Göttingen. Eine Farce von Ray Cooney: Antje Thoms und Matthias Heid ist mit dieser Inszenierung mehr als eine Übersetzung ins Niedersächsische gelungen.

Das Deutsche Theater (DT) in Göttingen ist außer Rand und Band: Noch nie wurden auf seiner Bühne so viele Türen geknallt. Doch die Komödie „Außer Kontrolle“ ist mehr als ein Spaß für alle. Die Inszenierung von Antje Thoms kann man auch als feine Analyse verstehen. Muss man aber nicht. Auf jeden Fall ist sie temporeich und vielschichtig.

Kurze Inhaltsangabe

Richard Kleiber ist ein Minister der niedersächsischen Landesregierung. Doch anstatt sich an diesem Abend der mühseligen Parlamentsarbeit zu widmen, trifft er sich mit Johann Schulze zum homoerotischen Abenteuer im Maritim am Flughafen Hannover. Kleiber ist Stammgast in der Suite 548 und wird als VIP vom Hotelmanager intensiv betreut.

Doch zum Vollzug des Geschlechtsaktes kommt es nicht. Es stören eine Leiche, ein eifersüchtiger Ehemann, ein trotteliger Kellner, eine Pflegekraft mit Kontrollzwang und noch so einige Mitmenschen wie Kleibers Ehefrau. Zum überraschenden Schluss gibt es die Erkenntnis, dass manchmal diejenigen die Kontrollen haben, von denen man es am wenigsten geglaubt hätte. Es bleibt eine Lektion in Sachen Moral, über die einfach mal nur kräftig lachen darf.

Rezension

Es herrscht Plüsch-Alarm im DT. Die Vorbühne ist abgebaut und auf dem zusätzlichen Raum wartet Jan-S. Beyer als Hotelmusiker auf das Publikum. Im Hintergrund dudelt zart Easy Listening. Mit einem Sakko in Bordeaux und einer monströsen Heimorgel im Hintergrund wirkt Beyer, als käme er gerade vom Franz-Lambert-Nachfolge-Seminar. Von links betritt Paul Wenning, als Zimmerkellner Mischewald, ebenfalls in Bordeaux gekleidet, den Zuschauerraum. Die Parallelen zum James aus dem „Dinner for One“ sind nicht zu übersehen. Die Litanei über die Vorzüge des 2013er Chateau de Dingenskirchen de Grand Vin wird zu seinem same procedure. Aber es ist herrlich, wie er hier die Plattitüden und Versatzstücke der Sommeliers, Connaisseurs und anderer Blender aneinanderreiht. Er füllt das Edelgetränk in eine Karaffe um und ersetzt ihn durch TetraPak-Wein. Der Reigen der Betrügereien ist eröffnet und die Karaffe spielt zum Schluss noch eine Nebenrolle beim Siegermahl. Nichts von wegen Humor auf dem Niveau eines Vorschlaghammers.

Die Farce ist bis ins Detail durchdacht und durchkonstruiert. Der Vorhang öffnet sich und gibt den Blick frei auf die Suite 548 des Maritim Airport. Dem Original nachgebaut geizt es nicht mit dem hölzernen Charme der Provinz. Die passende Bühne für Landespolitiker mit Ambitionen und jeder Menge Bauernschläue. Es wird keinen Umbau geben. Alles was passiert, passiert genau in dieser Suite. Das verdichtet das Geschehen und gibt ihm eine klaustrophobische Note. Kein Entrinnen möglich.

Auf jeden Fall ist Christoph Türkay in der Rolle des Richard Kleiber vom ersten Augenblick die beherrschende Figur auf dieser Bühne. Breite Brust, knappe Sätze, bestimmter Ton und souveräne Gestik zeigen, dass er alles unter Kontrolle hat. In den nächsten zwei Stunden wird ihm diese Gewissheit abhanden kommen, Stück für Stück. Auch diesen Machtverfall veranschaulicht Christoph Türkay, indem ihm Stück für Stück die Gesichtszüge entgleisen, bis sein Gesicht am Ende nur noch einer Maske gleicht. Aber bis dahin versucht er die Figuren auf seinem eigenen Schachbrett hin und her zu schieben. Menschen sind ihm so egal, dass er sich noch nicht einmal deren Herkunftsort oder deren Namen merken will. Aber die unterkühlte Sprechweise macht deutlich, dass er sich überlegen fühlt.

Diesen Tonfall verlässt Türkay den ganzen Abend nicht. Eine diese Figuren ist Johann Schulze, der homosexuelle Sekretär des Oppositionsführers. Dass Regisseurin Antje Thoms und Dramaturg Matthias Heid aus der Hetero-Affäre einen schwulen Schwank gemacht haben, ist einfach ein zeitgeistiges Attribut. Dieses Verhältnis wird nicht weiter ausgearbeitet und bringt damit keine zusätzliche Brisanz. Es bleibt beim Kern: Hier tut jemand etwas, was er besser hätte sein lassen, und dabei wird er empfindlich gestört. Um sein Tun zu vertuschen, tritt er eine Lawine an Lügen los, verstrickt sich darin und begibt sich immer stärker in Abhängigkeiten. Kontrolle und Befreiungsschlag gehen anders.

