Göttingen. „Die Hauptstadt“ hat im Deutschen Theater Premiere gefeiert.

Kulturfreunde hatten jetzt die Möglichkeit, sich schick anzuziehen: Im Deutschen Theater feierte die Produktion „Die Haupt-stadt“ Premiere. Als „wichtigen Anlass“ beschrieb Intendant Erich Sidler die Premierenfeier in seinen einleitenden Worten. Und als Zeichen: Das Theater kehrt zurück – so viele Schwierigkeiten die Kulturszene in der Corona-Zeit auch zu meistern gehabt habe.

„Die Hauptstadt“ sollte ursprünglich im April erstmals am DT gezeigt werden. In der Corona-Zeit probten die Schauspieler das Stück mit Abständen und inszenierten es auch so. Der Regisseur Niklas Ritter inszenierte den gleichnamigen Roman des österreichischen Schriftstellers Robert Menasse.

Immer wieder Europa und Schwein

In dem Stück fielen die Wörter „Europa“ und „Schwein“ wieder und wieder. Ein beleuchteter Mond diente als Kulisse. Was Mond, Schwein und Europa miteinander zu tun haben, wurde dem Zuschauer dabei zu Beginn erst einmal nicht klar. Ein abstrakter Humor führte die lose für sich stehenden Begriffe zusammen – und zwar in Wiener Schmäh, die die Zuschauer zusätzlich zum Schmunzeln brachte.

Gitarren- und Schlagzeugmusik und ein Schwein, das wild herumzappelt, tanzt, Spagat macht und sich verbiegt. Mit dieser Szene beginnt das Stück. Dann stehen Martin Susman (Bastian Dulisch) und Fenia Xenopoulou (Judith Stößenreuter) auf der Bühne. „Da läuft ein Schwein“, sagt Susman. Es soll die Handlungsstränge zusammenführen, das erfährt das Publikum später.

In eine Abteilung mit mehr Prestige

Xenopoulou und Susman arbeiten in der Kulturabteilung der Europäischen Kommission. Xenopulou will jedoch in eine Abteilung mit mehr Prestige wechseln und plant eine Feier zur 70-Jahr-Feier der Kommission. Susman zeigt sich bei der Planung zunächst nicht sehr begeistert und schwafelt „Die Idee muss natürlich eine Idee sein, die die Gäste feiern lässt...“ Dann kommt sie ihm aber doch, die Idee, die ihn begeistert: Das Jubiläum soll in Auschwitz gefeiert werden. Die schreckliche Kollektiverfahrung stellt für ihn die wichtigste Gemeinsamkeit der europäischen Mitgliedsstaaten dar. Für Susman sollte Auschwitz sogar die europäische Hauptstadt sein, nicht Brüssel.

Parallel zu dem Treiben in der Kommission wird im Atlas-Hotel jemand ermordet. Kommissar Emil Brunfaut (Gerd Zink) soll den Fall lösen. Seine Ermittlungen ergeben, dass die NATO über ein Netz von Auftragsmördern verfügt, die vom Erzbistum Posen ausgebildet werden. Außerdem wird die Figur Alois Erhart (Felicitas Madl) vorgestellt, ein Forscher der Volkswirtschaft. Er versucht dabei zu helfen, die Krise der europäischen Union zu überwinden.

Der KZ-Überlebende David De Vriend (Gaby Dey) zieht wiederum in eine Seniorenresidenz, um seinen letzten Lebensabschnitt dort zu verbringen. Er kämpft gegen das Vergessen an – gegen sein eigenes und das der Gesellschaft. Der Mord im Atlas-Hotel und das entlaufende Schwein verbindet die unterschiedlichen Protagonisten.

Katharina Müller sorgt mit ihrer kräftigen Stimme für abwechslungsreiche Gesangseinlagen – sogar auf Polnisch singt sie. Wenn Susman mit seinem Bruder (Christoph Türkey) in österreichischem Dialekt plaudert, lacht das Publikum herzlich. Auch genügend andere Szenen lassen die Zuschauer schmunzeln. Trotzdem wird die Ernsthaftigkeit des Themas deutlich: Der Zusammenhalt in Europa ist fragil. Erst recht seit der Corona-Krise. Dem Regisseur ist es gelungen, den Bezug zu der derzeitigen Krise in die Produktion einzubauen: Er lässt Frauen mit einer Viruszelle als Kopf auf die Bühne treten. „,Die Hauptstadt´ bildet mit den Protagonisten zwar auch kulturelle Unterschiede ab. Im Kern will der Stoff uns aber die Gemeinsamkeiten aufzeigen, um ein solidarischen Europa zu schaffen“, so Jascha Fendel, Dramaturg am Theater.