Die Wolfspopulation in Niedersachsen wächst rasant. Beute ist reichlich vorhanden, doch die Toleranz der Menschen kommt an ihre Grenzen. Über Chancen und Risiken der Wiederansiedlung von Wölfen diskutieren Experten am Dienstag bei „Logo – Wissenschaft aus Braunschweig“.

Trifft es zu, dass Wölfe bei Cuxhaven 40 Pferde des Landgestüts Celle gerissen oder verletzt haben?

Das fragt unser Leser Rudi Böhm

Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann

Braunschweig. Sieben tote Pferde, mehr als 20 verletzt ­– das soll die Bilanz des jüngsten Wolfsangriffs sein. „Auf den weitläufigen Weiden, des Niedersächsischen Landgestüt Celle, zwischen Cuxhaven und Stade, hat ein Wolfsrudel 43 Jungpferde ,komplett’ aufgerieben!“, heißt es in einer WhatsApp-Nachricht, die am vergangenen Wochenende verbreitet wurde und die offenbar auch ihren Weg zu unserem Leser gefunden hat.

Das ist nicht nur erschreckend – sondern auch falsch. „Kenner des Landgestüts werden wissen, dass das Landgestüt Celle gar keine Weiden in dem angegebenen Kreis hat.“, schreibt das Landesgestüt auf seiner Internetseite. Die Geschichte sei erfunden. Demnach ist keine Pferdeherde ausgebrochen, alle Jungtiere seien wohlauf.

Auch Raoul Reding, Wolfsbeauftragter der Landesjägerschaft Niedersachsen, stellt klar: „Das ist eine Falschmeldung.“ Doch dass viele Menschen der Nachricht Glauben schenkten, inklusive der Behauptung des unbekannten Autors, die Landesregierung habe den Betroffenen untersagt, über den Fall zu berichten, zeigt, wie aufgeladen das Thema mittlerweile ist.

Über „Chancen und Risiken der Wiederansiedlung“ des Wolfes diskutieren am Dienstag Experten im Haus der Wissenschaft bei der Sendung „Logo – Wissenschaft aus Braunschweig“. Die Diskussionsrunde ist eine gemeinsame Veranstaltung unserer Zeitung mit dem Radiosender NDR Info. Reding wird mit auf dem Podium sitzen.

„Die Wolfspopulation wächst, bis sie ihre ökologische Tragfähigkeit erreicht hat“, erklärt der Wildbiologe. Die wird zum Beispiel durch das Angebot an Beutetieren begrenzt. In unserer Kulturlandschaft werde diese Grenze aber höchstwahrscheinlich nicht erreicht werden.

Denn angesichts des großen Wildbestands und der vielen Nutztiere hat die Wolfspopulation noch jede Menge Wachstumspotenzial. „Zuvor dürfte die ökonomische Tragfähigkeit erreicht werden ­– und die Grenze der sozialen Toleranz für den Wolf“, so Reding.

Die ökonomische Tragfähigkeit wird nicht durch die natürlichen Bedingungen bestimmt, sondern durch wirtschaftliche Konflikte ­– etwa mit Nutztierhaltern. 2017 konnten landesweit 403 Nutztierrisse eindeutig Wölfen zugeordnet werden, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr (178).

Dabei sei Wild die mit Abstand häufigste Beute von Wölfen, betont Reding. Doch ein eingezäuntes Schaf ist ein leichteres Opfer als ein Reh im Wald. „Wenn ein Wolf lernt, wie leicht Nutztiere zu erbeuten sind, wird dieses Verhalten verstärkt“, erklärt der Wolfsbeauftragte. Und ein derart angeeignetes Verhalten sei nur sehr schwer wieder auszutreiben.

Der Nabu bezeichnet die Rückkehr des Wolfes als einen der größten Erfolge des Naturschutzes. „Auch die extensive Nutztierhaltung dient dem Naturschutz“, gibt Reding zu bedenken. Durch die Zunahme der Wolfspopulation gerät diese Form der Freilandhaltung nun in Bedrängnis. „Es ist Aufgabe der Politik, diese unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bekommen.“ Wichtig sei vor allem die Aufklärung der Öffentlichkeit und eine sachliche, faktenbasierte Diskussion ­– und keine Falschmeldungen von gerissenen Pferden.

Auf rund 160 Tiere schätzt der Wildbiologe den aktuellen Bestand in Niedersachsen, verteilt auf 13 Rudel, vier Paare und einen territorialen Einzelgänger in insgesamt 18 nachgewiesenen Territorien. Allerdings beginne jetzt gerade die Reproduktionsphase.