Göttingen . Der Beststellerautor gastierte im Deutschen Theater Göttingen und ließ ein begeistertes Publikum zurück.

Wladimir Kaminer hat im Deutschen Theater in Göttingen aus seiner neuen Geschichtensammlung „Die Kreuzfahrer“ gelesen. Bei dem Gastspiel stellte der Bestsellerautor seine Geschichten von hoher See vor und erzählte Anekdoten aus seinem Leben.

Vor gut zwei Jahren habe er das erste Mal eine Kreuzfahrt gemacht, sagte Kaminer. Etwa zur gleichen Zeit habe er auch seinen letzten Auftritt in Göttingen gehabt. „Und wo waren wir da stehengeblieben?“, fragte er das lachende Publikum im ausverkauften Großen Haus. Für beide Seiten schien der Abend Wiedersehensfreude mit sich zu bringen.

Im Jahr 2016 sei er zum ersten Mal eingeladen worden, für zweieinhalb Wochen auf einem „Aida“-Kreuzfahrtschiff zu lesen. „Eine Lesung auf dem Schiff ist mit einer Lesung auf dem Festland nicht vergleichbar. Hier in Göttingen im Deutschen Theater... Sie gehen danach nach Hause“, sagte Kaminer, der in Berlin und Brandenburg lebt. Die Gäste brachen in Gelächter aus. „Auf einem Schiff können Sie das gar nicht“, meinte er nüchtern. „Es war eine vierzehntägige Lesung.“

Den ganzen Tag an der Bar

Bei schlechtem Wetter wollten die Urlauber nicht von Bord gehen, sondern saßen den ganzen Tag an der Bar, erzählte Kaminer mit seinem russischen Akzent. Sie besprachen den schlechten Zustand der Welt, mit dem Schluss, dass sie dagegen eh nichts tun können – und stießen lieber an.

„Diese Mischung aus Weltuntergangsstimmung und Partystimmung hat für mich sehr genau den Nerv der Zeit getroffen“, erläuterte der Schriftsteller seine Geschichten. „Ich vergleiche unser Schiff mit einer Arche Noah, die keine Hoffnung mehr hat und auch keine Lust, weiter nach einem gottgesegneten Festland zu suchen.“

Ein Vergleich, der nach seinem Buch eine Fortsetzung bekommen habe: Vor einiger Zeit habe ihm ein Journalist geschrieben, dass in Warnemünde ein Schiff für 10.000 Passagiere gebaut werde. Zeitgleich sei die Meldung gekommen, dass Ueckermünde durch den Klimawandel bald unter Wasser stehen wird. „Und Ueckermünde, schrieb er mir, hat 10.000 Einwohner“, berichtete Kaminer dem prustenden Publikum, das ahnte, worauf er hinaus wollte. „Es wäre ja nur logisch, wenn diese 10.000 aufs Schiff steigen, es Ueckermünde nennen und losfahren in die Karibik, Stößchen machen.“ Der Schriftsteller russisch-jüdischer Herkunft erzählte von seinen Begegnungen auf den Kanaren: von den „Kindern des Südens“, die modische Badeanzüge trugen, und den „Kindern des Nordens“, die wie geschmolzene Eiscreme im Sand aussahen. „Die Russen trugen Ketten“, sagte er. Sie hätten bestimmt darunter gelitten, denn die Ketten seien in der Sonne schwer und heiß gewesen. Doch die Russen hätten durchgehalten. „Bereits Marx und Engels hatten in ihrem Kommunistischen Manifest die Proletarier angespornt, sie hätten nichts zu verlieren – außer ihren Ketten“, scherzte Kaminer.

Es war diese um die Ecke gedachte Komik, die das Publikum zum Kichern brachte. Kaminer schien seine Anekdoten zu nutzen, um auf subtile Weise aktuelle Themen wie den Klimawandel, die Weltmächte oder die Asyldebatte zu verarbeiten. In seiner etwas planlos wirkenden Art schweifte er ständig ab, erzählte von der Prüfungskommission seines Schrebergartens, der Volkshochschulklasse seiner Mutter und den Geflüchteten in seinem Dorf. Immer wieder kramte er in seinen Zetteln und zauberte neue Geschichten hervor.

„Er hat einen richtig mitgenommen in seine Welt“, sagte eine Besucherin, die Kaminer zum ersten Mal auf der Bühne sah. „Es war sehr authentisch.“ Für einen anderen Gast war es der „sehr eigene Humor“ des Autors, der ihm gefiel: „Es kommt auf der Bühne wirklich genauso rüber wie in seinen Büchern.“ Eine andere Besucherin fand den Abend lustig, aber auch tiefgründig. „Er ist ein guter Beobachter von menschlichen Fehlern“, ergänzte ihre Freundin.

Als der Autor den Abend beendete, war das Publikum nicht bereit, ihn gehen zu lassen. Er müsse öfter nach Göttingen kommen, sagte er, dort fühle er sich verstanden. Und: „Ich bin verliebt in dieses Buch über Kreuzfahrer“, meinte Kaminer – das hat er mit seinem Publikum gemeinsam.