Braunschweig. Hannibal Lecter lässt grüßen: „Blaubarts Burg“ am Staatstheater ist ein packendes Gesamtkunstwerk mit verstörenden Bildern und Tanz.

Dröhnender Bass verkündet Unheil, während eine Frau in roter Farbe gewälzt wird und ihre Bodypaintings den Vorhang füllen: Die Körperfestung, hinter der sich der maliziös lächelnde Herzog Blaubart verschanzt, besteht aus Erotik und Blut.

Als Judith in dieses Reich eindringt und Béla Bartóks Musik einsetzt, fällt der Vorhang, und wir blicken in einen weißgekachelten Saal, der auch das ganze Orchester auf der Bühne des Staatstheaters umfasst. Käfige hängen von der Decke, Tänzer recken sich an den Wänden – was für ein gruseliger, so aseptischer wie mystischer Raum.

Unterwäsche mit Fake-Geschlechtsteilen

Dass die Tanzenden Unterwäsche in der Anmutung von Häuten und Geschlechtsteilen tragen, ihre Gesichter durch Piercings wie vernäht wirken, lässt bei diesem Blaubart an den Filmkannibalen Hannibal Lecter denken. Besonders, wenn Tanzende mit schwarzen Latexschürzen die Opfer Rei Okunishi und Noriko Nishidate mit langen Stangen und Haken bewegen, als seien sie Objekte im Schlachthaus. Oder kurz vor Schluss Giovanni Fumarola als Blaubarts Alter Ego ihnen die Köpfe so ruppig verkantet, dass man fürchtet, sie müssten abbrechen.

Am Ende bilden die von Blaubart geschundenen Seelen eine schützende Gemeinschaft.
Am Ende bilden die von Blaubart geschundenen Seelen eine schützende Gemeinschaft. © Staatstheater Braunschweig | Ilda Zenna

Was für ein ästhetischer Wurf! Das Bühnenbild von Ascon de Nijs, die Kostüme von Maison the Faux, die Choreographie von Roni Haver mit den oft in sich zitternden, dann wieder erstarrenden Tänzerinnenkörpern deuten Bartóks Oper über Blaubart als klinisches Psychogramm eines hochtoxischen Machtmenschen. Tür um Tür dringt Judith in dessen Geheimnisse ein.

Bräute hängen an Fleischerhaken

In Guy Weizmans bildkräftiger Inszenierung ist es immer dieselbe fahrbare Tür, von den Tanzenden, einer schwarzen Schar seiner Bediensteten und Opfer, bewegt, umklettert, durchrollt. Manchmal wechselt das Licht mit jedem Orchesterschlag in Bartóks perkussionshaltiger, expressiver Partitur. Manchmal seufzen die Tanzenden, wie es von der Burg gesagt wird. Sie wirken stets verschreckt, getrieben, versammeln sich anfangs rund um Blaubart, suchen später immer mehr bei Judith Schutz und geben ihr diesen auch am Ende, als Blaubarts Geheimnis offenbart ist, seine drei früheren Bräute in gewaltigen Hochzeitskleidern an Fleischerhaken hereinschweben und Judith nun dasselbe Schicksal droht.

Michael Mrosek als Blaubart, wenn er sich langsam die roten Mörderhandschuhe anzieht, wird trotz kraftvollem Bassbariton nie grob, er wirkt gefährlich durch sein edles Stimmmaterial, sein fast nobles Gebaren, sein scheinbar widerwilliges Gewähren der Einblicke in seine Praxis und Seele, an deren Ende immer der Mord stehen muss.

Schwarze Blätter wie Ascheregen

Und Charlotte Hellekant gestaltet mit einem markanten Mezzosopran, der oft sehr ruhig in sich liegt, aber auch herb aufleuchten kann und fordern mit heftigem Volumen, das Porträt Judiths, die alles wissen will. Großartig, wie sich Hellekant zwischen den Tanzenden bewegt, wie sie erste Tänzerinnen fürsorglich an sich zieht. Und großartig, wie sich das Tanzensemble einmal mehr gewinnend ins Musiktheater einbringt.

Weizman findet eindringliche Bilder für die Erkenntnisse hinter den Türen. Der Garten etwa, für den die Tanzenden Blumeninseln zusammenschieben und ihre Kittel ausziehen, ist eben nur vordergründig ein Paradies, die Hautattrappen wirken wie abgezogen. Textlich erkennt Judith hier das Blut an den Blumen, die Tanzenden ihre Scham. Über dem See der Tränen schneit es Asche wie aus dem Krematorium.

Bartóks wälzende Orchestermassen

Das Orchester wälzt sich zum Ende als schwerfällige Masse auf, die einen zu ersticken droht. Mino Marani am Pult weiß solche Klänge zu wuchten, geht aber auch oft sehr zurück und schafft so spannende Kontraste. Zu den letzten zarten Takten Bartóks scheinen sich Blaubarts würgende Hände um Judith zu schließen.

Aber das Team folgt dem symbolistischen Liebesmystizismus des Librettos nicht. Nicht Hingabe, Rebellion tritt ans Ende. Nach Bartók kehrt das Dröhnen vom Anfang wieder, Judith kann sich aus Blaubarts Händen befreien und ihn mit Unterstützung der anderen in mehreren Anläufen niederringen.

Aufbruch auf der Blumeninsel

Judith leidet unter dem Mord, doch Marani steigert John Adams’ schwingende, beschleunigende Zusatzmusik so mitreißend, während die Tanzenden die leeren Käfige umspielen, dass der Umschwung gelingt und Hellekant inmitten der Blumeninsel mit Brittens „Départ“ ruhig schön und blühend einen Aufbruch zu neuer Liebe und neuen Klängen besingen kann.

Großer Applaus für alle Beteiligten dieser wahrhaft packenden Interpretation eines Mythos in suggestiver Ästhetik. Dringend ansehen. Nur noch sechsmal: 11., 18., 23., 26., 29., 31. Mai.

Karten: (0531) 1234567 oder www.konzertkasse.de