio-Landgut kein Effekt der EM auf Ertrag, Bodenatmung und mikrobielle Biomasse erkennbar. Das schreiben die Forscher, die das Experiment durchgeführt haben, in einem Beitrag aus dem Jahr 2010 für die Fachzeitschrift „Applied Soil Ecology“. Auch die behauptete Fähigkeit von EM, das Wachstum giftiger Cyanobakterien in Wasser zu hemmen, ließ sich in einer Studie, die 2010 in der Zeitschrift „Hydrologia“ erschien, nicht bestätigen.

Professor Smalla weist außerdem auf ein Grundsatzproblem der EM-Produkte hin. „Da sind 80 verschiedene Bakterienarten zusammengerührt. Bei der Fermentation wachsen aber nur ein paar davon – in Abhängigkeit von den Anzuchtbedingungen.“ Am Ende blieben zu Hause nur ein paar undefinierte Bakterien übrig, die trotzdem die vorher festgelegten Wirkungen entfalten sollen.

Trotz alledem bleibt am Ende aber ein wahrer Kern. „Es gibt viele Bakterien, die das Pflanzenwachstum drastisch steigern können“, sagt Smalla. In einem Forschungsprojekt konnten Wissenschaftler des JKI zum Beispiel zeigen, dass einige Pseudomonas- und Bacillus-Arten unter anderem einen Phosphormangel ausgleichen können. „Auf nährstoffreichen Böden sieht man keinen Effekt, auf armen Böden wie etwa den sandigen Böden in Mecklenburg-Vorpommern hingegen schon“, sagt Smalla.

Zu den mikrobiellen Faktoren des Pflanzenwachstums werde viel geforscht. Die Idee, Mikroorganismen landwirtschaftlich zu nutzen, werde sich bald umsetzen lassen, ist Smalla überzeugt – aber auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, nicht den Behauptungen esoterischer Quacksalber.