„Einkochen ist zum Lifestyle-Trend avanciert, alles selbst gemacht, ätsch, und die Ketten bekommen den Stinkefinger.“

Es bedarf zuweilen eines gewissen Drucks, um „Neues“ zu wagen, sich dabei vielleicht auch auf Altes zu besinnen und fast Verschüttetes zu rekreieren. Und Druck, ja den gibt es angesichts explodierender Lebenshaltungskosten derzeit für alle reichlich.

Aktuell schonmal versucht, Einmachgläser zu ergattern? Kann doch nicht so schwer sein, stehen sie doch jedes Jahr als Ladenhüter in den Geschäften, vorbehalten wenigen Einmachgurus, Aussteigern und Senioren aus einem ganz anderen Zeitalter.

Und auf einmal gehen sie weg wie geschnitten Brot, teils leere Regale wo sonst die Gläser mit blumigen Deckeln und Weckgummi traurig auf Kundschaft warteten. Es wird wieder eingemacht. Retro in der Krise.

Nicht allein Oma und Opa, früher gerne belächelt für ihr archaisches Treiben, widmen sich plötzlich derart urväterlicher Vorratshaltung, nein auch das Jungvolk entdeckt wieder die Vorzüge des Konservierens, ein Trend, der sich tatsächlich schon länger andeutete. Einkochen, Einmachen und Einlegen stehen hoch im Kurs, Saure Gurken im Steintopf, Kraut à la Witwe Bolte, Pflaumenmus und Mirabellenmarmeladen erobern sich wieder ihren Platz in den Haushalten. Einkochen ist zum Lifestyle-Trend avanciert, alles selbst gemacht, ätsch, und die Ketten bekommen den Stinkefinger.

Zugegeben: Einmachen war schon immer mein Ding, von daher ist es für mich nichts Neues. Und doch beobachte ich Tendenzen, es auf die Spitze zu treiben, denn der wachsenden Aktionismus in der Gesellschaft, Omas Rezepte zum Leben zu erwecken und neu zu interpretieren motiviert zusätzlich, weil es viel Spaß macht und tolle Produkte entstehen. Das ist zudem nachhaltig und gesund und schont auch noch den Geldbeutel. Unsere Regale im Keller füllen sich so merklich. Ich hoffe, irgendwer ruft mich deshalb rechtzeitig zur Ordnung, wenn ich als Prepper vor dampfenden Töpfen stehe und mit geheimer Wonne Deckel auf heiße tomatenbefüllte Gläser drehe, und das vielleicht bei Kerzenschein. Sie verstehen schon: Strom sparen und so. Irgendwann hinterlasse ich den Kindern sonst massenhaft ältliches schwer zu entsorgendes Einmachgut und werde noch im Nachgang mit Schelte überzogen.

Aber im Ernst: Es ist ein schöner Nebeneffekt der zahlreichen Krisen, dass wir Lebensmittel grundsätzlich, und das, was die Natur uns schenkt, wieder stärker achten und zu schätzen lernen, dass wir diese natürliche Fülle abschöpfen. Über den Kostendruck erfahren wir jetzt am eigenen Leib, dass der Überfluss in den Regalen, wie wir ihn bisher als selbstverständlich hinnahmen, so selbstverständlich gar nicht ist und werden sorgsamer. Für manchen eine wahrhaft bewusstseinserweiternde Erfahrung ist es, mit einfachen Mittel selbst Vorsorge betreiben zu können ohne sich als Bio-Enthusiast für sein Tun rechtfertigen zu müssen.