Braunschweig. Die Politiker halten sich nicht an die türkische Rechtslage, werden aber nicht belangt. Die OSZE ist kritisch.

Unsere Leserin Petra Schadebrodt aus Helmstedt fragt:

In der türkischen Verfassung soll es einen Artikel geben, der es Politikern verbietet, im Ausland Wahlkampf zu machen. Stimmt das?

Die Antwort recherchierte Nora Sonnabend

Türkische Politiker werben seit Wochen in Deutschland für eine Verfassungsreform, über die am 16. April abgestimmt wird. Dabei gibt es das Verbot, nach dem mehrere Leser unserer Zeitung fragen, tatsächlich. In Artikel 94/A des türkischen Wahlgesetzes heißt es: „Im Ausland und in Vertretungen im Ausland kann kein Wahlkampf betrieben werden.“ Professor Dirk Halm, stellvertretender Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen, bestätigt: „Das ist ein eindeutiges Verbot von Wahlwerbung im Ausland – auch für Referenten, nicht nur für Politiker.“

Die Regierungspartei AKP selbst führte das Gesetz 2008 ein: „Sie unterstellte der Oppositionspartei CHP, das Erdogan-Regime im Ausland negativ darzustellen und wollte dies verhindern“, erklärt Burak Çopur, Türkei-Experte an der Universität Duisburg-Essen, die ursprünglichen Beweggründe. Aktuell wichtiger erscheint Çopur aber ein Erlass vom 15. Februar 2017: „Dieser Beschluss des Hohen Wahlausschusses YSK weitet das Verbot von Wahlwerbung im Ausland ganz konkret auf das anstehende Referendum aus.“ Schließlich könnten Politiker sonst argumentieren, ihre derzeitigen Auftritte dienten nicht der Wahlwerbung im klassischen Sinne.

Dennoch: „Es gibt keine unabhängige Justiz in der Türkei, sie wird überwiegend von der AKP kontrolliert. Selbst wenn jemand Verstöße gegen das Verbot verfolgen würde – der zuständige Staatsanwalt würde wohl nicht lange auf seinem Posten bleiben“, sagt Çopur. Deshalb haben die Politiker keine Konsequenzen zu fürchten, wenn sie in Deutschland für eine Zustimmung zu Erdogans Verfassungsreform werben.

Der Vertreter der CHP in der Wahlkommission, Mehmet Hadimi Yakupoglu, wies gegenüber der Deutschen Presse-Agentur darauf hin, dass das Verbot sowohl für geschlossene Räume als auch für offene Plätze gelte. Es sei jedoch nicht geregelt, wer dessen Einhaltung kontrolliere und welche Strafen bei Verstößen angewendet würden, so Yakupoglu. „Deshalb besteht es nur als moralische Regel.“ Die Vorgabe werde „von allen Parteien“ missachtet.

Bereits nach der Parlamentswahl im vergangenen November kritisierten Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

(OSZE) den Wahlkampf mehrerer türkischer Parteien. Unter anderem sei ein Brief an türkische Wahlberechtigte im Ausland verschickt worden, heißt es im Bericht der OSZE. Der YSK habe sich aber bei einer Beschwerde darüber für nicht zuständig erklärt und auf die Staatsanwaltschaft verwiesen.

Verstöße gegen Artikel 94/A werden laut OSZE nach türkischem Gesetz nicht strafrechtlich verfolgt, sondern wie ein Verstoß gegen Verwaltungsvorschriften behandelt.