Daniel Mühe hat die Schachfigur Johann Schulze mit jeder Menge Girlie-Appeal angelegt. Ständig mit seinem Reisetäschchen unterwegs, ist er die männliche Version eines IT-Girls. Immer mit gesenktem Kopf und eingezogenen Schultern. Immer bedacht, sich klein zu machen. Da wundert es nicht, dass er ständig hin und her und ins Schlafzimmer abgeschoben wird. Celle und nicht Uelzen ist sein „Same Procedure“, das das Publikum bald schon mitspricht.

Das Vorspiel wird gestört, es folgt der zweite Auftritt von Paul Wenning als Kellner. Er bringt den 2013er Chateau de Dingenskirchen de Grand Vin. Man ahnt bereits, dass er dies im Laufe das Abends noch häufiger tun wird – und diese Erwartung wird erfüllt. Kleiber erkauft sich sein Wohlwollen und ahnt nicht, dass dies der erste Schritt in die Abwärtsspirale ist. Er begibt sich in die Abhängigkeit und zum Schluss ist das Verhältnis gekippt. Der Kellner Mischwald kontrolliert auf seine subtile Weise das Geschehen und erinnert ein wenig an Riff Raff aus der Rocky Horror Picture Show. Auftritt Leiche, das Vorspiel ist endgültig vorbei.

Lutz Gebhardt hat wohl den schwersten Job an diesem Abend. Er muss einen Toten spielen und doch lebendig bleiben. Das macht er mit stoischer Ruhe. Er wird herumgeschubst und gefahren. Das erinnert ein wenig an die 1980er Jahr- Komödie „Immer Ärger mit Harry“, wirkt in der Abstrusität aber immer noch. Nach der Auferstehung mimt Gebhardt wunderbar den Gedächtnisverlust und am überraschenden Ende stellt man fest, dass auch dies wohl nur ein Spiel war.

Dann kommt Georg Weber ins Spiel. Er soll für seinen Chef die Kastanien aus dem Feuer holen und die Leiche ins Moor bringen. Marco Matthes spielt den netten Fahrradhelmträger von nebenan über die gesamte Achterbahn. Meist am Rande der Verzweiflung und immer ein wenig devot, legt Matthes dann eine erstaunliche Entwicklung an den Tag. Im zweiten Akt geht regelrecht ein Ruck durch den Mann und auch die Stimme wandelt in den Modus „bestimmt“. Am Ende hat der Mitmacher wieder die Kontrolle über sein Leben. Damit bringt Matthes wohl die stärkste Leistung auf die Bühne.

It’s a man’s world

It’s a man’s world: Im ersten Akt bevölkern nur Männer die Bühne und solange funktioniert Kleibers Krisenmanagement, auch wenn die Situation immer vertrackter, das Lügengeflecht immer dichter wird. Aber dann kommen zwei Frauen und eine Regierungskrise ins Spiel und damit fällt Kleibers Konstrukt zusammen. Andere übernehmen die Kontrolle und damit ist die Farce auch eine Frage nach dem Machtgefüge. Auf jeden Fall ist das Spiel auf Zeit vorbei und im Publikum macht sich Schadenfreude breit. Kleiber hat Stellvertreterfunktion und so einem hat man das immer schon mal gewünscht.

Autor Ray Cooney beherrscht die Kunst der Farce, der in Deutschland leider zu selten gehuldigt wird, weil man sie zu oft mit Schenkelklopfern gleichsetzt. Dabei seziert Cooney aber doch mit dem Mittel der Übertreibung hier Typen, Prozesse und Abhängigkeiten. Auch wenn er dabei auf die Mittel des Boulevardtheaters wie knallende Türen, flucht über den Balkon und scheppernde Fenster setzt, meint er es trotzdem ernst.

Antje Thoms und Matthias Heid ist mit dieser Inszenierung mehr als eine Übersetzung ins Niedersächsische gelungen. Sie zeigen uns, dass die Kontrolle dann doch bei ganz anderen als den vermeintlich Mächtigen liegt. Das Siegermahl ist ein Triumph der Öffentlichkeit, die sich nun die nächsten Blender vornimmt. Mit donnerndem Applaus sichert das Göttinger Publikum die Unterstützung zu.

Die nächsten Vorstellungen sind am 15. und 30. März sowie am 5. April, jeweils um 19.45 Uhr. Karten unter Telefon 0551/4969-300 oder www.dt-goettingen.de.