Göttingen. Politikwissenschaftlerin Teresa Nentwig hat sich den Göttingen-Tatort angesehen – und war vom Realismus überrascht.

Der Mord an einer jungen Frau, die als Aushängeschild der rechtsgerichteten „Jungen Bewegung“ fungierte, bildete im neuen Göttingen-Tatort „National feminin“ den Grundstock für ein Netz aus Liebschaften, gegensätzlichen Ideologien und unverhohlenem Rassismus. Die Göttinger Politikwissenschaftlerin Dr. Teresa Nentwig hat sich die Folge angesehen – und war überrascht, wie realitätsnah die politische Szene abgebildet wurde. „Die ‚Junge Bewegung‘ nimmt sich eindeutig die existierende identitäre Bewegung zum Vorbild“, erläutert Nentwig. „Da gibt es eindeutige Parallelen.“ Zudem hätten beide Bewegungen den Buchstaben Lambda im Logo. Auch die Ziele der fiktionalen und der realen Gruppierungen würden „ziemlich genau passen“.

Besonders hellhörig wurde Nentwig, als mehrfach der „große Austausch“, genannt wurde. Dieser postuliert die Existenz eines geheimen Plans, die weiße Mehrheitsbevölkerung durch Einwanderer zu ersetzen. „Es ist der zentrale Begriff der Neuen Rechten“, insofern habe es gut zur Gesinnung der rechtsgerichteten Gruppe im Film gepasst. Auch in der Realität seien Ziele der rechten Gruppierungen, „die Grenzen vor Migranten schützen“ und „Stimmung gegen Ausländer zu machen“. „Das haben die Regisseure gut recherchiert“, lobt die Mitarbeiterin des Göttinger Amtes für Demokratieforschung. „Die Konfrontation zwischen Rechtsextremen und Antifa, die im Film vorkam, finden wir in Göttingen auch in der Realität sehr gut wieder. So findet man seit Frühjahr 2018 am Campus beziehungsweise in Campusnähe gehäuft Hakenkreuze und andere rechtsextreme Symbole, wogegen antifaschistische Gruppen Stellung beziehen.“ Lediglich einmal hätten es die Drehbuchautoren übertrieben: „Als Sven Ulbrich zu Kommissarin Anais Schmitz sagt: ‚Afrika braucht dich‘, das war für mich völlig überzeichnet.“

Die stärkste Szene des Tatorts war für Nentwig das nächtliche Gespräch zwischen Kommissarin Charlotte Lindholm und Richterin Sophie Behrens (Jenny Schily). „Da hat man gemerkt, dass hinter der kühlen Fassade von Lindholm Empathie für ihr Gegenüber steckt – obwohl beide völlig gegensätzliche Ansichten vertreten.“ Für Schilys schauspielerische Leistung findet die Göttingerin lobende Worte: „Sie hat richtig klasse gespielt.“

Auch, dass die meisten Szenen des neuen Tatorts tatsächlich in Göttingen gedreht wurden, freute Nentwig, allerdings sei dabei „doch so einiges durcheinander gekommen“. So wurde aus dem Hotel „Berliner Hof“ im Film der „Göttinger Hof“, zudem liest Lindholm zu Anfang in der Bibliothek für Kulturwissenschaften an der Goßlerstraße eine Akte – und am Ende des Films ist die Eingangshalle des selben Gebäudes plötzlich ein Krankenhaus. „Da musste ich kurz lachen“, allerdings seien das Dinge, die nur jemandem auffallen würden, der in Göttingen studiert oder lebt, meint Nentwig.

Zudem sei die Polizei „schon wieder umgezogen“, in der neuen Folge stellt das Max-Planck-Gymnasium das Dienstgebäude für die Beamten. „Wohl auch, damit vom Dach ein Riesenplakat heruntergelassen werden kann. Das geschieht nur aus dramaturgischen Gründen“, vermutet Nentwig. Die Plakataktion sei aber eine weitere Parallele zur identitären Bewegung. Auch diese setze auf spontane Aktionen.

Dass sich Kommissarin Lindholm in den Mann ihrer Kollegin „verknallt“ habe, „gehört eben dazu“, meint Nentwig. „Es ist meist in diesen Krimis so, dass auch persönliche Geschichten reingebracht werden.“ Zur Handlung habe die angedeutete Romanze aber nichts beigetragen.

„Ich fand den Tatort richtig spannend“, sagt die Politikwissenschaftlerin. So habe die Auflösung sie sehr überrascht: „Es wurden viele falsche Fährten gelegt.“ Nentwig hofft, dass das Ermittlerteam in Göttingen weitere Fälle zu lösen bekommt. „Ich würde sie mir jedenfalls ansehen.“

Darum geht es

Die Studentin Marie Jäger (Emilia Schüle) wird ermordet – und der Fall setzt die Kommissarinnen Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Anais Schmitz (Florence Kasumba) stark unter Druck. Denn die Tote war mit ihrem erfolgreichen Blog „National feminin“ ein Star der jungen, rechten Szene und Aushängeschild der sogenannten „Jungen Bewegung“.

Der Kreis der Tatverdächtigen wächst schnell ins Unübersichtliche: War der Täter ein Mitglied der „Jungen Bewegung“, ist der Mord politisch motiviert? Oder lautet das Motiv Eifersucht? Schließlich hatte Marie eine Affäre mit einer verheirateten Richterin, der ein großer Karrieresprung bevorsteht.

Und wer ist der geheimnisvolle Stalker, den die junge Frau bei der Polizei angezeigt hat? Zudem mauern alle Verdächtigen während ihrer Vernehmungen. Als während einer Verfolgung ein weiterer Tatverdächtiger angefahren wird, soll den Ermittlerinnen der Fall entzogen werden.

Der Film ist noch bis 26. Oktober online auf Das Erste abrufbar: www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/index.html