Göttingen. Bestseller-Autor Frank Schätzing begeistert sein Publikum bei seiner Lesung in der Göttinger Stadthalle im Rahmen des Literaturherbstes.

Viel mehr Bombast in einer Lesung geht kaum: Frank Schätzing, Bestseller-Autor und einer der prominentesten Schriftsteller der Republik, war in der ausverkauften Stadthalle zu Gast.

Lesung ist eigentlich nicht das richtige Wort für die Show, die der 61-jährige Kölner auf die Bühne gebracht hat. Musik, Multimedia, sparsame Beleuchtung und ein charismatischer Autor, der nicht nur mit seiner Stimme, sondern auch mit seiner neuen Geschichte das Publikum in den Bann zog. KI, künstliche Intelligenz, ist es, die in seinem neuen Erfolgsroman „Die Tyrannei des Schmetterlings” im Zentrum steht. Diese Intelligenz namens „Ares” steckt in einem hübschen Frauenkörper. Nora Waldstätten, die die KI verkörpert, ist auf einem großen Bildschirm über der Stadthallen-Bühne zu sehen. Gitarrist Markus Reuter sorgt für eine sphärische und digital-chaotisch arrangierte Soundwand, indem er mit seinem Rechner und nicht berechenbaren Loops arbeitet.

Das Zwiegespräch zwischen künstlicher und realer Intelligenz (Schätzing) dreht sich um die großen Fragen der Wissenschaft und des Lebens: Was unterscheidet hochkomplexe künstliche Intelligenz von der des Menschen? Was ist Existenz, und wann kann man von einem Bewusstsein sprechen. Denn: „Ich bin“, so Schätzing, sei eine zentrale Aussage des Lebens. Was aber, wenn die künstliche Intelligenz, die der Mensch erschaffen und universelles Wissen hat erlernen lassen, dem Menschen überlegen ist? „Eine Welt ohne Tod und Krankheit”, so Ares, sei doch wunderbar. Dafür müsste aber vermutlich die Menschheit vernichtet werden. Wortgewaltige Gedanken sind es, die Ares und Schätzing auf der Bühne austauschen.

Zwischendurch gönnt der Autor seinen Gästen aber auch einen Ausflug in das „Valley“, die Region Kaliforniens, in der sein neues Werk spielt. Eine der am wenigsten dicht besiedelten Regionen der USA, nur 200 Kilometer vom legendären Silicon Valley entfernt.

Dort spielt seine Geschichte, dort hat Schätzing 2016 recherchiert – und Bilder mitgebracht. Ruth und Luther ermitteln in einem Mord, finden eine Leiche im abgelegenen Wald. Im Buch führt ihre Arbeit sie zu einer verborgenen Forschungsanlage. Als Luther erkennt, dass sein Naturidyll längst Testgelände mysteriöser Experimente ist, gerät er in höchste Gefahr. „Etwas entsteht hier, das die Menschheit in ein neues, goldenes Zeitalter zu führen verspricht – oder geradewegs in ihren Untergang”, so die Inhaltsangabe. Schätzing hat bereits in seinem Werk „Der Schwarm“ gezeigt, dass er es wie kaum ein anderer versteht, mit naturwissenschaftlichem Wissen und dennoch verständlichen, wortgewandten und fesselnden Formulierungen seine Leser in ein Thema zu ziehen.

„In der Schlucht hängt ein blutiger Engel“: Mit diesem Satz begann der Schriftsteller seine Lesung. Mit weißen Schuhen, dunklen Jeans, dunklem Hemd und weißen Haares steht er in dem Scheinwerferkegel auf der Bühne in der abgedunkelten Stadthalle. Ein wenig Prediger, ein wenig Faust, fast immer großes Hollywood-Drama. Schätzing fordert sein Publikum mit dem großen Thema und unterhält es mit Spannung, Witz und Charisma. Wenn er Passagen aus „Die Tyrannei der Schmetterlinge“ liest, hat man quasi schon die Verfilmung vor Augen.

Luther flüchtet über eine Brücke, ohne Geländer, ohne erkennbaren Anfang, ohne zunächst sichtbares Ende, aber mit einem Ziel: „Nichts wie raus hier“ ist Schätzings letzter Satz der Lesung. Dann geht das Licht an.