Göttingen. Das Städtische Museum Göttingen zeigt die Ausstellung „Unter Verdacht“ zur NS-Provenienzforschung.

Das Städtische Museum Göttingen beschäftigt sich mit der eigenen Geschichte: Die Ausstellung „Unter Verdacht“ zur NS-Provenienzforschung, die jüngst eröffnet wurde, zieht eine Zwischenbilanz der Erforschung der eigenen Museumsgeschichte im Nationalsozialismus. Bei der Provenienzforschung geht es um die Herkunft von Kulturgütern und Kunstwerken.

Welche Schuld hat das Museum in der Zeit des Dritten Reichs auf sich geladen? Im Mittelpunkt der Schau steht die Klärung von Eigentumsverhältnissen bei Objekten, die der jüdischen Bevölkerung unrechtmäßig entzogen wurden. „Wir reflektieren Museumsgeschichte und stellen Provenienzen dar“, sagt Andrea Rechenberg, stellvertretende Museumsleiterin.

Die Ausstellung im Erdgeschoss des Städtischen Museums zeigt 38 Objekte, von denen auf 33 das Etikett „Unter Verdacht“ passt, und beleuchtet das Provenienz-Thema in drei Etappen: Im ersten Raum geht es am Beispiel von Göttinger Geschehnissen um die grundsätzliche Klärung der Frage „Was ist Provenienzforschung?“. Der zweite Teil behandelt im Foyer den historischen Kontext, die dritte Etappe im eigentlichen Ausstellungsraum zeigt Objekte, deren Eigentumsstatus unklar ist.

Der stellvertretenden Museumsleiterin Rechenberg und den Kuratorinnen Dr. Saskia Johann und Ruth Baumgarten ist wichtig, dass die Schau eine Zwischenbilanz des Sonderforschungsberichts darstellt, der seit 2017 erstellt wird, im kommenden Jahr endet und mit einem Volumen von 200.000 Euro gefördert wird. 6000 Objekte werden in diesem Zusammenhang untersucht, und nicht umsonst sieht der Raum, in dem die Exponate zu sehen sind, aus wie ein Depot.

Das Museum klassifiziert seine Sammlung in den Ampel-Farben Grün, Gelb und Rot. Von den 6.000 Objekten stehen 60 Prozent auf Grün, sind also unverdächtig. Bei 40 Prozent gibt es abgestufte Verdachtsgrade – nicht unabsichtlich sind die „Auszüge“, herausziehbare Informationstafeln, die neben den Exponaten angebracht sind, in Orange gehalten. Da ist zum Beispiel eine Fürstenberg-Vase, die aus Hannover gekauft worden ist: Der Händler war bekannt dafür, mit arisierten Gütern gehandelt zu haben, die Vase steht somit unter Verdacht. Eine Familie Kahn betrieb in der Groner Straße ein Antiquitätengeschäft – bei einer Finanzversteigerung, die in die von den Nazis geforderte Judenvermögensabgabe in Höhe von einer Milliarde Reichsmark einfloss, kam das Museum 1939 in den Besitz von Münzen.

„Viele verdächtige Objekte sind in den Jahren 1941/42 reingekommen“, erläutert Ruth Baumgarten. Allgemein könne gesagt werden, dass es mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft „einen erheblichen Sammlungszuwachs, auch von der Qualität her“, gegeben habe.

Ein anderes Beispiel sind die sogenannten Hirsch-Objekte, Bilder des jüdischen Malers Hermann Hirsch – über das Thema stellte das Städtische Museum 2009 aus. „Es sind 58 Objekte, die für zehn Reichsmark in den Besitz des Museums übergingen. Danach hat man guten Gewissens gesagt: Wir haben es gekauft“, unterstreicht Rechenberg. Kein Einzelfall, eher der Regelfall.

Die Quellenlage ist, zumindest was die Anzeigenspalten der Tagespresse betrifft, für die Zeit des Nationalsozialismus durchaus ergiebig. „Alle paar Tage wurden Versteigerungen und Haushaltsauflösungen angezeigt“, berichtet Saskia Johann. Es handelte sich in der Regel um jüdische Besitztümer. Ein Sonderbereich der Schau behandelt verbotene Studentenverbindungen und Freimaurerlogen, die ebenfalls Hab und Gut verloren.

