Braunschweig. Der Weiterbau der A39 löst Hoffnung, aber auch große Ängste aus. Ein Besuch in zwei Orten an der geplanten Trasse im Kreis Gifhorn.

Unser Leser Georg König sagt:

Mich würde interessieren, wann der Bau der A39 nun endlich begonnen wird. Jahrelang wird über diese Autobahn schon geredet, aber es tut sich nichts.

Die Antwort recherchierte Andre Dolle

Ronald Mittelstädt sitzt in seinem kleinen Büro in der Gemeindeverwaltung Tappenbecks im Landkreis Gifhorn. An den Wänden hängen lauter Pläne für den Weiterbau der A 39. Im Trakt nebenan spielen Kinder. Die Gemeinde teilt sich das Gebäude mit der Krippe. Der resolute Bürgermeister spricht ruhig, seine Worte haben es aber in sich: „Die A 39 ist ein Desaster für uns“, sagt er. So sähen es so ziemlich alle in der Gemeinde.

An der dichtesten Stelle im kleinen Ort mit den 1400 Einwohnern wird die Autobahn 50 Meter an die nächste Wohnbebauung heranreichen. Die Lärmschutzwände sollen samt Wall bis zu zwölf Meter hoch werden. „Da sieht man die Sonne nicht mehr“, sagt Mittelstädt trocken.

Tappenbeck wird die A 39 besonders hart treffen. Das ist jetzt schon klar. Der Sportplatz des SV Tappenbeck wird der A 39 zum Opfer fallen. Komplett. Der Verein hat 400 Mitglieder. Wo jetzt die Tore auf einem der beiden Fußballplätze stehen, sollen in ein paar Jahren schon Autos und LKW fahren.

Auf den 3,2 Hektar gibt es neben den beiden Fußballplätzen auch Tennisplätze, eine Schießanlage und das Vereinsheim, das gleichzeitig als Dorfgemeinschaftshaus herhalten muss. Tappenbeck hat nur noch eine Gaststätte – ohne Saal. Der Sportplatz ist daher nicht nur ein Sportplatz. „Er ist auch das gesellschaftliche und kulturelle Zentrum unserer Gemeinde“, sagt Norbert Schubert, Mittelstädts Stellvertreter. Kerstin Hambrock vom Vorstand des SV Tappenbeck ergänzt: „Im Vereinsheim, das Platz für etwa 300 Personen bietet, trifft sich auch der Gesangsverein, hier findet das Sommerfest des Sportvereins statt, die Weihnachtsfeier der Senioren, Hochzeiten, Geburtstagsfeiern, Versammlungen – eigentlich alles.“

Ein neuer Sportplatz in derselben Größe samt Vereinsheim würde 2,8 Millionen Euro kosten. Das schätzt die Gemeinde. Die Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr beziehungsweise der Bund aber wollen nur 1,75 Millionen Euro zahlen. Die Gemeinde hat bereits 2011 ein Gelände gekauft. „Es bleibt aber eine Lücke von einer Million Euro“, sagt Mittelstädt. Er fordert: „Wir sind schon genug gebeutelt. Wir wollen mit dem Sportplatz da ja nicht weg. Wenigstens die Finanzierung für eine neue Anlage muss stehen. Da sehe ich den Bund und die Straßenbaubehörde ganz klar in der Verantwortung.“

Noch aber zeigt sich die Behörde unnachgiebig. Die Tappenbecker haben sich sogar schon Rat beim Deutschen Olympischen Sportbund in Rechtsfragen eingeholt. Bisher war auch das aber erfolglos.

Ein weiteres großes Ärgernis für die Tappenbecker ist die geplante Tank- und Rastanlage im Nachbarort Jembke. Die Jembker sind davon noch unmittelbarer betroffen. Der Rasthof soll etwa 150 Meter vom nächsten Wohnhaus entstehen. Dort, wo der Rasthof gebaut werden soll, steht derzeit ein alter Anhänger. Die selbstgemalten Schilder am Hänger machen deutlich: Die Jembker wollen den 18 bis 20 Hektar großen Rasthof nicht. Ein großer Parkplatz soll laut den Planungen entstehen, dazu eine Tankstelle, das Wirtschaftsgebäude, wahrscheinlich mit einem McDonald’s- oder einem Burger-King-Restaurant. Das übliche eben.

Karin Loock, Sprecherin der Bürgerinitiative „Natürlich Boldecker Land“ steht mitten auf dem Feld, wo der Rasthof entstehen soll. Hier war der Treffpunkt mit ihr und Jembkes Bürgermeisterin Susanne Ziegenbein vereinbart. Man kann besonders Loock den Unmut anmerken. Sie sagt: „Wir befürchten Kriminalität im Umfeld des Rasthofs, Müll, Lärm, Lichtbelästigung.“ Vor allem die vielen LKW sind ihr und auch Ziegenbein ein Dorn im Auge. Die Bürgermeisterin befürchtet, dass die Lebensqualität unter dem Rastplatz leiden wird. Loock geht noch einen Schritt weiter. Sie verurteilt nicht nur den Rastplatz, sondern den gesamten Weiterbau der Autobahn.

