„Wir Journalisten stehen mit unseren Namen, unseren Gesichtern und einer erreichbaren Adresse für die Informationen ein, die wir verbreiten.“

Haben Sie schon mal versucht, einen Stuhl zu bauen? Vier Beine, Lehne, Sitz – kann eigentlich nicht so schwer sein. Eine Holzlatte vierteilen mit der Kreissäge; ganz schön scharf, das Teil. Das Weichholz splittert aber stark. Und wenn die Sitzfläche auf alle vier Füße kommt, wo wird dann die Lehne befestigt?

Wer das Tischlerhandwerk nicht gelernt hat, wird am Ende einen ziemlich wackligen und nicht besonders schönen Stuhl gebaut haben. Das gilt so auch für den Journalismus. In unserer Gegenwart wird Journalismus bisweilen mit einfachen Meinungsäußerungen gleichgesetzt und dabei vergessen, dass es sich um ein Handwerk handelt. Der Internationale Tag der Pressefreiheit am 3. Mai ist ein guter Anlass, daran zu erinnern. Pressefreiheit geht nämlich uns alle an; nicht grundlos ist sie schon im fünften Artikel des Grundgesetzes festgehalten.

Das journalistische Handwerk ist eben nicht bloß eine spitze Bemerkung in Sozialen Netzwerken. Es ist nicht bloß pauschaler Zweifel an politischem Handeln. Vor allem seit Ausbruch der Coronavirus-Pandemie aber haben wir das vermehrt erlebt: Unüberprüfte Online-Posts völlig unbekannter Akteure werden qualitativ genauso behandelt wie Recherchen renommierter Reporter, ansatzloses Infragestellen von Fakten genauso wie die mühsame Suche nach Wahrheiten. Als würde man den Tischler bitten Platz zu nehmen auf dem selbstgebauten, wackligen Stuhl und ihn dann noch fragen, warum er den nicht neben seine eigenen ins Schaufenster stellt.

Der elementarste Unterschied zwischen Post und Artikel ist: Wir Journalisten stehen mit unseren Namen, unseren Gesichtern und einer erreichbaren Adresse für die Informationen ein, die wir verbreiten. Machen wir dabei Fehler, können wir leicht dafür verantwortlich gemacht werden. Wer aber zieht jene zur Verantwortung, die unter Pseudonymen (Fehl-)Informationen im Internet verbreiten? Beides gleich zu behandeln widerspricht jeder Lebenserfahrung. Oder fühlen Sie sich nicht sicherer mit dem Stuhl vom Tischler aus der Werkstatt nebenan, als dem vom unbekannten Online-Verkäufer, der leider keine Belege über die Herkunft seiner Ware mehr hat?

Begreift man Journalismus als Informationshandwerk, dürfte auch der infame Vorwurf von „Einheitspresse“ nicht mehr so leicht über die Lippen gehen: Beauftragt man zwei Tischlermeister, einen Stuhl zu bauen, werden beide am Ende vier Beine, eine Sitzfläche und eine Lehne haben. Der eine überzieht ihn vielleicht mit Leder und der andere mit Stoff. Sichere Statik und ein bequemer Sitz sind aber Ergebnisse gelernten Handwerks. Im Journalismus heißt das: Die Auswahl der Nachrichten ähnelt sich bisweilen, weil sie klaren Kriterien folgt und ihre Bearbeitung einheitlichen Regeln. Es werden Informationen gesammelt und ausgewertet, bevor sie veröffentlicht werden – damit die Leserinnen und Leser eine zuverlässige Nachricht erwarten können wie einen stabilen Stuhl vom Tischler.

Der viele Informationsblödsinn unbekannter Herkunft im Internet bindet leider Kapazitäten, sich mit den mächtigen Feinden der Pressefreiheit auseinanderzusetzen. Zum Beispiel mit der nunmehr dritten US-amerikanischen Regierung, die die Auslieferung Julian Assanges fordert und vielleicht bald Erfolg mit ihrem Ersuchen haben könnte. Nur noch ein Veto der britischen Innenministerin könnte dem im Wege stehen. Dem Wikileaks-Gründer drohen 175 Jahre Haft in den USA, weil er mit seinen Enthüllungen über amerikanische Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak Informanten gefährdet habe. Wie wichtig die schonungslose öffentliche Dokumentation von Kriegsverbrechen ist, können wir spätestens seit den Massakern im Kiewer Vorort Butscha sehen. Das Schweigen der europäischen und deutschen Politik zum Fall Assange ist spätestens seit diesen Vorfällen in der Ukraine zynisch. Oder mit Elon Musk, dem reichsten Mann der Welt, der gerade den Kurznachrichtendienst Twitter kauft. Musk geriert sich dabei als Retter einer radikalen Meinungsfreiheit auf der Plattform, während er seit Jahren freie Berichterstattung über seine Unternehmen und Produkte behindert. Damit wird jemand für kritische Informationsinfrastruktur verantwortlich, der den Dienst nutzt um Aktienkurse zu seinen Gunsten zu beeinflussen.

Wer das alles nicht so wichtig findet, sollte sich fragen: Wer, wenn nicht der Journalismus kann die Mächtigen und ihre Macht überprüfen, seien es Politiker, Milliardäre oder Unternehmen? Das gilt insbesondere für den Lokaljournalismus in einer Zeit, in der es oft nur noch eine Zeitung im Ort gibt. Wer sonst kontrolliert die Kommunalpolitik? Das ist keineswegs trivial, geht es dabei doch nicht bloß um große Skandale bekannter Bürgermeister, derer es genug gibt, die ohne eine aufmerksame Lokalpresse nie ans Licht der Öffentlichkeit gelangt wären. Es geht um das alltägliche Klein-Klein im Verwaltungshandeln, ob alle dem Gemeinwohl Verpflichteten auch tatsächlich danach handeln.