Osterode. Der Armutsbericht des Paritätischen zeigt: In ganz Südniedersachsen gibt es überdurchschnittlich viele arme Menschen. Wie entwickeln sich die Zahlen?

Südniedersachsen mit seinen Landkreisen Göttingen, Goslar und Northeim gehört zu den Regionen mit der höchsten Armutsquote im Bundesvergleich. Lediglich in Bremen, dem Ruhrpott, in der sachsen-anhaltischen Altmark und in Hannover müssen anteilig noch mehr Menschen mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze auskommen. Das geht aus dem jährlichen Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hervor, der in dieser Woche mit Zahlen für das Jahr 2021 erschienen ist.

In unserer Region gelten demnach 20,6 Prozent der Menschen als arm, im niedersächsischen Schnitt gilt das für 17,9, in ganz Deutschland für 16,6 Prozent der Menschen. Der Bericht stützt sich auf die Armutsdefinition einer bald 40 Jahre alten EU-Konvention, nach der arm ist, wer von der Lebensweise ausgeschlossen ist, die in dem jeweiligen Land als Minimum annehmbar ist. Danach gelten jene Personen als arm, die mit ihrem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegen.

Neue Rekordmarke

Laut dem vorliegenden Armutsbericht hat die Armut in Deutschland im zweiten Pandemiejahr 2021 eine neue Rekordmarke erklommen: „Mit 16,6 Prozent mussten 2021 13,8 Millionen Menschen in Deutschland zu den Einkommensarmen gerechnet werden“, heißt es im Bericht. Noch nie sei auf der Datenbasis des Mikrozensus eine höhere Armutsquote für das Bundesgebiet gemessen worden.

„Armut ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das zu viele Menschen in Niedersachsen betrifft – vor allem Kinder“, sagt Kerstin Tack, Vorsitzende des Paritätischen in Niedersachsen, der Nachrichtenagentur dpa. „Was wir heute sehen, sind die Folgen der Corona-Pandemie. Der Ukraine-Krieg und der damit einhergehende rasante Preisanstieg bei Wohnenergie und Lebensmitteln kommen erst noch auf uns zu.“

Ungleiches Armutsrisiko

Dabei ist das Armutsrisiko in der Bevölkerung nach wie vor sehr ungleich verteilt – das soziodemografische Risikoprofil bleibe im Wesentlichen das der Vorjahre, so der Paritätische: „Nach wie vor zeigen Haushalte mit drei und mehr Kindern (31,6 Prozent) sowie Alleinerziehende (41,6 Prozent) die höchste Armutsbetroffenheit aller Haushaltstypen. Nicht Erwerbstätige und Personen mit niedrigem Bildungsniveau sind ebenfalls stark überproportional von Armut betroffen“, heißt es da.

Das Gleiche gelte für Menschen mit Migrationshintergrund (28,1 Prozent) und ohne deutsche Staatsangehörigkeit (35,3 Prozent). Die Armut unter Kindern und Jugendlichen habe mit 20,8 Prozent wie die Armut allgemein eine neue traurige Rekordmarke erreicht. Gleiches lässt sich für ältere Menschen (17,4 Prozent) sowie für Rentnerinnen und Rentner (17,9 Prozent) festhalten, darunter vor allem Frauen. Altersarmut ist überwiegend weiblich.

Immer mehr Arme

Die Armutsquote in Deutschland steigt fast stetig. Das trifft auch auf Niedersachsen zu: Galten 2005 noch 15,5 Prozent der Menschen hier im Land als arm, sind es seit 2019 stets mehr als 17 Prozent. Das Problem ist also schon lange bekannt, das zeigen auch die Zahlen für unsere Region im Armutsbericht von 2012. Mit mehr als 18 Prozent Armutsquote standen die südniedersächsischen Kreise schon damals nicht gut da, 2011 waren es dann schon über 20 Prozent. Der Blick in noch frühere Jahre verdeutlicht zudem, wie wenig sich an den Risikoprofilen geändert hat, wie lange also schon Zeit für politische Antworten ist: Schon 1989 gibt es im Armutsbericht Kapitel zu Armut unter Arbeitslosen, Ausländern und Flüchtlingen, bei kinderreichen Familien und alleinerziehenden Eltern sowie einen Exkurs mit dem Titel: „Die Armut ist weiblich“.

Das deckt sich mit den Ergebnissen für 2021. Frauen weisen demnach mit 17,5 Prozent eine deutlich höhere Armutsquote auf als Männer mit 15,7 Prozent. Besonders gravierend ist laut Bericht die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern bei älteren Personen ab 65 Jahren. Betrug die Armutsquote bei Frauen dieser Altersgruppe 19,3 Prozent, waren es bei den Männern unterdurchschnittliche 15,1 Prozent. Insbesondere die Altersarmut sei damit überwiegend weiblich.

Kritik an Hilfen in der Krise

Der aktuelle Armutsbericht trägt die Überschrift „Zwischen Pandemie und Inflation“. Der Paritätische benennt den „tiefen wirtschaftlichen Einbruch“ infolge der Pandemie auch als wesentlichen Grund für die weiter gestiegene Armutsquote in Deutschland. Werden die Pandemie-Hilfspakete der Bundesregierung noch „ambivalent“ genannt, gibt es für die aktuellen Entlastungsprogramme gegen die Inflation deutliche Kritik: „Viele Hilfen verlaufen einkommensproportional. Das heißt, der absolute Entlastungseffekt steigt mit dem Einkommen, während die Ärmsten wiederum mit nur unzureichenden, weil nicht bedarfsdeckenden, Einmalleistungen adressiert werden. Lediglich Kinder in der Grundsicherung erhalten eine geringe monatliche Aufstockung ihrer Leistung.“ So würden die Programme armutspolitisch mehr oder weniger verpuffen.

Schwierige Zeit für Sozialpolitik

In den gegenwärtigen Krisen hat Armuts- und Sozialpolitik nicht den leichtesten Stand – das zeigt auch unser neuester „Niedersachsen Check“: Zwar halten immer mehr Menschen die Inflation und Preissteigerungen für das größte Problem in Niedersachsen (34 Prozent im Juni nach 25 im April und 24 im März). Die soziale Komponente dieser Probleme dringt aber kaum durch. Nur fünf Prozent der wahlberechtigten Niedersachsen halten dann auch die soziale Ungerechtigkeit für das größte Problem im Land – nach jeweils vier Prozent in den Vormonaten.

Die sogenannte Armutsgefährdungsschwelle liegt nach amtlicher Statistik für das Jahr 2021 für Singles bei 1.148 Euro, für Alleinerziehende mit einem kleinen Kind bei 1.492 Euro und für einen Paarhaushalt mit zwei kleinen Kindern bei 2.410 Euro.