„Leidtragende dieser Entwicklungen sind in jedem Fall wir alle, Bürger, Politiker und Medienschaffende.“

Die Propaganda der russischen Staatsmedien in der Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine führt es uns dieser Tage einmal mehr vor Augen: Die Pressefreiheit ist ein bedrohtes Gut, auch in Europa. Viel wurde daher in den vergangenen Woche darüber gesprochen, über die Bedeutung einer pluralistischen Medienlandschaft als Grundlage der Demokratie. So auch am heutigen Tag der Pressefreiheit, an dem nicht zuletzt Medienschaffende inhaltsschwere Essays und Kommentare darüber in die Öffentlichkeit tragen.

Als Redakteurinnen und Redakteure einer kleinen Lokalzeitung mitten im aufgeklärten Deutschland sind wir zum Glück nur wenig von solchen Problemen betroffen. Hier schreibt uns kein Staatsoberhaupt Themen, Formulierungen oder Meinungen vor, hier wird niemand für seine Berichterstattung bedroht, angegriffen oder gar inhaftiert oder getötet, so wie in vielen anderen Ländern der Welt. Hier ist die Welt noch in Ordnung. Oder?

Nicht ganz. Denn auch wir spüren die Anzeichen eines veränderten Umgangstones im Austausch mit Leserinnen und Lesern, in der Arbeit mit Politikerinnen und Politikern. So scheinen immer mehr Bürger ihr Recht auf Meinungsfreiheit mit einem Anspruch darauf zu verwechseln, diese als einzig gültige in den Medien dargestellt zu finden. Die Folge: Abbestellungen, weil die in einem Interview vom Interviewten zum Ausdruck gebrachte Meinung nicht der eigenen entspricht. Abbestellungen, weil man sich „über das Weltgeschehen besser bei Facebook informieren kann“.

Das Problem ist bekannt: Dank sozialer Medien, deren Algorithmen die individuell ausgespielten Inhalte stark nach den Interessen des jeweiligen Nutzers oder der jeweiligen Nutzerin filtern, ziehen sich mehr Menschen bewusst oder unbewusst in eine Filterblase zurück. Informationen, die nicht ins Bild passen, werden einfach abgeschaltet. Eine Entwicklung, der mitunter auch langjährige Demokratinnen und Demokraten auf den Leim gehen. Und noch schlimmer: Sogar Politikerinnen und Politiker machen sich die Blasen gelegentlich zunutze. Anstatt sich den womöglich ungemütlichen Fragen der örtlichen Journalisten zu stellen, gehen Pressemitteilungen über soziale Netzwerke raus. Journalistische Berichterstattung wird so zunehmend als überflüssig empfunden oder dargestellt. Vertreterinnen und Vertreter einer demokratischen Gesellschaft sägen damit am eigenen Ast.

Doch am Tag der Pressefreiheit ist wie immer auch eine ordentliche Portion Selbstkritik angebracht: Denn eine der größten Feinde der freien Presse ist aus meiner Sicht der Druck auf Medienunternehmen, gewinnbringend zu arbeiten. Natürlich möchten auch wir als Redakteurinnen und Redakteure und all diejenigen, die täglich ihren Beitrag zum erscheinen unserer gedruckten und digitalen Nachrichten beitragen, angemessen für unsere Arbeit entlohnt werden. Natürlich müssen Material- und Energiekosten gedeckt sein. Die Tendenz, im Kampf gegen die Konkurrenz immer mehr News mit immer weniger Ressourcenaufwand zu produzieren, ist allerdings tödlich für guten Journalismus. Auf der Strecke bleiben die zeitlichen und personellen Ressourcen für strategische Themenfindung, gründliche Recherche, für Kreativität, Qualität und Integrität. Damit sägen dann wir am eigenen Ast.

Leidtragende der beschriebenen Entwicklungen sind in jedem Fall wir alle, Bürgerinnen und Bürger wie Politikerinnen und Politiker und auch Medienschaffende. Wir alle brauchen uns gegenseitig. Die Gesellschaft wieder mehr Vertrauen in die Presse und mehr Bewusstsein für die Bedeutung kritischer Berichterstattung. Und wir in der Medienbranche wieder mehr Blick dafür, wie wir Ihnen diese bestmöglich liefern können.