Laut Ziegenbein war vielen Jembkern anfänglich gar nicht bewusst, wie einschneidend der Weiterbau für sie sein wird. Einige hätten sich von der A 39 erhofft, dass der Ort vom Verkehr, der über die B 248 durch Jembke fließt, entlastet wird. Doch als die Pläne mit dem Rasthof die Runde machten, habe sich das geändert. „Die Stimmung ist gekippt“, sagt die Bürgermeisterin.

Loock ist sich sicher: „Besonders für die betroffenen Landwirte geht es ans Eingemachte.“ Sie glaubt: „Die Flurbereinigung dauert 15 bis 20 Jahre.“

Auch Joachim Zeidler, 1. Vorsitzender des Landvolks, Kreisverband Gifhorn-Wolfsburg, hat seine Bedenken. Er fordert: „Man muss die Grundstückseigentümer mitnehmen, die Härten, die für sie entstehen, abfedern.“ Die Landwirte würden zwar entschädigt, aber: „Die Entschädigungen orientieren sich am Bodenrichtwert. Die Marktpreise liegen aber höher.“ Landwirte seien doppelt betroffen. Für die A 39 müssen Ausgleichs- und Ersatzflächen her. „Das verknappt das Land noch mehr“, sagt Zeidler.

Er ist aber nicht kategorisch gegen den Weiterbau der Autobahn. Denn das Landvolk vertrete nicht nur die Landwirte, sondern den ländlichen Raum allgemein. Gerade der strukturschwache Norden des Landkreises Gifhorn würde deutlich belebt. „Wenn die jungen Leute wegziehen, dann war es das“, sagt Zeidler.

Große Impulse erhofft sich auch Gifhorns Landrat Andreas Ebel (CDU). „Mir ist natürlich bewusst, dass Befindlichkeiten berührt werden“, sagt der Landrat mit Blick zum Beispiel auf die Tappenbecker und Jembker. Die Entscheidung darüber, wo der Rasthof entstehen solle, liege aber nicht in der Kompetenz des Landkreises. Ebel sagt aber ganz unmissverständlich: „Wir erhoffen uns Prosperität.“ Die Autobahn als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung. Auch Ebel hat dabei ganz besonders den schwächeren Norden im Landkreis im Blick.

Viel zu lange habe man schon über die Autobahn diskutiert. Jetzt müssten endlich Taten folgen. Ebel sieht das also ähnlich wie unser Leser. Die Planungen schreiten aber voran. Auch das Geld steht zur Verfügung, seitdem der Lückenschluss im vergangenen August in den vordringlichen Bedarf beim Bundesverkehrswegeplan eingestuft wurde. Für den Verkehrswegeplan stehen dem Bund bis 2030 etwa 270 Milliarden Euro zur Verfügung.

Wie lange die A 39 schon Thema ist, verdeutlicht ein Datum: Bereits 1969 gründete sich der Nordland-Autobahn-Verein (NAV), ein Zusammenschluss von Industrie- und Handelskammern, Landkreisen, Firmen und Einzelpersonen aus dem norddeutschen Raum. Der NAV setzt sich neben der A 39 auch für die A 21 vehement ein.

Vor allem die IHK verweist gerne darauf, dass in unserer Region der Weiterbau der A 39 mehrheitlich begrüßt wird. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der IHK Lüneburg-Wolfsburg aus dem Jahr 2015 wollen 70 Prozent den Lückenschluss zwischen Lüneburg und Wolfsburg.

Die Argumente der Gegner kann Bernd Meier, Hauptgeschäftsführer der IHK Braunschweig, nicht nachvollziehen, wie er sagt. Es handele sich um eine typisch deutsche Debatte. „Bloß nicht vor meiner Haustür.“ So sei es auch mit Windparks und Industrieanlagen. „Von der wirtschaftlichen Entwicklung wollen dann aber wieder alle profitieren.“ Es gehe voran, Meier prognostiziert aber: „Wenn wir die A 39 in zehn Jahren durchgängig befahren können, wäre das ein Erfolg.“

Der IHK-Hauptgeschäftsführer kritisiert vor allem die Haltung der Grünen. Die wollen das Projekt noch verhindern, obwohl es Teil des Koalitionsvertrags der rot-grünen Landesregierung ist. Umweltminister Stefan Wenzel etwa wollte den Weiterbau noch vor wenigen Wochen im Bundesrat blockieren – und ist ausgerechnet am Veto der südlichen Bundesländer gescheitert. Wenzel hatte seinen Kabinettskollegen, Verkehrsminister Olaf Lies (SPD), im Vorfeld nicht eingeweiht.

Meier von der IHK Braunschweig sagt dazu: „Ich sehe nicht, wie die Grünen das Projekt noch stoppen wollen.“