Wolfsburg. Im VW-Umfeld regt sich Kritik: Der Vorstand sei zu passiv bei der Aufklärung des Abgas-Betrugs und beim Kulturwandel.

Gestern um 12.57 Uhr folgte genau das, womit spätestens seit dem späten Vorabend gerechnet werden musste. Volkswagen verkündete die Beurlaubung seines Chef-Lobbyisten Thomas Steg. Er leitete das Ressort Konzern-Außenbeziehungen und Nachhaltigkeit. Damit hat der Autobauer sehr schnell erste Konsequenzen aus dem Skandal um Tierversuche gezogen. Der gebürtige Braunschweiger war seit 2012 bei VW. Vorher arbeitete er als Politikberater und war in den Nullerjahren unter anderem stellvertretender Sprecher der Bundesregierung.

Bereits in einem am späten Montagabend im Internet veröffentlichten Interview mit der „Bild“-Zeitung hatte Steg die Verantwortung für den Skandal um Tierversuche in den USA übernommen. Seitdem am vergangenen Freitag bekannt wurde, dass Affen 2014 in einer Studie Diesel-Abgasen ausgesetzt waren, ist die öffentliche Empörung groß. Steg hatte nach eigenen Angaben seit 2013 Kenntnis von den Tests. Und darüber stolperte er nun.

Die Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT) hatte die Studie beim „Lovelace Respiratory Research Institute“ in Auftrag gegeben. Die EUGT war bis zur ihrer Auflösung im vergangenen Jahr ein Verein, dessen Mitglieder zuletzt VW, Daimler und BMW waren. Sie finanzierten die EUGT.

Der nun beurlaubte VW-Chef-Lobbyist Steg sagte der Zeitung, VW habe Einspruch gegen Versuche an Menschen eingelegt. Daher sei beschlossen worden, Affen einzusetzen. Diese Studie habe internationale wissenschaftliche Standards beachtet, darunter die Einbeziehung einer Ethik-Kommission in den USA.

Steg: „Aus heutiger Sicht hätte die Studie auch unter veränderten Bedingungen nicht stattfinden dürfen. Wenn ich jetzt noch mal die Situation im Sommer 2013 herbeiführen könnte, würde ich gern alles in Bewegung setzen, um so eine Studie zu verhindern.“

Er ärgere sich heute darüber, dass er nicht energisch eingegriffen habe, sagte Steg. „Was geschehen ist, hätte nicht passieren dürfen. Ich bedauere das sehr. Das hatte mit wissenschaftlicher Aufklärung nichts zu tun.“

Winterkorn soll von nichts gewusst haben

Nach seinen Angaben hatte der damalige VW-Konzernchef Martin Winterkorn keine Kenntnis von den Tierversuchen gehabt. Bei der Vorbereitung der Studie seien einige Techniker eingebunden gewesen. Steg: „Aber im Einzelnen kann ich das nicht sagen.“

Die Versuche an den Affen stehen in direktem Zusammenhang mit dem Diesel-Skandal. Das von Volkswagen für die Tests zur Verfügung gestellte Auto war mit der Manipulations-Software ausgestattet. Die Versuche hatten das Ziel zu beweisen, dass moderne Diesel sauber und damit aus gesundheitlicher Sicht unbedenklich sind. Sie sollten also das Geschäftsmodell Diesel-Antrieb rechtfertigen.

Kritik: Nach dem Betrug blieb der Kassensturz aus

Aus VW-Kreisen erreichte unsere Zeitung gestern in Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Abgas-Betrugs und der Umsetzung des von VW-Konzernchef Matthias Müller ausgerufenen Kulturwandels Kritik am VW-Vorstand. Für den Bereich Recht und Integrität ist sogar ein neues Vorstandsressort geschaffen worden. So sei zum Beispiel nach Bekanntwerden des Abgas-Betrugs vor zweieinhalb Jahren eine Art Kassensturz versäumt worden. Mit ihm hätten kritische Projekte wie etwa die Tierversuche identifiziert werden können – um entsprechend reagieren und so Schaden von Volkswagen abwenden zu können, hieß es.

Ein geeignetes Mittel hätte ein Schreiben des Vorstands an die Führungskräfte sein können, um sie aufzufordern, entsprechende Projekte zu benennen – etwa aus den Bereichen Medizin, Rüstung, Sponsoring und Umwelt. Solch ein Schreiben des Vorstands habe es aber nie gegeben. Der habe verlernt, Probleme mit einfachen Methoden anzupacken.

Ein VW-Sprecher verwies darauf, dass die Compliance seit dem Bekanntwerden des Abgas-Betrugs gestärkt worden sei. Gemeint sind betriebsinterne Strukturen, um Rechts- und Ethik-Verstöße aufzuklären und künftig zu vermeiden. Als Beispiele nannte er ein erweitertes Meldesystem, über das Mitarbeiter auf Unregelmäßigkeiten hinweisen können, und die Schulung von 8000 Führungskräften von verschiedenen VW-Standorten in Wolfsburg.