Osterode. Osterbotschaft von Landesbischof Ralf Meister

„Ich habe noch Blumen
aus der Wildnis im Arme,
ich habe noch Tau in meinen Haaren
aus Tälern der Menschenfrühe.“

Diese Bruchstücke frommer Poesie von Gertrud von le Fort (1876-1971) berühren Karfreitag und Ostern auf behutsame Weise. Sie lassen an die Menschen denken, die als Zeuginnen und Zeugen der Kreuzigung unter dem Kreuz geblieben sind. Als alle fliehen, bleiben sie. Durch den Schleier ihrer Tränen sehen sie nur verschwommen. Es ist, als trügen sie den Karfreitag wie ein Dornengebinde im Arm. Lange ist da keine Spur von ausgelassenem Osterjubel. Tief hat die Kreuzigung Spuren ins Leben gegraben. Wie wandeln sich die Dornengebinde in den Armen in Blumen neuen Lebens? Wann befreit sich der Lobpreis aus dem Schweigen? Wann leuchtet neues Leben im Licht des österlichen Morgens? Wann ändert sich etwas in unserer Gesellschaft, die zutiefst unsicher ist über ihren Weg?

Die Grundlagen, auf denen
unser Miteinander ruht, werden zweifelhaft: Die unbedingte Achtung des Fremden, die bedingungslos gewährte Barmherzigkeit, das Geschenk der Gnade, die gemeinsamen Tränen über alle Gewalt, die Versöhnung mit Tätern. Viele große Bewegungen, die aus unserem Glauben prägend sind, drohen verloren zu gehen. Wir kennen die Argumente, wir kennen die Scheu und die Sorge vor der Religion. Jeder religiöse Satz, egal von wem gesprochen, wird schnell als ein unlauterer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte empfunden. Ja, richtig: Wir wissen um die Schuld, die im Namen des Glaubens entstanden ist. Und dennoch: Ist diese Welt ohne Religion nur ein wenig humaner geworden, menschenfreundlicher?

Ostern kommt und zeigt das menschenfreundliche Gesicht der Religion inmitten allen Leidens, aller Ängste, aller Trauer. Nicht mit einer mächtigen Proklamation. Auferstehung ist eine Kraft, die aus der Kreuzigung kommt und das Leben behutsam und mit Hoffnung durchdringt. Sie lässt uns zurückkehren aus Tränen, Schweigen und Ratlosigkeit. „Christ ist erstanden!“ – Dieser Ruf trägt nicht, wo er als steile Behauptung daherkommt. Es gehört eine tiefe Erfahrung zu ihm. Erst dann sprießen Blumen aus Dornen. Ein Lobpreis entwindet sich dem Schweigen und eine Hoffnung sprengt die Furcht. Deshalb sprechen wir von der Hoffnung, die uns erfüllt, durch alle Kreuzigungserfahrung hindurch. „Christ ist erstanden!“ In ihm dürfen wir Hoffnung für die Welt und uns Menschen haben.

Ralf Meister, Landesbischof