Die Betrachtung der eigenen Verstrickung in die Enteignungen hebt sich seitens des Göttinger Museums insofern von anderen Ausstellungen ab, als bei „Unter Verdacht“ viele Alltagsgegenstände untersucht werden, die nicht Bestandteil von Kunstsammlungen waren. Viele davon wurden als zeigenswerte Beispiele für die deutsche Kultur beispielsweise in Heimatmuseen ausgestellt. „Es ist nicht große Kunst, sondern ein struktureller Teil der Gesellschaft“, erläutert Rechenberg. Gegenstände sind gemeint, die heute immer noch im Umlauf und vielleicht auf dem Flohmarkt oder bei E-Bay zu finden sind. Die Ausstellung will auch sensibilisieren: Ist die Vitrine der Oma wirklich die Vitrine der Oma?

Der historische Kontext für den Sammel-Boom des Städtischen Museums in der Nazi-Zeit wird im Foyer behandelt. Wie haben andere Museen agiert? Gab es einen Sammlungsauftrag durch die Stadt? Diese Frage könne noch nicht erschöpfend beantwortet werden, berichtet Saskia Johann mit Verweis auf die Laufzeit des Sonderforschungsprojekts bis Mitte 2020. Mindestens einen Beleg jedoch gibt es dafür, dass die Stadt das Museum auf Haushaltsauflösungen oder Versteigerungen von jüdischem Besitz aufmerksam gemacht hat.

Eine unrühmliche Rolle spielte in dieser Hinsicht der damalige Museumsleiter Otto Fahlbusch, der maßgeblich an der sprunghaften Vermehrung der Sammlungen im Dritten Reich beteiligt gewesen sei. „Fahlbusch hat sich nicht darum geschert, woher die Sachen kamen. Hauptsache es war günstig“, sagt die stellvertretende Museumsleiterin Rechenberg. Das betrifft auch Einrichtungsgegenstände der bekannten jüdischen Familie Hahn aus Göttingen. Generell wurden die Objekte wie selbstverständlich ins Museumsbuch eingetragen, in einer Dauerausstellung wurden sie noch bis 2008 als Beispiel bürgerlichen Wohnens präsentiert. Die Aufstellung von Sofa, Stühlen und Tisch entsprach dabei sogar exakt der Anordnung in der Hahn’schen Wohnung in der Merkelstraße vor der Deportation. Der Fall um die Hahn-Objekte ist mittlerweile abgeschlossen, 2014 sind die Erben restituiert worden.

Im ersten Raum mit Hinweistafeln zur Provenienzforschung im Allgemeinen und im eigenen Haus wird im „Auszüge“-Ordner das Familienschicksal erörtert. Ergänzend dazu liegt das aufgeklappte Eingangsbuch aus, „ein wichtiges Mittel für die Provenienzforschung“, so Saskia Johann.

Der spektakuläre Fall des Gurlitt-Sohnes, dessen 1.500 Werke umfassende Kunstsammlung mehr als nur „unter Verdacht“ stand, habe sicherlich zu einem Aufschwung der Provenienzforschung geführt, urteilt Ruth Baumgarten. „Es gibt seitdem mehr Öffentlichkeit, die Menschen wissen mehr über die Thematik.“ Auch seien mehr Drittmittelgeber bereit, sich für das Anliegen zu engagieren. „Wir vermitteln jungen Menschen eine gewisse Sensibilität für Objekte im Museum und bringen ihnen ein Stück Stadtgeschichte näher“, sagt Saskia Johann über die Ziele der Ausstellung, die vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert wird. Das Museum, so die Erkenntnis, profitierte von der verbrecherischen Politik der Nationalsozialisten, indem es sich an der Ausbeutung der Juden und anderen Opfergruppen beteiligte – sich mitten in Deutschland den Besitz der Anderen aneignete.

Die Sonderausstellung „Unter Verdacht –NS-Provenienzforschung im Städtischen Museum Göttingen“ läuft im Städtischen Museum, Ritterplan 7-8, noch bis zum 8. Dezember. Öffnungszeiten sind dienstags bis freitags von 10 bis 17 Uhr und samstags und sonntags von 11 bis 17 Uhr.